Foto: Glockenzeit - CC BY-SA 4.0

Adventsläuten

Mehrere Städte haben ein Stadtgeläut. Eine wunderbare Erfindung. Da werden die Glocken mehrerer Kirchen gemeinsam geläutet. Frankfurt am Main besitzt so ein Stadtgeläut. Zehn Innenstadtkirchen mit 50 Glocken sind daran beteiligt. Am Samstag vor dem ersten Advent wird immer das neue Kirchenjahr eingeläutet. Eine halbe Stunde lang. Dies Jahr habe ich es wieder vor Ort erlebt, gemeinsam mit vielen Tausend Menschen. Hier können Sie es auch hören und dabei sein.

Glocken sind für Dorf und Stadt von hoher kultureller Bedeutung gewesen. Ja, ich schreibe „gewesen“, weil sie es meiner Meinung nach so nicht mehr sind. Sie waren die Zeitmesser. Sie waren Kurznachrichtendienst. Sie haben vor Feuer und Feinden gewarnt. Sie haben verkündet, wenn jemand gestorben war. Und an erster Stelle haben sie zum Gebet und zum Gottesdienst gerufen. Sie haben auf die Weise den Tag strukturiert. Und sie haben das auf schöne, auf klangvolle Art getan. Schillers Gedicht zeigt uns diese kulturelle Bedeutung bis heute auf ergreifende Weise.

Und ein Höhepunkt dessen ist so ein Stadtgeläut. Es wurde in Frankfurt in dieser Weise 1954 eingerichtet. Der zweite Weltkrieg war vorüber. Die zum Teil eingezogenen Glocken wurden neu gegossen und kamen zurück. Das war die Gelegenheit, das schon seit dem Mittelalter bestehende Geläut nun wieder einzurichten. Damit wurde ein sachverständiger Musikprofessor beauftragt: Paul Smets aus Mainz. Er hat die Vollendung des Geläuts nicht mehr erlebt. Er starb 1960. Vollendet wurde das Stadtgeläute erst endgültig mit den neuen Glocken des Karmeliterklosters im Jahr 1994.

Die religiöse Situation der Stadt Frankfurt hat sich zwischen 1954, 1994 und 2023 sehr stark verändert. 1954 waren die evangelischen und katholischen Christen in der Stadt die ganz überwiegende Mehrheit. 1994 war die Stadt schon gedrittelt. Ein Dittel evangelisch, ein Drittel katholisch und ein Drittel andere. Ende 2022 waren 17,2 % der Einwohner römisch-katholisch, 13,7 % evangelisch; 69,1 % gehörten anderen Konfessionen oder Glaubensgemeinschaften an oder waren konfessionslos. Und diese Tendenzen gehen weiter. Ein Stadtgeläute wäre heute so nicht mehr einzurichten.

Für mich hat das Stadtgeläute nochmal eine ganz persönliche Bedeutung, weil da die größte Glocke Frankfurts zu hören ist, nämlich die „Gloriosa“ des Domes. Sie ist ein genauer Nachguss der Erfurter „Gloriosa“, der größten mittelalterlichen Glocke der Welt, gegossen im Jahr 1497 auf dem Platz vor dem Dom. Oben können sie ein Bild von ihr sehen. Diese Glocke ist mir in den 25 Jahren, die ich in Erfurt lebte, lieb und wichtig geworden. Und es war mir eine Freude, hier in Frankfurt auch eine „Gloriosa“ zu finden, noch dazu eine, die dann mit all den anderen zusammenklingt. Kaiser Wilhelm hat sie dem Kaiserdom gestiftet. Sie wurde 1877 in Dresden gegossen und 1878 zum ersten Mal geläutet. Ein sehr eindrücklicher Klang.

Haben Sie auch eine Glockengeschichte? Vielleicht nicht mit einer solch großen Glocke? Auf jeden Fall spielen die Glocken in der Advents- und Weihnachtszeit eine wichtige Rolle. Oft werden sie in den Liedern besungen. Einen spirituellen Text zu den Glocken finden Sie unten. Er wurde mir kürzlich zugesandt. Thomas Merton (1915-1968), ein bekannter amerikanischer Autor und Mystiker hat diesen Text geschrieben über die Glocken in seinem Leben als Mönch des Trappistenordens.

Es wünscht Ihnen einen gesegneten Advent
Thomas Gertler SJ

6. Dezember 2023, Fest des heiligen Nikolaus

Foto: Matthias Kabel - CC BY-SA 3.0

Die Glocken

Sind dazu da, uns daran zu erinnern, daß einzig Gott gut ist, daß wir Ihm gehören, daß wir nicht für die diesseitige Welt leben.
Sie brechen in die Welt unserer Sorgen ein, damit wir daran denken sollen, daß alles vergeht und daß alles, was uns bedrückt, unwesentlich ist.
Sie sprechen zu uns von unserer Freiheit, die uns die Last der Verantwortung und der vergänglichen Sorgen vergessen läßt.
Sie sind die Stimme unseres Bundes mit dem Gott des Himmels.
Sie sagen uns, daß wir Sein wahrer Tempel sind. Sie rufen uns zum Frieden mit Ihm und unserem Herzen.

Am Schluß der Glockenweihe wird aus dem Evangelium die Stelle vorgelesen, wo von Maria und Martha die Rede ist, um uns dies alles von neuem einzuprägen und nahezubringen.

Die Glocken sagen: „Was liegt an der Geschäftigkeit! Ruht in Gott, und sei frohen Herzens; denn die diesseitige Welt ist bloß das Gleichnis und die Verheißung der zukünftigen Welt, und nur jene, die sich losgelöst haben von den vergänglichen Dingen, können das Licht der Verheißung der Ewigkeit erblicken.“

Die Glocken sagen: „Jahrhundertelang haben wir unsere Stimmen von den Türmen großer Kirchen ertönen lassen. Wir haben zu den Heiligen, euren Vätern, in ihrem Land gesprochen. Wir riefen sie zur Heiligkeit, wie wir nun auch euch zur Heiligkeit rufen. Und wie riefen wir sie?

Wir sagten nicht nur: Seid gut, kommt zur Kirche. Wir sagten nicht nur: Haltet die Gebote, sondern vor allem: Christ ist erstanden, Er die Wahrheit ist auferstanden! Und wir sagten: Kommt mit uns, Gott ist gut, es ist nicht schwer, euer Heil zu erlangen, Seine Liebe hat es euch leichtgemacht! Und diese unsere Botschaft war jederzeit an alle gerichtet, an die, welche kamen, und an die, welche nicht kamen; denn unser Gesang ist vollkommen, wie der Vater im Himmel vollkommen ist. Wir gießen unsere Liebe über alle Menschen aus.

Entnommen: Thomas Merton, Meditationen eines Einsiedlers. Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit, 16. Abschnitt, S. 92, Benziger Verlag 1976. - Die alte, in diesem Buch verwendete Rechtschreibung, wurde beibehalten.