
Foto: Vladimir Pustovit - CC BY 2.0
Aufatmen
Befreit und erlöst aufatmen nach Augenblicken der angstvollen Atemnot und bedrückten Stimmung. Das spüre ich sofort körperlich und sollte es auch jetzt, während ich das lese gleich tun. Also mich aufrichten und frei atmen. Ja, gleich noch einmal und tiefer einatmen, bis hinab in den Bauch. Das ist die Grunderfahrung des Geistes, des Lebensgeistes und der Lebensgeister, aber auch des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes. Die Luft, die Atmosphäre, der Atem oder auf Latein: Spiritus, auf Griechisch: Pneuma. Beide Worte sind wie das Wort Atem lautmalerisch. Sie bilden das Atmen im Wort ab. Vor allem das Ausatmen. Das A im Atem und das P bei Pneuma und SP bei Spiritus. Da merkt man jedes Mal die Atemluft.
Wie ängstigend es ist, wenn man keine Luft bekommt. Wie erlösend und befreiend, wenn ich wieder aufatmen kann. Tief Luft holen und tief ausatmen. Grundrhythmus des Lebens und des Geistes Gottes. Und weil das so sehr nahe und lebensnotwendig ist, gerade darum ist dieser Grundrhythmus auch oft so unbemerkt und unbedacht. Dieser Lebensgeist ist eben die Luft, die uns so selbstverständlich umgibt, dass wir denken, sie wäre nichts. Eben nur Luft. Das ist so typisch für alles, was uns so nahe und gewöhnlich ist. Wir merken es kaum, gerade weil es so nahe ist. Das gilt besonders auch für den Heiligen Geist.
Der Heilige Geist ist uns ständig nahe, umgibt uns. Aber gerade darum ist uns der Heilige Geist auch so unbemerkt und so unfassbar, gerade wegen seiner Nähe. Und darum passt eben das Bild von der Luft, der Atemluft und der Atmosphäre so sehr gut für den Heiligen Geist. Darin kommen Lebensnotwendigkeit, Nähe und Unbemerktheit so sehr zusammen.
Heute ist uns die Lebensnotwendigkeit der guten Luft, der Atmosphäre besonders bewusst geworden, gerade weil sie nicht mehr selbstverständlich ist. Luftverschmutzung ist allgegenwärtig. Und gerade die aufstrebenden Länder wie China oder Indien sind heute besonders betroffen von der Verschmutzung, wie es in den 70er und 80er Jahren Europa war. Die saure Luft, die man damals in der DDR durch die Braukohlenheizung überall roch, regnete zum Teil in Schweden ab und vergiftete dort die Seen, und Fische starben. Erlebt habe ich, wie chemisch aggressive Luft einen Teil der Domfenster im Erfurter Dom irreparabel angegriffen und verdunkelt hat.
Es ist aber noch passender, wenn wir über die Atmosphäre sprechen, die in Gruppen, in Arbeitsteams, in Familien, in der Kirchengemeinde, in Büros herrscht, wo ich atmen oder eben nicht frei atmen kann. Daran sind sofort Geist und Ungeist zu erkennen. Ein guter Geist lässt atmen und aufatmen. Der Ungeist bewirkt das Gegenteil. Ich traue den anderen nicht und darum traue ich auch nicht, mich zu zeigen und zu geben, wie ich bin. Ich bin auf der Hut. Ich werde zum Mauerblümchen. Besonders Ironie und Spott zerstören die Atmosphäre und wirken toxisch, wie man heute gern sagt. Gute Arbeitsatmosphäre macht fröhlich und kreativ. Man freut sich, zusammen zu sein.
Wir kommen noch zu einem weiteren Kennzeichen des Geistes. Er ist wie die Luft zum Atmen. Das haben wir angeschaut. Er zeigt sich aber auch als gewaltige Kraft wie ein Sturm und so wird er gerade zu Pfingsten geschildert: „wie wenn ein gewaltiger Sturm daher fährt“ (Apg 2,2) So werden auch oft die Gotteserscheinungen am Berg Sinai geschildert. Ein gewaltiger Sturm, der das Rote Meer vertreibt, so dass die Israeliten trockenen Fußes hindurch können. Gewaltiger Sturm, der alles Widerständige besiegt. Aber genauso wird Gottes Geist und Gegenwart als sanftes leises Säuseln geschildert, so besonders bei Elija am Gottes Berg Horeb (1 Könige 19). Auf dieses leise, sanfte Säuseln - Martin Buber übersetzt diese Stelle als „Stimme verschwebenden Schweigens“ - müssen wir genau hinhören, unser Innerstes auftun, um diese Stimme zu hören. Sie wird uns verwandeln. Sie schafft unser Inneres neu. Lässt uns aufatmen und frei werden.
All das lässt sehr gut in einer Atemmeditation vertiefen. Sie haben dabei nichts weiter zu tun, als bewusst der eingehenden und ausgehenden Atemluft nachzuspüren. Wie sie in die Nase eingezogen wird, ganz nach oben geht und hinunter in die Lunge eingeht, bis ganz hinunter und dann nach einem kurzen Verharren ebenso wieder hinauf und aus den Nasenlöchern ausgeatmet wird. Genau nachspüren. Nichts verändern. Einfach kommen und gehen lassen. Aus und Ein, Aus und Ein…
Loslassen, Aufatmen, Frieden spüren, den Geist erfahren.
All das wünsche ich Ihnen als Erfahrung zu Pfingsten und grüße Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
31. Mai 2023
Der Umschwung von Ungeist zu Geist, von Traurigkeit zu Freude wird am kürzesten und eindrücklichsten bei Johannes im 20. Kapitel geschildert und da auch genau mit dem Atem. Jesus haucht seine Jünger an und sie empfangen den Heiligen Geist. Damit wiederholt er die Szene aus dem Paradiesgarten, in der Gott dem Adam den Lebensodem einhaucht und ihn so lebendig macht. Das ist hier abgebildet:
Johanes 20,19 - 23
20,19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.