Selbstbestimmung ist ein grundlegendes Menschenrecht, das allen Individuen zusteht, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer körperlichen und geistigen Verfassung.
Besonders für Menschen mit geistiger Behinderung ist das Thema der Selbstbestimmung von großer Bedeutung, da es eng mit ihrer Würde, ihren Rechten und ihrer Lebensqualität verknüpft ist.
In vielen Gesellschaften ist es nach wie vor eine Herausforderung, den Wunsch nach Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung zu verwirklichen, doch immer mehr Bestrebungen gehen dahin, die Teilhabe und die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen zu fördern.
In diesem Beitrag betrachten wir die Bedeutung von Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung und wie diese im Alltag unterstützt und gefördert werden kann.
1. Was bedeutet Selbstbestimmung?
Selbstbestimmung ist die Fähigkeit eines Menschen, Entscheidungen über sein eigenes Leben zu treffen, seine Wünsche und Bedürfnisse zu äußern und selbst zu bestimmen, welche Lebenswege er gehen möchte. Es geht darum, Kontrolle über das eigene Leben zu haben und sich als eigenständige und wertvolle Person in der Gesellschaft wahrzunehmen. Für Menschen mit geistiger Behinderung umfasst Selbstbestimmung nicht nur die Entscheidung über grundlegende Lebensaspekte wie die Wahl des Wohnorts, des Arbeitsplatzes oder der Freizeitaktivitäten, sondern auch über alltägliche Dinge wie Ernährung, Kleidung oder soziale Kontakte.
Die Umsetzung von Selbstbestimmung bedeutet auch, dass Menschen mit geistiger Behinderung in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu erkennen und gegebenenfalls Unterstützung zu suchen, wenn sie diese benötigen. Es geht darum, sie als gleichwertige und gleichberechtigte Partner in der Gesellschaft zu betrachten und ihre Entscheidungen und Wünsche zu respektieren.
2. Herausforderungen für Menschen mit geistiger Behinderung
Obwohl die Bedeutung von Selbstbestimmung für alle Menschen anerkannt wird, gibt es für Menschen mit geistiger Behinderung oft zahlreiche Herausforderungen, die ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung einschränken können:
- Mangelnde Information und Aufklärung: Menschen mit geistiger Behinderung haben häufig nicht ausreichend Zugang zu Informationen, die für fundierte Entscheidungen notwendig sind. Ihre Möglichkeiten, sich umfassend zu informieren und über alle verfügbaren Optionen nachzudenken, sind oft begrenzt.
- Gesellschaftliche Barrieren: Die Gesellschaft neigt dazu, Menschen mit geistiger Behinderung in einer passiven Rolle zu sehen, die Hilfe und Unterstützung benötigt. Diese Einstellung kann dazu führen, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht ernst genommen werden und ihre Entscheidungen von anderen getroffen werden.
- Fehlende Unterstützungssysteme: In vielen Fällen sind die bestehenden Unterstützungsstrukturen nicht ausreichend, um Menschen mit geistiger Behinderung die nötige Hilfe zur Selbstbestimmung zu geben. Wenn Menschen mit geistiger Behinderung Unterstützung benötigen, wird oft nicht genügend Raum für ihre eigenen Entscheidungen gelassen, oder es wird nicht ausreichend auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegangen.
3. Selbstbestimmung als Menschenrecht
Das Recht auf Selbstbestimmung ist nicht nur eine ethische Notwendigkeit, sondern auch ein rechtlicher Anspruch. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2008 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, stellt klar, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf Selbstbestimmung und die Möglichkeit zur vollen Teilhabe an der Gesellschaft haben. In Artikel 19 der Konvention wird das Recht auf „Leben in der Gemeinschaft“ betont, wobei den Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit gegeben werden muss, unabhängig und selbstbestimmt zu leben, ohne Diskriminierung und mit der Unterstützung, die sie benötigen.
Es ist daher eine gesellschaftliche Pflicht, die Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung zu fördern und ihre Rechte aktiv zu verteidigen. Es reicht nicht aus, sie lediglich zu unterstützen – sie müssen auch die Möglichkeit haben, aktiv an Entscheidungen teilzuhaben und ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
4. Förderung der Selbstbestimmung im Alltag
Es gibt verschiedene Wege, wie Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung im Alltag unterstützt werden kann:
- Partizipation an Entscheidungsprozessen: Es ist wichtig, Menschen mit geistiger Behinderung in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, die sie betreffen. Dies kann durch regelmäßige Gespräche und die Verwendung von verständlichen, an ihre Fähigkeiten angepassten Kommunikationsmitteln geschehen. Dabei sollten sie nicht nur gefragt werden, was sie brauchen, sondern auch, wie sie sich in bestimmten Situationen fühlen und was sie sich wünschen.
- Ermutigung und Unterstützung: Menschen mit geistiger Behinderung sollten ermutigt werden, Entscheidungen selbst zu treffen, auch wenn sie dabei auf Unterstützung angewiesen sind. Dies kann durch die Bereitstellung von Informationen, durch praktische Hilfestellungen und durch die Förderung von Selbstvertrauen geschehen. Unterstützung sollte immer so gestaltet sein, dass sie den Entscheidungsprozess des Individuums nicht überlagert oder einschränkt.
- Zugang zu Informationen: Der Zugang zu verständlichen und relevanten Informationen ist entscheidend. In vielen Fällen müssen Informationen so aufbereitet werden, dass sie für Menschen mit geistiger Behinderung zugänglich sind. Dies kann durch leichte Sprache, visuelle Hilfsmittel oder technische Unterstützung geschehen.
- Achtsame Begleitung: Menschen mit geistiger Behinderung benötigen oft eine Begleitung, die auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht, ohne sie zu bevormunden. Begleiter sollten einfühlsam und respektvoll auf die Wünsche und Bedürfnisse der betroffenen Person reagieren und gleichzeitig die nötige Unterstützung bieten, um Entscheidungen zu treffen.
- Förderung von Alltagskompetenzen: Indem Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit gegeben wird, Alltagsfähigkeiten zu entwickeln und zu erproben – wie Kochen, Einkaufen, Haushalt führen oder sich um persönliche Finanzen kümmern – können sie mehr Selbstständigkeit erreichen und ihre Selbstbestimmung weiter ausbauen.
5. Das Potenzial der Selbstbestimmung
Die Förderung der Selbstbestimmung hat nicht nur positive Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit geistiger Behinderung, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes. Wenn Menschen mit Behinderungen in der Lage sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihren eigenen Lebensweg zu gestalten, führt das zu einer stärkeren Integration und Teilhabe in der Gesellschaft. Sie erfahren mehr Anerkennung und Respekt und tragen aktiv zum gesellschaftlichen Leben bei.
Die Förderung der Selbstbestimmung ist ein Akt der Empowerment, der Menschen mit geistiger Behinderung dabei hilft, ihre Fähigkeiten zu erkennen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und ein erfülltes Leben zu führen.
Fazit
Selbstbestimmung ist ein unverzichtbares Recht, das es Menschen mit geistiger Behinderung ermöglicht, als selbstbewusste und eigenständige Individuen in der Gesellschaft zu leben. Es erfordert sowohl ein Umdenken in der Gesellschaft als auch konkrete Maßnahmen, um eine inklusive und unterstützende Umgebung zu schaffen, in der Menschen mit geistiger Behinderung ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Durch die Förderung von Teilhabe, Unterstützung und Zugang zu Informationen kann Selbstbestimmung im Alltag realisiert werden, was zu einer Verbesserung der Lebensqualität und einer stärkeren Integration in die Gesellschaft führt.