Zukunftsangst – Zukunftshoffnung

Foto: Thomas Gertler

Hoffnung ist oft gar nicht beachtet. Zukunft ja. Um Zukunft geht im Augenblick fast alles. Um die persönliche, um die Zukunft meiner Familie, um die meiner Arbeit. Unvorstellbar große Geldbeträge werden bereitgestellt, damit Wirtschaft und Gesellschaft nicht in einen Abgrund stürzen. Aber auch dieses Zeichen des Beistandes macht einem Angst. Wie sollen das künftige Generationen schultern? Wie wird es überhaupt weitergehen? Es gibt sehr große Ungewissheiten. Es gibt so vieles, was wir einfach nicht wissen.

In solchen Nebelzeiten blühen dann die Verschwörungstheorien. Das war auch in der Vergangenheit so. Zum Beispiel in der Zeit des „Schwarzen Todes“, der Pestpandemie zwischen 1346 und 1353. Sie forderte etwa 25 Millionen Tote in Europa. Unvorstellbar! Damals waren die Opfer der Verschwörungstheorien vor allem die Juden, auch wenn sich weltliche und kirchliche Autoritäten dagegen stemmten. Heute gibt es solche Verschwörungstheorien auf allen Seiten, sogar bei theologisch Gebildeten. Das zeigt, dass es vor allem Zukunftsängste sind, die da wirken, nicht so sehr rationale Überlegungen.

Ängste sind berechtigt. Sie sollen angeschaut und angehört werden. Wenn ich das tue, verlieren sie schon ihre alles überschwemmende Macht. Ich soll sie begrenzen. Denn nicht die Angst soll herrschen. Ich soll Frau oder Herr im Hause meines Lebens sein. Was aber hilft mir in der Zeit der Angst, der Ungewissheit, der Unsicherheit? Das ist die Hoffnung. Die Zukunftshoffnung.

Hoffnung ist erst einmal etwas ganz Natürliches, so nach dem berühmten rheinischen Sprichwort: „Et hätt noch immer jot jejange – es ist noch immer gut gegangen.“ Ja, ohne diese ganz natürliche Hoffnung, könnte ich keinen Schritt außer Haus, sogar im Haus tun. Ich vertraue eben einfach darauf, dass die Bahn kommt, dass der Mitfahrer mich nicht beklaut, dass der Verkäufer mir gute Ware anbietet. Dass ich das Leitungswasser trinken kann. Wenn diese alltägliche Hoffnung zusammenbricht, geht tatsächlich nichts mehr.

Dass es diese einfache Hoffnung ist, die uns weiter leben lässt, beachten wir viel zu wenig. Schauen Sie einmal darauf! Wovon gehe ich jeden Tag aus, noch bevor ich den Fuß aus dem Bett auf den Boden gestellt habe? Dass der Boden trägt. Dass der Fuß funktioniert. Dass das Licht angeht. Dass das Wasser läuft. Wie verlässlich ist doch für mich und für die meisten von uns diese alltägliche Welt! Diese Hoffnung muss nicht lange begründet werden. Freilich kann alles auch einmal nicht so sein und mein Fuß zum Beispiel noch weiter schlafen und nicht funktionieren. Oder aus dem Hahn kommt braune Brühe. Normalerweise ist aber alles das verlässlich und getreu. Jedenfalls meist hier bei uns. Hoffnung ist auf Erfahrung gegründet und aus Erfahrung begründet.

Sie wird aber auch ganz leicht erschüttert. Wie sie jetzt erschüttert wird durch die großen und beängstigenden Veränderungen, die mit Corona einhergehen. Gibt es Hoffnung auch angesichts all dessen? Ja, aber die muss dann tiefer gründen als die Alltagshoffnung des rheinisches Humors. Das muss eine Hoffnung sein, die erhalten bleibt auch angesichts der Katastrophe, auch angesichts von Corona. Sie muss darum auch ihr Fundament jenseits dieser Katastrophen haben. Und das heißt letztlich beim getreuen und verlässlichen Gott.

Es gibt das unglaubliche Wort bei Lukas: „Wenn all das geschieht (nämlich alle diese Katastrophen), dann erhebt euer Haupt, denn eure Erlösung ist nahe“ (Lk 21,28). Die ersten Christen haben Verfolgung erlebt. Es gab die furchtbare Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Es gab auch damals Erbeben und Seuchen. Alles das gab es damals zur Zeit der ersten Christen auch. Aber: „Wenn all das geschieht, dann erhebt euer Haupt, denn eure Erlösung ist nahe“ (Lk 21,28). In der Auferstehung Jesu nach der Kreuzigung ist uns eine Hoffnung geschenkt, die über alle [rheinische] Hoffnung hinausgeht (Röm 4,18). Sie gründet in Gottes Treue und Verlässlichkeit. Sie ist die rechte Haltung auch jetzt. Wir müssen darum beten.

Es grüßt Sie herzlich und hoffnungsvoll
Thomas Gertler SJ

17. Juni 2020

Einer der größten Hoffnungsdenker seiner Zeit war Charles Péguy (1873-1914). Er hat ein berühmtes Gedicht geschrieben über die Hoffnung. Daraus ist der folgende Text. Da spricht Gott selbst über die Hoffnung als seine Gabe und Gnade. Er stellt uns die Hoffnung als kleine Schwester der beiden großen Schwestern Glaube und Liebe vor. Sie zieht sie beide voll Freude voran. Das Portrait stammt von Egon Schiele (1890-1918) einem der bedeutendsten Zeichner seiner Zeit und war Titelblatt der Zeitschrift: „Die Aktion“ zum Tode von Charles Péguy.

 

„Der Glaube, der mir am liebsten ist, spricht Gott, das ist die Hoffnung.
Der Glaube erstaunt mich nicht, er ist nicht erstaunlich. Ich leuchte ja so stark in meiner Schöpfung auf.
Die Liebe, sagt Gott, erstaunt mich nicht. Sie ist nicht erstaunlich. Diese armen Geschöpfe sind so unglücklich, wie sollten sie da – es sei denn sie hätten ein Herz aus Stein – nicht Erbarmen miteinander haben.
Die Hoffnung, spricht Gott, die erstaunt mich jedoch. Selbst mich. Es ist wirklich erstaunlich, dass sie, diese armen Kinder, sehen, wie alles geschieht, und glauben, morgen werde es besser gehen, dass sie sehen, was heute passiert und glauben, morgen werde es besser sein.
Das ist erstaunlich und wahrlich das größte Wunder unserer Gnade. Darüber muss ich selbst staunen. Da muss meine Gnade wirklich unglaublich mächtig sein, wie eine Quelle fließen und wie ein unerschöpflicher Strom.
Diese kleine Hoffnung schreitet zwischen ihren beiden großen Schwestern voran, und man beachtet sie gar nicht recht. Ja sie schreitet voran auf dem Weg des Heils, dem des Fleisches, auf dem holprigen Weg des Heils, dem endlosen, immer zwischen ihren beiden Schwestern. Aber es ist sie, diese kleine, die alles mitreißt.
Denn der Glaube sieht nur, was ist. Sie aber schaut, was sein wird.
Die Liebe wendet sich nur dem zu, was ist. Sie aber sieht, was sein wird.
Der Glaube erblickt, was in Zeit und Ewigkeit ist. Die Hoffnung schaut jedoch, was in Zeit und Ewigkeit sein wird. Man könnte sagen: in die Zukunft der Ewigkeit selbst.
Diese kleine Hoffnung, die nach so gar nichts aussieht. Dieses kleine Mädchen Hoffnung. Die Unsterbliche.“

Aus: Charles Péguy, Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung, Einsiedeln 1980