Zeitrechnung – so ungefähr

Foto: Erkaha - CC BY-SA 4.0

Seit dem Fest der hl. Lucia beschäftigt mich das Thema. Lucia wird am 13. Dezember gefeiert. Besonders in den winterdunklen Ländern Europas wie Schweden ist das Fest wichtig. Denn früher lag am 13. Dezember die Wintersonnenwende. Lucia, die Leuchtende, brachte dann auch wieder das Licht. Und das lag am julianischen Kalender, der seit Julius Cäsar galt. Als er eingeführt wurde im Jahr 45 vor Christus, lag die Wintersonnenwende allerdings genau auf dem 25. Dezember. Aber das julianische Jahr war ein bisschen länger als das tatsächliche kosmische Jahr. Und im Mittelalter hatte sich das schon so weit verschoben, dass eben die Wintersonnenwende am 13. Dezember lag. Zeitrechnung - so ungefähr.

Korrigiert wurde das dann durch den neuen Gregorianischen Kalender, der für die katholischen Länder im Jahre 1582 durch Papst Gregor angeordnet wurde. Die nichtkatholischen Länder machten das lange nicht mit. So auch Schweden. Das führte ihn erst am 1. März 1753 endgültig ein. Und da ging dann der 18. Februar direkt in den 1. März über. Vorbei mit Sonnenwende am 13. Dezember. Aber das Fest blieb und die Bräuche wurden da erst richtig intensiv gepflegt.

Was mir daran bewusst geworden ist: Unsere Kalender und Uhren wollen möglichst genau sein, sie sind es aber nicht. Die Wintersonnenwende liegt heute wieder am 21. 12. und nicht am 25.12., wo sie liegen sollte. Wie das kommt, weiß ich nicht. Vom Willen der christlichen Kalendermacher sollte der 25. Dezember eigentlich das Datum der Wintersonnenwende sein, wie es im julianischen Kalender war. Das Datum der Geburt Christi ist nämlich ein theologisches Datum, kein historisches Datum. Wir wissen nicht an welchem Tag Christus historisch geboren ist. Theologisch will der 25. 12. als Geburtstag sagen: wenn die Dunkelheit am längsten ist, dann wird Christus, der Retter, geboren, dessen Licht von da an immer weiter zunehmen wird. Das war der theologische Grund, das Weihnachtsfest auf den 25. 12. zu legen. Und das ist der Wille dahinter: die kosmische Ordnung soll den Glauben unterstützen. Kosmische Ordnung und Glaubensordnung sollen eine Einheit bilden. Und der Gedanke ist richtig und gut. Versuchen sollen wir es. Aber wir kriegen es oft nicht richtig hin. Die Kalender zeigen es und auch unsere so genauen Uhren.

In der Nacht vom 31.12. zum 1.1. zählen wir oft gemeinsam die letzten Sekunden herunter, bis genau Mitternacht. Und dann knallt es – dies Jahr aber zum Glück weniger. Und stimmen auf die Sekunde wird es garantiert nicht. Mitternacht ist an jedem Ort zwischen Ost und West in Deutschland zu einer anderen kosmischen Zeit. Zwischen Frankfurt an der Oder und Aachen gilt die gleiche Zeit auf die Sekunde genau, in Wirklichkeit liegt der Unterschied aber ungefähr bei 30 min. Hier in Göttingen vielleicht so 15 min von Frankfurt an der Oder. Zeitrechnung – so ungefähr.

Wir wollen eine Einheit schaffen zwischen dem Kosmos und dem Glauben, zwischen Weltgeschichte und Heilsgeschichte. Der Wille ist da, aber wir kriegen es nicht so richtig sauber hin. Das lässt mich auch schmunzeln, denn es ist so typisch für uns Menschen. Der Wille ist groß, aber das Gelingen ist schwach (vgl. Mt 26,41). Das gilt ja aber nicht nur für uns Menschen. Das gilt ja auch für den Kosmos selbst. Da ist auch alles immer nur so ungefähr. Die Erde ist keine präzise Kugel. „Der Globus quietscht und eiert.“ Die Umlaufbahnen der Planeten sind keine Kreisbahnen sondern Ellipsen, und zwar ziemlich unterschiedliche. Die Erde dreht sich im Laufe der Jahrmillionen immer langsamer. Der Tag wird länger als die 24 Stunden jetzt. Der gestirnte Himmel über uns, der Trost von Kant (und von Ignatius von Loyola und von so vielen) in seiner Verlässlichkeit, Genauigkeit und Schönheit, fliegt mit rasender Geschwindigkeit auseinander. Also nicht nur der Mensch, alles mit uns und um uns ist immer nur so ungefähr. Und warum fällt mir das auf? Weil ich selber immer nur so ungefähr bin. Das ist mir ein Trost. Nicht nur ich, alles ist nur ungefähr.

Dagegen protestierend sagt mir mein Mitmensch, dessen Ideal die Genauigkeit und Präzision ist, ohne die er nicht leben kann: „Nein, lieber Thomas, falsch, es ist alles ganz genau und ganz präzise. Was Du, mein Lieber, so typisch ungenau und tröstlich findest, weil scheinbar alles so ungenau ist wie Du selbst, das wissen wir, genauen Menschen, ganz genau, weil wir es eben ganz genau messen und wissen können.“ Die Relativitätstheorie ist also ganz genau und nicht selber nur relativ. Oder?

Wohin neigen Sie am Beginn dieses Neuen Jahres? Alles nur so ungefähr? Oder alles doch ganz genau?

Und womit soll ich nun ins Neue Jahr gehen? Alles nur so ungefähr? Ja (nein), ganz genau! Das geht nur mit Humor und nur mit Vertrauen. Ja, genau, damit wollen wir ins Neue Jahr gehen, mit Humor und mit Vertrauen auf Gott. Er fügt alles Ungenaue und Gebrochene zusammen zum Ganzen und Heilen.

Es grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen Gottes Segen im Neuen Jahr und eine baldige Impfung!
Thomas Gertler SJ

30. Dezember 2020

Dass alles gut geht, erfordert unsere Mühe und Anstrengung, aber es braucht auch Gottes Segen und Gottes Dabeisein. Das ist schon die Gewissheit des 127. Psalms. „An Gottes Segen ist alles gelegen.“ Das hat hier Giovanni Francesco Barbieri ungefähr (!) im Jahr 1640 mit dem segnenden Vatergott ins Bild gesetzt.

 

Psalm 127,1-5

1 Ein Wallfahrtslied, gesungen auf dem Weg hinauf nach Jerusalem. Von Salomo. Wenn der Herr nicht das Haus baut, dann mühen sich alle, die daran bauen, vergeblich. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, dann hält der Wächter vergeblich Wache. 2 Vergeblich ist es, dass ihr so früh aufsteht und euch erst spät wieder hinsetzt, um dann euer mühsam erarbeitetes Brot zu essen – denn genauso viel gibt der Herr den Seinen im Schlaf! 3 Auch Kinder sind eine Gabe des Herrn, ja, Fruchtbarkeit ist ein großes Geschenk! 4 Wie Pfeile in der Hand eines starken Mannes, so sind Kinder, die man in jungen Jahren bekommen hat. 5 Glücklich zu nennen ist der Mensch, der einen vollen Köcher davon hat! Seine Kinder werden nicht unterliegen, wenn sie mit ihren Gegnern einen Rechtsstreit führen müssen.