
Foto: Thomas Gertler
Welches ist jetzt der richtige Weg? Mehr öffnen, mehr lockern, mehr zulassen? Mehr Abstand halten, eher wieder zurückgehen, bevor eine zweite Welle der Pandemie kommt. Jeden Tag wird es gefragt. Immer wieder neu. Denn jetzt können wir nur „auf Sicht fahren“. Dieser jetzt fast zum Überdruss gebrauchte Begriff kommt eigentlich aus dem Bereich der Eisenbahn, bzw. der Schienenfahrzeuge. Er passt gar nicht so gut. Denn eine Lok kann nur langsamer fahren und schließlich stehen bleiben, ausweichen kann sie nur an einer Weiche. Jetzt will es aber sagen: Es kann sein, dass wir jederzeit die Richtung ändern müssen, nicht nur langsamer fahren.
Also eher eine Straße im Nebel oder im Schneegestöber. Da orientiert man sich gern an den Rücklichtern des Voranfahrenden. Wohin gehen wir? Wohin fahren wir? Wir sehen die Straßengräben: Zweite Welle der Pandemie auf der einen Seite, nicht wieder gut zu machender Schaden an Gemeinschaft und Kultur und Wirtschaft heißt der andere Straßengraben. Oder übersetzt in modere Slogans: „Hauptsache Gesundheit!“ „Dass die Wirtschaft läuft, ist am wichtigsten!“ Beides kann nicht letzter Maßstab sein. Gibt es einen?
Wolfgang Schäuble hat uns mit Recht gesagt: „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen." Das heißt also, bei allen Maßnahmen, darf diese Würde des Menschen nicht verloren gehen oder geopfert werden. Sie muss im Blick bleiben. Und sie ist auf allen Seiten immer in Gefahr. Ob ich meinen Vater nicht mehr in seiner letzten Stunde besuchen darf. Ob Politiker sich zu Diktatoren aufschwingen. Ob gerade die Schwächsten in der Gesellschaft oder unter den Völkern allein gelassen werden. All das spielt mit.
Wohin gehen wir hin? Was ist der Weg? Es kann jetzt tatsächlich immer nur in mühsamer Abwägung geschehen. Immer mit der Bereitschaft, sich zu korrigieren und damit auch mit der Bereitschaft, sich kritisieren zu lassen. Mit dem Mut, Fehler zu machen. Er muss letztlich in einem Grundvertrauen geschehen, dass es gut gehen wird. Nicht naiv, aber hoffnungsvoll. Ohne diese grundlegende Hoffnung könnten wir ja gar keinen Schritt vorwärts gehen. Und da hilft tatsächlich unser Glaube, unser Hören auf das Evangelium, auch in dieser Situation. Hören wir also auf das, was Jesus dem Thomas sagt, als er nach dem Weg fragt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).
Bis hin zu Jesus war für den gläubigen Juden das Gesetz Gottes der Weg, also die zehn Gebote, das Grundgesetz des Volkes Gottes. Wer die Gebote Gottes befolgt, der geht auf dem rechten Weg, der kommt auch zu Gott. Und jetzt wird Jesus dieser Weg. Das hebt den Weg der zehn Gebote nicht auf, sondern erfüllt ihn. Das personalisiert ihn. Das radikalisiert ihn. Der Lebensweg Jesu wird der Lebensweg seiner Jüngerinnen und Jünger. Jesus lebt Gottes Willen und Gottes Gebot ganz und gar. Das geht über jede rein äußere Erfüllung hinaus.
Für Jesus kommt es auf das Innere der Gebote an, auf die Liebe, die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen, und zwar zu allen Menschen und besonders zu denen am Rande und in Not und in Bedrohung. Und damit haben wir die entscheidenden Kriterien auch jetzt: Wenn Jesus der Weg ist, dann führt er in die Wahrheit und kommt aus der Wahrheit. Gegen alles dumme und gefährliche Geschwätz, gegen die Verschwörungstheorien (jetzt sogar innerhalb der Kirche!), gegen die Fake-News und die Lügen. Dann kommt dieser Weg aus dem Leben und führt in das Leben, ohne den Tod zu fürchten, denn es geht ja um das Leben der Auferstehung, zu dem wir unterwegs sind. Dann kommt dieser Weg aus der Freiheit und führt in die Freiheit. Jesu Weg ist nicht sklavische Befolgung und Enge und Ängstlichkeit. Er ist nicht Zwang und ist nicht Verführung und Manipulation. Er ist nicht voller Tricks und Undurchsichtigkeit. Er nimmt die Menschen ernst und ihre Würde.
Zum Schluss ein Wort, das mich in diesem Zusammenhang besonders berührt. Es stammt von Novalis, dem deutschen romantischen Dichter (1772-1801). In seinem Werk „Heinrich von Ofterdingen“ heißt es:
»Wo gehn wir denn hin?«
»Immer nach Hause.«
Ja, so ist es, dieser Weg, der Jesus ist, der führt uns nach Hause. Nach Hause, nämlich in das Haus des Vaters mit seinen vielen Wohnungen. In dieser Hoffnung und diesem Vertrauen dürfen wir auch jetzt auf dem Weg sein!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
13. Mai 2020
Im gleichen Evangelium heißt es: Wer mich sieht, sieht den Vater. Diese Ikone steht auf meinem Schreibtisch. Ein mir sehr wertvolles Geschenk aus dem Kloster Alexanderdorf. Sieh schaut mich an. Lassen auch sie sich von Ihm anschauen.

Foto: Thomas Gertler
Johannes 14, 1- 14
Joh 14,1 Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! 2 Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? 3 Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. 4 Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr. 5 Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? 6 Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. 7 Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. 8 Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. 9 Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? 10 Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. 11 Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke! 12 Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater. 13 Alles, um was ihr in meinem Namen bitten werdet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. 14 Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bitten werdet, werde ich es tun.