Wie wild durch Wind und Wellen

Foto: Thomas Gertler

Nein, nein, das bin leider nicht ich, der da über die Schaumkronen schießt. Ich habe nur das Bild geschossen und ich habe das Zuschauen genossen. Sicher über eine Stunde lang habe ich den Kite-Surfern am Strand von Warnemünde zugeschaut. Vor allem dem einen hier auf dem Bild. Er war unermüdlich, obwohl das körperlich anstrengend sein muss und eine große Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Körperbeherrschung verlangt. Denn man muss ja nicht nur das Brett, sondern auch den Drachen und eben den eigenen Körper beherrschen. Und das ist eben wohl die große Freude und der Spaß an der Sache, wenn das alles zusammenkommt. Und wenn man dann pfeilschnell durch Wind und Wellen fliegt.

Sich mit großer Geschwindigkeit von einem Schirm oder einem Lenkdrachen (engl. kite) auf einem Brett über die Wellen ziehen zu lassen, ist eine ziemlich neue Sportart. Eine so genannte Trendsportart. Und wenn man sie nicht gut ausübt, ist sie auch ziemlich gefährlich. Und das Surfen geht eben nicht jederzeit. Es muss windig sein, aber nicht gerade Sturm. Sonst lässt sich der Drache nicht mehr beherrschen und fliegt mit einem davon. Aber auch so bei diesem mittleren Wind machen die Kite-Surfer riesige Sprünge. Das ist vielleicht das Schönste dabei. Die Wellen sind wie Sprungschanzen. Oft gehen die Segler dann beim Landen im Nassen unter und müssen sich erst wieder sortieren, aber es geht doch immer sofort weiter und der Drache zieht sie aus dem Wasser. Sagenhaft. Wer weiß wie viel Salzwasser sie da schlucken. Aber manche landen auch richtig sicher auf ihrem Brett und weiter geht’s.

Tolle Geschwindigkeiten erreichen sie auf dem Wasser. Das muss auch großartig sein, so wild vorm Wind über die Wellen dahinzufliegen. Und wie sie dann in Strandnähe in die Kurve gehen, wenden und wieder hinaus jagen ins Offene! Ja nicht ins Seichte oder gar an den Strand kommen! Dann ist es vorbei und man kann sich und andere verletzen.

Eh man das kann und so sicher ist wie der Mann auf dem Bild, dem ich so lange zugeschaut habe, braucht es sicher viel Übung. Ich denke mir, er ist vorher schon oft mit dem Surfbrett unterwegs gewesen, ehe er das Kite-Surfen angefangen hat. Er war sicher schon wirklich vertraut mit dem Wind und den Wellen und konnte ihre Kraft und Mächtigkeit richtig einschätzen. Und wer weiß, wie oft er auch abgesoffen ist und wie oft er sich verrenkt und gezerrt hat, bis es so spielerisch und leicht ging wie an diesem Tag im August.

Wie wild durch Wind und Wellen – ein Ideal für die Menschen heute. Schnell sein, sicheres Können, spielerisches Beherrschen der Situation, wie toll ist das! Im Sport, im Verkehr, auf der Straße, im Flugzeug. Wie bin ich froh, wenn mein verspäteter Zug doch noch auf der letzten Strecke gen Augsburg einen Zahn oder zwei Zähne zulegt und dann doch pünktlich ankommt. Mit 250 km/h fährt er zuweilen. Rausch der Geschwindigkeit.

Und genauso im Internet. Da surfen wir auch unheimlich schnell dahin. Und es werden immer noch schnellere Chips entwickelt. Und wie explosionsartig sich Wikipedia entwickelt hat. Kaum jemand schaut noch im Lexikon nach, der PC ist einfach schneller. Und das setzt sich gnadenlos durch.

All diese Freude am schnellen Netz oder am Kite und diese Lust an der Geschwindigkeit brauchen aber zugleich einen festen Punkt, sonst geraten sie ins Unglück, in einen Unfall, ins Chaos. Wenn der Kite-Surfer diesen festen Punkt in sich verliert, dann kann er die Kräfte, die wirken nicht mehr beherrschen und er geht im Wasser unter oder wird in die Luft davongerissen. Darum gibt es auch eine Notbremse und eine Schnellabkopplung für den Drachen. Wie wir das ja auch beim Skifahren im Winter kennen.

Auch beim Surfen im Internet braucht es so einen festen Punkt, ein Ziel oder einen Sinn, sonst verlaufen wir uns im Uferlosen und es wird einem schlecht von solcher Maßlosigkeit, wie wenn man zu viel gegessen und getrunken hat. Dann beherrschen auf Dauer nicht mehr wir das Internet, sondern das Internet oder das Handy beherrscht uns. Wir werden süchtig und abhängig.

Ja, auf diesen festen Punkt kommt es an. Im geistlichen Leben ist das das Gebet, der Rückzug aus der Geschwindigkeit in die Ruhe und die Stille, in den Abstand und die Distanz. Das will geübt sein. Und wenn ich gut geübt bin, dann kann ich auch mitten im Getriebe mit diesem festen Punkt wie mit einer Türangel verbunden bleiben.

Dass wir diesen Punkt immer wieder finden und nicht aus den Angeln gehoben werden, das wünsche ich Ihnen und mir auch.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

27. September 2017

 

 

Schon die mittelalterliche Mystik kannte die Spannung zwischen Bewegtheit, Geschwindigkeit oder dem Rundgehen und dem Ruhepunkt, der Türangel und dem Anker. Meister Eckhard (1260-1327) schreibt uns darüber.

Foto: AnRo0002 - CC0 1.0

 

In einem jeden Menschen gibt es zwei: den inneren und den äußeren. Es gibt so manche Menschen, die verzehren der Seele Kräfte allzumal für den äußeren Menschen. Das sind die Leute, die alle Sinne und Gedanken auf äußere und vergängliche Güter richten, die nichts vom inneren Menschen wissen. Das raubt der Seele die Kraft. Man muss aber auch wissen, dass der äußere Mensch gar wohl aktiv sein kann und dabei doch der innere frei und unbewegt zu sein vermag. Das ist wie bei einer Tür: Während sich das Türblatt, das unserem aktiven Teil entspricht, bewegt, so bleibt doch die Angel, in der die ganze Tür hängt, ruhig und wird nicht im Geringsten verändert. Die Angel, das ist der innere Mensch.