Widerstand

Foto: Marlies Fricke

Kein Tag ohne Widerstand: Widerstand gegen Corona-Maßnahmen, Widerstand gegen Windpark-Pläne oder gegen Autokraten, gegen Abtreibung, gegen Diskriminierung oder Waldrodungen. Menschen gehen auf Straßen und Plätze, fordern Einhalt und Veränderung. - Laute und sichtbare Widerstände.

Und dann sind da diese kleinen alltäglichen Widerstände in unserem Innern, die jeder kennt. Sie sind leise, aber mit der Zeit doch ziemlich aufdringlich: gegen das Kelleraufräumen, die Steuererklärung, den Zahnarztbesuch oder das lästige Aufziehen der Winterreifen. Um Ausreden sind wir da oft nicht verlegen, entwickeln Vermeidungsstrategien und wollen die alte Volksweisheit lieber nicht hören, die da heißt: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“

Wie Feinstaub auf der Seele

Und sogar noch tiefer können unsere inneren Widerstände gehen und sich wie Feinstaub auf die Seele legen. Wenn sich zum Beispiel dauerhaft etwas sträubt gegen die eigene Lebensführung, die Berufswahl, gegen das Pflegen einer Beziehung, gegen eine längst fällige Aussprache oder gegen das Aufgeben einer starren Meinung, dann kann das wie ein Widerstand gegen sich selbst sein. Unendlich viel Kraft kann es kosten, mit solch einer andauernden Hemmung zu leben, sie kann Leben blockieren und neue Möglichkeiten verhindern. Der Mensch ist innerlich nicht frei in seinem Verhalten, seinen Handlungen und Entscheidungen.

Widerstand wahrnehmen und benennen

Wie können wir gut mit unseren inneren Widerständen umgehen und sie uns und anderen sogar zunutze machen? Dass wir Widerstandskräfte entwickeln, ist (lebens-)notwendig. Sie schützen uns, verleihen uns Identität und helfen uns bei unserer Weiterentwicklung. Widerstände laden uns ein, uns durch die Umstände anfragen und verändern zu lassen - oder die Umstände zu verändern. Deshalb ist es zunächst einmal wichtig, einen Widerstand, zum Beispiel vor einer Begegnung oder einer Aufgabe, bewusst wahrzunehmen und ihn ehrlich vor sich selbst zu benennen. Kopf und Gefühle sollten dabei beteiligt sein: Was regt sich genauer in mir? - Ist es Ärger oder Angst, Scham, Trotz oder Eifersucht, sind es Vorurteile oder Zweifel, ist es Müdigkeit oder Resignation? - Ist der Widerstand angemessen? - Ist er überwindbar, auszuhalten, kann ich mich mit ihm arrangieren? - Wenn nicht, was wäre eine realistische und ehrliche Alternative?

Sich zu drücken, wie der Prophet Jona, der „weit weg vom Herrn“ (Jona 1,3) sich diesem entziehen wollte, führt meist in die Sackgasse oder eben in den Bauch des Wales, Bild für eine tiefe Regression. Wer Glück hat, den spuckt der Lebensdrang irgendwann wieder an Land.

Widerstand gegen Gott

Es gibt also auch einen Widerstand gegen Gott. Der Mensch, auch der gläubige und der betende Mensch, kann sich der Liebe und Zuwendung Gottes in der Tiefe verweigern. Der Buchautor Anthony de Mello schreibt dazu eine kleine, sehr erhellende Geschichte:

Foto: Peter Weidemann
In: Pfarrbriefservice.de

„Ich hatte ein ziemlich gutes Verhältnis zum Herrn. Ich pflegte, ihn um Dinge zu bitten und mich mit ihm zu unterhalten, ihn zu loben und ihm zu danken. Aber ich hatte stets das unangenehme Gefühl, er wolle mich veranlassen, ihm in die Augen zu sehen. Und ich wollte nicht. Ich redete zwar, blickte aber weg, und ich wusste, warum. Ich hatte Angst, einen Vorwurf dort zu finden wegen irgendeiner noch nicht bereuten Sünde. Ich dachte, ich würde auf eine Forderung stoßen: Irgend etwas wollte er wohl von mir.

Eines Tages fasste ich Mut und blickte ihn an. – Da war kein Vorwurf. Da war keine Forderung. Die Augen sagten nur: ‚Ich liebe dich.‘ Ich blickte lange in diese Augen, forschend blickte ich in sie hinein. Doch die einzige Botschaft lautete: ‚Ich liebe dich.‘

Und ich ging hinaus und weinte wie Petrus, als er den Herrn dreimal verleugnete.“

 

 

Die Gnade kann mehr

Oft wissen wir nicht recht, wie es gehen kann, mit Gott oder Jesus (wieder) in einer lebendiger Beziehung zu sein. Vorbehalte stehen im Weg, sich ihm zu öffnen. Aber es gibt vielfältige Einladungen dazu: eine tägliche stille Zeit zum Beispiel - und sei es nur eine Viertelstunde, vielleicht vor einem Christusbild, dabei die „Gnade erbitten, () dass ich nicht taub sei auf Seinen Ruf hin“ (Exerzitienbuch des Ignatius, 91). Oder wie Niklaus von Flüe beten: „Nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Gib alles mir, was mich fördert zu dir“ (Gotteslob 9,5). Das Betrachten einer Bibelstelle kann zu einem Schlüssel werden, das Hören einer guten Predigt, ein geistliches Gespräch, der Empfang des Sakraments der Versöhnung oder der hl. Kommunion, ein paar stille Tage oder Exerzitien an einem geeigneten Ort. – Zahlreiche Möglichkeiten, sich mit seiner Sehnsucht und der eigenen Lebenswirklichkeit in den liebenden Blick Gottes zu stellen.

In der Feinstaubzone kann es unserer Seele auf Dauer nicht gut gehen. Sie möchte hinaus in die Frische der Liebe und Güte Gottes! Und selbst dann, wenn wir uns schwach und verzagt fühlen: „Die Gnade kann mehr“ (André Louf), die Gnade kann sogar Widerstände abschmelzen, behutsam und geduldig, wenn wir uns ihr überlassen.

Eine gnaden-reiche und farben-frohe Herbstzeit wünscht Ihnen
Marlies Fricke (GCL)

23. September 2020

Zweifel und Widerstände sind oft nicht leicht auszuhalten. Aber hinter ihnen kann eine starke Sehnsucht nach Echtheit und Erkenntnis liegen. Reden hilft, wie beim Apostel Thomas. Und Beten hilft.

Foto: Tiffanirub14 - CC BY-SA 4.0

„Das Verhältnis des Herzens zu Gott ist zwiespältig. In ihm ist die Sehnsucht nach Gott, das Verlangen nach seiner heiligen Wirklichkeit – zugleich aber auch die Abneigung, das Misstrauen, die Gereiztheit, die Revolte. Das ist es, was dem Glaubenszweifel seine letzte und eigentliche Gefährlichkeit gibt. Dessen innerster Antrieb ist die Feindseligkeit gegen Gott. Das müssen wir wissen. So gehört in jede Auseinandersetzung mit dem Zweifel das Gebet.

Das wichtigste Gebet aber besteht darin, sich innerlich vor Gott zu stellen; die Auflehnung wegutun; die verborgene Gereiztheit zu lösen; sich zur Wahrheit bereitzumachen; sich dem heiligen Geheimnis Gottes zu öffnen und immer wieder zu sprechen: ‚Ich will die Wahrheit. Ich bin zu ihr bereit, auch zu dieser, die mir zu schaffen macht, wenn sie wirklich Wahrheit ist. Gib mir Licht, dass ich erkenne, wie es mit ihr – und mit mir selbst zu ihr steht.‘“

Romano Guardini (1885 – 1968), Theologe und Religionsphilosoph