Wer will ich sein?

Foto: Gorkaazk - CC BY 4.0

Auf meinem Schreibtisch sammeln sich Stapel von Papieren. Jetzt muss das wegen meines Umzugs alles weg. Und da bin ich auf einen Zettel gestoßen, den ich gern an Sie weitergebe, denn er hat auch mich wieder sehr zum Nachdenken gebracht. Das Gedicht stammt von Wilhelm Willms (1930-2002), einem Aachener geistlichen Dichter, der auch viele Lieder geschrieben hat. Am bekanntesten ist „Ave Eva“, ein geistliches Singspiel von ihm und Peter Janssens. Aber nun zu dem Text in seiner alten Schreibweise, den ich Ihnen gern diese Woche zum Meditieren geben möchte, und zwar mit drei Fragen.

Welche Menschen kommen mir sofort vor Augen, wenn ich diese Zeilen lese?

Wer will ich sein?

Wo komme ich vor?

wußten sie schon

wußten sie schon
daß die nähe eines menschen
gesund machen
krank machen
tot und lebendig machen kann

wußten sie schon
daß die nähe eines menschen
gut machen
böse machen
traurig und froh machen kann

wußten sie schon
daß das wegbleiben eines menschen
sterben lassen kann
daß das kommen eines menschen
wieder leben läßt

wußten sie schon
daß die stimme eines menschen
einen anderen menschen
wieder aufhorchen läßt
der für alles taub war

wußten sie schon
daß das wort
oder das tun eines menschen
wieder sehend machen kann einen
der für alles blind war
der nichts mehr sah
der keinen sinn mehr sah in dieser welt
und in seinem leben

wußten sie schon
daß das zeithaben für einen menschen
mehr ist als geld
mehr als medikamente unter umständen
mehr als eine geniale operation

wußten sie schon
daß das anhören eines menschen
wunder wirkt
daß das wohlwollen zinsen trägt
daß ein vorschuß an vertrauen
hundertfach zurückkommt

wussten sie schon
dass tun mehr ist als reden

wussten sie das alles schon

Reichlich Stoff zum Nachdenken und Meditieren, liebe Leserinnen und Leser.
Und damit grüße ich Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

13. Juli 2022

Als Bibeltext passt sehr gut die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Da kommen ja viele Beteiligte vor, die in dem Text von Willms genannt sind. Das Bild von Vincent van Gogh zeigt uns auch den Priester und Leviten noch auf dem Weg vorbei…

Lukas 10,30 - 37

10,30 Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. 31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. 32 Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, 34 ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. 35 Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? 37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!