
Foto: Manfred Heyde - CC BY-SA 3.0
Wie schön blüht uns der Maien! In diesem Jahr fällt mir dazu das Gedicht von Schalom Ben-Chorin ein, das er 1942 in der Bedrängnis des Zweiten Weltkriegs geschrieben hat:
Das Zeichen
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.
Der deutschsprachige Ben-Chorin, der 1948 erster Ministerpräsident des Staates Israel werden sollte, entkommt im Exil der Vernichtung seines jüdischen Volkes. Aus der Ferne denkt er an Jerusalem und an die zarte Botschaft des Mandelbaumes, der in noch karger winterlicher Landschaft seine ersten Blüten treibt. Der Mandelzweig wird zum Hoffnungszeichen dafür, dass der Frühling kommt, dass es neue Früchte geben wird und dass Gott über seine Schöpfung wacht und in ihr wirkt.
Vielleicht kann das Bild von der Jerusalemer Mandelblüte auch ein inneres Bild für uns selber sein, ein Hoffnungsbild in der vielschichtig schweren Zeit der Corona-Krise. Wer möchte bestreiten, dass das Virus nicht längst auch unsere Seele erreicht hat? Die Seele, die sich danach sehnt, dass das Leben „wieder blüht und treibt“, die sich sehnt nach Begegnung und Nähe, nach Trost und physischer Zuwendung, nach Normalität und Sicherheit. All das ist in unserem Alltag an vielen Stellen eingebrochen, wie auch die Wirtschaft von einem enormen und bitteren Einbruch spricht.
Aber kann mit einem „Einbruch“, durch Risse und Löcher, nicht auch neues Licht hereinbrechen? Viele machen gerade jetzt die Erfahrung: Erst wenn das gewohnte Leben und Handeln unterbrochen wird, kann Neues zum Vorschein kommen.
Als Christen stehen wir mitten in der Osterzeit 2020. Kirchlich durften wir den Einbruch des Osterlichtes zwar nur sehr eingeschränkt feiern, dennoch feiern wir fünfzig Tage lang „des Lebens Sieg“ über Tod und Dunkelheit durch die Auferstehung Christi. Fünfzig Tage lang singen wir das österliche Halleluja, denn nicht Verzagtheit soll uns bestimmen, sondern „in uns will Christus Sieger sein“ (Gotteslob 324). Ostern ist größer als Corona! Ostern ist größer als alles Menschenmögliche und -erdenkliche. Gottes Licht, seine Güte und seine Kraft wollen in uns einbrechen, mal lautstark „wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt“ (Apg 2,2), mal auch ganz leise wie bei Maria in Nazareth (s.u.). – Jenseits von Statistiken und einbrechenden Börsenkursen dürfen wir auch mit Gottes Einbruch rechnen, mit seinem „Fingerzeig, dass die Liebe bleibt“.
Schauen wir doch einmal nach blühenden Mandelzweigen in unserer Umgebung, nach oft kleinen und zarten Hoffnungszeichen – zum Beispiel wo jetzt neue Kreativität und Solidarität in Familien, Nachbarschaften oder Betrieben wächst. Oder wo jetzt neu über bisherige Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten nachgedacht wird. SEIEN wir selber Hoffnungszeichen durch eine besonnene und verantwortungsvolle Haltung, mit kluger, auch geistlicher Unterscheidung. Nicht Angst und Verzagtheit sollten die Herrschaft über uns gewinnen, wenn wir jetzt die nächsten Schritte gehen, sondern vielmehr Trost und Hoffnung, denn „GOTT herrscht in uns, ER herrscht im All“ (GL 324).
Übrigens ist das Gedicht vom blühenden Mandelzweig auch zu einem bekannten Friedenslied geworden, das in diesen Tagen eine besondere Bedeutung bekommt: Übermorgen, am 8. Mai 2020, dürfen wir in unserem Land „75 Jahre Frieden“ feiern. Gott sei Dank!
In diesem Sinne Ihnen österliche Maiengrüße und ein herzliches SCHALOM!
Marlies Fricke (GCL)
06. Mai 2020
Wie ein helles Licht bricht Gottes Botschaft in das Leben der jungen Maria in Nazareth ein. Von der inneren Erschütterung des Mädchens erfahren wir nicht viel aus der Bibel. Aber Maria hat dem Einbruch ihres Lebens zugestimmt und Gott ihr Ja-Wort gegeben.

Die Verkündigung / The Annunciation, Henry Ossawa Tanner, 1898
Lukasevangelium 1,26-38
26 Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret 27 zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. 28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. 29 Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. 30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. 34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? [2] 35 Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. 36 Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat. 37 Denn für Gott ist nichts unmöglich. 38 Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.