Was hält eigentlich?

Foto: © Martha Gahbauer, pfarrbriefservice.de

Deutschlands wohl berühmteste Straße wird bald abgebaut. Am 29. März 2020 verabschiedet sich die „Lindenstraße“ nach 35 Jahren sonntäglicher Ausstrahlung von ihrer Fernsehgemeinde. Für viele Zuschauer ein nicht leichter Abschied; immerhin haben sie im Laufe der Sendejahre 21 Geburten, 36 Hochzeiten und 53 Todesfälle „erlebt“. Wahre Bekennerinnen und Bekenner gibt es, die mit der Kultserie groß- oder altgeworden sind. Das schweißt zusammen. Da tut Scheiden weh, auch von einer gespielten Wirklichkeit und von einer Kunstgestalt wie Mutter Beimer.

An wirkliche Verluste, Abschiede und Glaubenserfahrungen rühren die Feier- und Gedenktage der kommenden Wochen: Reformationstag, Allerheiligen, Allerseelen, Jahrestag der Reichspogromnacht und des Mauerfalls, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Toten- bzw. Christkönigsonntag. Facettenreich prägen diese Daten das Ende des Kirchenjahres. Immer aber steht im Mittelpunkt persönliche oder gesellschaftliche Geschichte, der Verlust von Einheit und Frieden, von geliebten Menschen, das Leiden und Sterben Unzähliger durch Krieg, Gewaltherrschaft, Verfolgung oder Flucht bis in unsere Tage. Ganz persönlich-individuell und kollektiv erinnern wir uns an Schweres und auch an Gutgewordenes. Es sind Tage, um zu trauern, zu ermahnen, zu bereuen, um Trost zu finden und auch zu danken und um aus der Vergangenheit zu lernen für die Gegenwart und Zukunft.

Foto: Corradox - CC BY-SA 3.0

Es ist gut, dass wir dafür religiöse wie weltliche Rituale und Orte haben, Gottesdienste und Gedenkfeiern. Hier haben Trauer, Scham, Schuldbekenntnis, Gebet und öffentliche Worte Platz zwischen Kerzen, Kränzen und Chorgesang. Die katholische Kirche beginnt den dunklen Monat November sogar mit einem strahlenden, geradezu österlichen Fest, Allerheiligen, an dem sie dankbar aller Heiligen gedenkt, also der offiziell selig- und heiliggesprochenen und aller Menschen, die wir über den Tod hinaus in Gottes Liebe geborgen glauben.

Während sich die „Trauer“ um die Lindenstraße im Netz oder in der Fangemeinde leicht oder gar augenzwinkernd teilen lässt, brauchen wir in persönlichen Verlusten oft einen schützenden Rahmen. Vertraute Menschen, Begleiterinnen und Begleiter können Halt geben und von Zeit zu Zeit auch bergende Einsamkeit, in der die Tränen frei fließen können. Gerade diejenigen, die im Laufe des letzten Jahres einen lieben Menschen verloren haben - Mutter oder Vater, den Mann, die Frau, ein Kind, Freundin oder Freund -, gerade diese Menschen werden in den kommenden Tagen ihre Trauer besonders spüren und dieser Ausdruck verleihen wollen, auch im Glauben.

Wie gehen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, persönlich mit Abschieden und Verlusten um? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? - Vielleicht möchten Sie auf einem Herbstspaziergang einmal der Frage nachgehen, wo Sie schmerzliche Situationen durchlebt haben? – Im Zeit-Magazin gibt es die Rubrik „Das war meine Rettung“. Prominente erzählen hier, was Ihnen in Lebenskrisen geholfen hat, wie zum Beispiel Freunde oder Familie, ein Film, ein Satz, der Glaube, eine Flucht, ein Ritual, eine Veränderung … - Was war Ihre Rettung in einer krisenhaften Situation? Wer oder was fehlt Ihnen vielleicht gerade heute, damit Sie Halt spüren und Schmerz und Leid besser tragen können?

Mir fällt der Psalm 121 als wunderbarer Engelgesang in Mendelssohn-Bartholdys Elias ein:  „Meine Hilfe kommt vom Herrn!“ - Die Augen aufheben, ja, das Herz zu Gott erheben, um Hilfe und Halt zu erlangen! In den Betrachtungen und Gebete(n) des kürzlich heiliggesprochenen John Henry Newman lese bzw. bete ich:

„Löse die Bande, wecke auf mein Herz! Halte mein ganzes Sein fest in Dir! Laß mich Dein Angesicht nie aus den Augen verlieren! Und während mein Blick in Dir ruht, laß meine Liebe zu Dir wachsen, täglich mehr!“ Hier ruft jemand existenziell aus dem Bedürfnis nach Gehaltensein: „Halte Du mein ganzes Sein fest!“. Es ist ein Ruf nach dem Kümmerer, dem Retter, den wir auch von stürmischer See bei den Jüngern im Boot kennen (Mk 4, 35-41).

Wer und was hält Tag für Tag unser Sein, unser Tun, unser Leben?

Wenn in Köln-Bocklemünd demnächst die Filmkulissen fallen, wissen wir nicht, was bei den Zuschauern bleiben wird von der „Lindenstraße“. Die Botschaft von Jesus aber, seit Jahrtausenden verkündet und gehört, die bleibt, als die Botschaft vom Immanuel, die da heißt: Gott mit uns - garantiert nachHALTig!

Ich wünsche Ihnen einen vertrauensvollen Weg durch den November und grüße Sie herzlich

Marlies Fricke (GCL)

30. Oktober 2019

„Bleib behütet!“, so verabschieden wir uns manchmal voneinander. Der Psalmist weiß um Gottes aufmerksame Hut für den Einzelnen und für das Volk. Kommen und Gehen, Licht und Schatten hält Er, der Hüter, in seiner Hand:

Foto: © Peter Weidemann, pfarrbriefservice.de

Psalm 121

Ich erhebe meine Augen zu den Bergen:
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde erschaffen hat.
Er lässt deinen Fuß nicht wanken;
dein Hüter schlummert nicht ein.
Siehe, er schlummert nicht ein und schläft nicht,
der Hüter Israels.
Der Herr ist dein Hüter,
der Herr gibt dir Schatten zu deiner Rechten.
Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden
noch der Mond in der Nacht.
Der Herr behütet dich vor allem Bösen,
er behütet dein Leben.
Der Herr behütet dein Gehen und dein Kommen,
von nun an bis in Ewigkeit.