Was die Seele sättigt

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Zum Fest meines Ordensgründers Ignatius von Loyola (1491-1556) möchte ich etwas über einen Text von ihm schreiben, der sehr häufig zitiert wird. Es ist ein Grundsatz in der zweiten Vorbemerkung zu den Exerzitien und Sie haben ihn vielleicht schon gehört: „… nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen“ (H. U. v. Balthasar). Oder in einer anderen Übersetzung: „…denn nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Innerlich-die-Dinge-Verspüren-und-Schmecken“ (P. Knauer).

Es geht also um das, was mich innerlich sättigt und befriedigt. Was die Seele sättigt. Was den Bauch sättigt, sehen wir oben im Bild. Das kann so ein Berg Spaghetti sein. Aber meine Seele? Was macht die Seele wirklich satt und zufrieden?

Ignatius unterscheidet hier vor allem im Hinblick auf die Sachverhalte und Texte, mit denen wir in der stillen Zeit der Exerzitien zu tun bekommen, also Geschichten aus der Bibel, meist dem Neuen Testament. Also das, was sehr viele für die tägliche Meditationszeit nehmen. Oft kenne ich die Texte schon. Ich weiß einiges darüber. Manches bleibt mir fern und fremd. Ich kann viel über die Texte wissen, auch viel Interessantes, aber das sättigt die Seele nicht. Es bleibt nur im Kopf. Es erreicht nicht die Seele. Es berührt nicht das Herz. Aber gerade darauf kommt es an, dass es mich berührt, dass es mich angeht, dass es mich betrifft, dass es etwas in mir auslöst.

Es gibt eine erfolgreiche Fernsehserie im ZDF namens „Killing Eve“. Darin kommt eine pathologische Auftragsmörderin namens Villanelle vor. Sie geht in eine Selbsthilfegruppe und stellt sich dort vor und ist verwundert, als ihr niemand glaubt, was sie erzählt. „Bullshit“, sagen sie. Sie fühlen sich angelogen und waren es auch. Beim nächsten Mal erzählt sie die Wahrheit und sagt, dass sie nie etwas fühlen und spüren könne, egal was sie tut. Da fühlen die anderen sich angesprochen. Nachvollziehbar für alle dort. Denn so geht es vielen. Vielen jungen Menschen, vielen jungen Frauen. Sie verletzen sich selbst, um etwas, um sich selbst fühlen zu können. Meistens stehen tiefe seelische und körperliche Verletzungen im Hintergrund, die zu der Fühllosigkeit geführt haben und die geheilt werden müssen, um wieder fühlen zu können.

Das ist eine krankhafte und pathologische Form der Fühllosigkeit. Aber sie macht im Extrem deutlich, was Ignatius meint mit dem Unterschied von Vielwissen und dem innerlich Spüren und Schmecken. Meditation ist eine Weise, wieder tiefer empfinden und fühlen zu können, die Schutzwände durchlässiger zu machen und den Dingen und sich selbst auf den Grund zu kommen. Dieses tiefe Spüren und Schmecken ist selbst ein Geschenk. Wir müssen darum beten und bitten, dass sich unsere Seele auftut und dass sie berührt wird. Ignatius möchte als Hilfe dazu, dass wir uns ganz in die Szenen des Evangeliums hineinbegeben, uns selbst zum Mitwirkenden machen, um das Geschehen an und in sich selbst geschehen zu lassen.

Am besten gelingt das meiner Erfahrung nach gemeinsam mit der Methode des Bibliodramas. Ich habe sie schon oft geübt und erlebt. Da stellt man sich an einen Ort im Übungsraum und versetzt sich in eine Person oder eine Empfindung im Bibeltext, z. B. in den ungläubigen Thomas oder in den Zweifel. Dann wird man vom Dramaleiter befragt, wer man ist und wie man sich gerade befindet. Und schon bei der Befragung steigen oft sehr stark die Empfindungen empor, bis hin zu Tränen. Wir begreifen den Text und uns selbst viel tiefer, indem er uns begreift, anfasst und anrührt.

Es geht bei dem Zitat des Ignatius nicht um eine Entgegensetzung von Wissen und Gefühl! Es geht um tieferes Wissen, umfassenderes Wissen. Im Deutschen haben wir ein gutes Wort dafür, nämlich das Gemüt. Das Gemüt liegt tiefer als bloße Ratio und bloße Emotion. Im Gemüt sind beide zusammen. Es bezeichnet die Tiefe der Person, ihr Herz. Wovon Pascal sagt: „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“ — Pascal Pensées IV, 277: "Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît pas." Besser sagt und begreift es noch die Bibel. Sie nennt die Liebe zwischen zwei Personen „erkennen“. Das eigentliche Erkennen, Verstehen und Begreifen geschieht also in der Liebe. Sie erst ist dem anderen ganz geöffnet. Und diese Liebe ist nicht nur die zwischen Menschen. Und sie ist nicht zu verwechseln mit Sexualität. Sexualität ist ja auch auf der Ebene des Triebhaften und des Begehrens, des Habenwollens. Die Liebe geht darüber hinaus und will nicht etwas nur für sich selbst, sondern für den anderen.

Erst die Liebe bringt der Seele und dem Herzen die wahre Sättigung und Zufriedenheit. Sie bringt die Freude, Dankbarkeit und Dienstbereitschaft. Oder wie Ignatius sagt: „in allem Lieben und Dienen – en todo amar e servir.“

Damit verabschiede ich mich jetzt in die Ferien. Wir machen vier Wochen Pause und im September bin ich wieder für Sie da!

Eine gesegnete und frohe Zeit wünscht Ihnen
Thomas Gertler SJ

26. Juli 2023

Es ist ja sehr naheliegend hier nun das Hohelied der Liebe von Paulus im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes als Bibeltext zu nehmen. Er wird sehr gern für Hochzeiten genommen, aber gilt für das ganze Leben der Christen. Als Bild sehen Sie das Wappenzeichen des heiligen Augustinus: das brennende Herz, vom Pfeil der göttlichen Liebe durchbohrt.

1. Brief an die Korinther 13,1 - 13

1 Kor 13,1 Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. 3 Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts. 4 Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. 5 Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. 6 Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. 7 Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. 8 Die Liebe hört niemals auf. / Prophetisches Reden hat ein Ende, / Zungenrede verstummt, / Erkenntnis vergeht. 9 Denn Stückwerk ist unser Erkennen, / Stückwerk unser prophetisches Reden; 10 wenn aber das Vollendete kommt, / vergeht alles Stückwerk. 11 Als ich ein Kind war, / redete ich wie ein Kind, / dachte wie ein Kind / und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, / legte ich ab, was Kind an mir war. 12 Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, / dann aber werde ich durch und durch erkennen, / so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. 13 Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe.