„Asche!“ Das sagte jetzt Mario Adorf klipp und klar im Spiegelinterview. Und er hat ja recht – denn was hören wir jeden Aschermittwoch: „Gedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staube zurückkehrst!“ Es bleiben Staub und Asche, Friedhofserde. Das stimmt. Darin sind wir uns einig. Und es ist wichtig, das auch zu bedenken. Bedenke ich es überhaupt? Oder will ich es gar nicht bedenken? Und wenn ich es bedenke, welche Folgerung ziehe ich daraus? Welche Folgerung ziehen Sie daraus?
Die Folgerung kann nämlich völlig gegensätzlich sein. Wie heißt es so schön bei Armando Palacio Valdes (1853 - 1938): „Man lebt nur einmal, sagen die Narren. Man lebt nur einmal, sagen die Weisen.“ Die einen entschließen sich, weise zu leben, weil sie nur einmal leben. Die anderen, närrisch zu leben, denn wenn mit mir Schluss ist, dann soll gefälligst mit allem Schluss sein. Nach mir die Sintflut… Oder? Das ist doch sehr verständlich und logisch. Das ist seit biblischen Zeiten so: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“, zitiert schon Paulus seine Zeitgenossen (1 Kor 15,32).
Der Weise lebt weise, das heißt er lebt so, dass alle leben können. Warum? Weil er selbst sein Leben Menschen verdankt, die wollten, dass er lebt. Und darum will der Weise auch, dass seine Kinder leben und die Kindeskinder, selbst wenn er stirbt. Und er will, dass auch die Delphine leben und ihre Jungen. Denn sogar wenn es stimmen sollte, dass mit meinem Tod für mich alles aus sein sollte, so geht doch das Leben weiter. Und das Leben geht nur weiter, wenn alle leben können, auch die Bienen, auch die Mücken, mag es mich auch nicht entzücken.
Was bleibt? Das ist also nicht nur die Frage, was und ob überhaupt etwas nach meinem Tod kommt, sondern die Frage, was in diesem Leben bleibt und was über mein individuelles Leben hinaus bleibt. Und zwar zuerst einmal hier in diesem irdischen Leben. Da vergeht auch ganz vieles, auch ich, aber doch in einer Kette aus Empfangen und Geben, aus Leben empfangen und Leben geben. Das Leben will und soll weitergegeben werden.
Wir müssen es noch genauer sagen. Nicht einfach nur Leben im Sinne von Vegetieren, Dahinleben, sondern gelingendes Leben, und das ist mehr als bloßer Wohlstand, sondern das meint auch Freiheit und Freude und Liebe und Schönheit und Wahrheit und Ganzheit. Das meint auch Gebrauchtwerden, das meint auch sich Einsetzen, Helfen, Beistehen, Gutes Tun. Daraus erwächst Freude. Daraus erwächst ein weises und sinnvolles Leben. Sinn hat mein Leben nur dann, wenn es verbunden ist mit dem Ganzen. Denn Sinn ist Zusammenhang, Verbindung, Beziehung zum Ganzen. Wenn sie verloren gehen, ist mein Leben sinnlos. Ich weiß dann nicht mehr, wofür ich lebe, arbeite, mich plage und meine Tage verbringe.
Was bleibt? Die Kurzformel dafür heißt: „Die Liebe wird bleiben und was sie getan hat.“ So fasst es das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) in dem Dokument über die Kirche in der Welt zusammen (Gaudium et spes, Nr. 39,2) und beruft sich dabei auf Paulus und seinen schönsten Text über die Liebe („Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“, 1 Korinther 13,13).
Das getreue Bleiben gehört genauso zu den österlichen Aufträgen Jesu wie das Loslassen bei Magdalena und das verbindlich Werden bei Petrus (vgl. die beiden letzten Impulse). Der Lieblingsjünger Johannes ist es, der bleiben soll. Also das Dabeibleiben oder die Treue oder das bleibende Ja sind solche Kennzeichen des Christlichen. Und das bleibende Ja, das spricht erst einmal Gott selbst zu uns, sei es in der Taufe oder der Firmung oder der Ehe oder dem Priestertum oder dem Ordensleben. Gottes Ja ist ohne Reue. Es bleibt. Wir spiegeln dieses Ja in der Schwachheit, Gebrechlichkeit und Ungewissheit unseres Lebens wider. Aber oft gibt es tatsächlich dieses getreue Bleiben auch in unserem Leben und das ist ein großes und wichtiges Zeugnis für den Wert menschlichen Lebens und für Gottes Treue.
Aus Asche kann ein Diamant gepresst werden. Und Diamanten sind das Zeichen für das Bleiben („diamonds are for ever“). Freilich vergeht letztlich auch ein Diamant, aber Gottes Liebe bleibt. Und jeder Mensch ist auch ein Werk der Liebe Gottes, das bleibt. Darum bleiben wir und das, was wir aus Liebe getan haben.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
15. Mai 2019
Es gibt um den Bodensee herum mehrere Bildwerke, die zeigen, wie Johannes, der Lieblingsjünger an der Brust Jesu ruht, die sogenannte Johannesminne. Eines der schönsten ist hier abgebildet. Es lässt sich lange betrachten. Welch ein Platz und welch ein Augenblick, zu dem ich sagen möchte: „verweile doch, du bist so schön“ (Goethe).
Johannes 21, 20 - 25
21, 20 Petrus wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus liebte und der beim Abendmahl an seiner Brust gelegen und ihm gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich ausliefert? 21 Als Petrus diesen sah, sagte er zu Jesus: Herr, was wird denn mit ihm? 22 Jesus sagte zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? Du folge mir nach! 23 Da verbreitete sich unter den Brüdern die Meinung: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte ihm nicht gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? 24 Dies ist der Jünger, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. 25 Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen.