Wahrheit leuchtet ein

Foto: Stiller Beobachter - CC BY 2.0

Haben die Menschen heute schon viele Schwierigkeiten mit der Freiheit und damit, die Freiheit recht zu gebrauchen und Entscheidungen zu treffen, so ist es mit der Frage nach der Wahrheit heute noch viel schwieriger. Ganz viele Menschen glauben, dass wir Menschen die Wahrheit nicht erkennen können, höchstens Teilaspekte. Ja, es gibt schon oft die Ansicht, wer überhaupt einen Wahrheitsanspruch vertritt, wer also sagt: „Das, was ich hier sage, das ist wahr“, der ist schon ganz nahe an der Intoleranz. Der lässt den anderen schon nicht mehr gelten.

Solch ein heftiges Thema gleich am Beginn des Neuen Jahres? Ja, ich habe gedacht, es passt, denn es durchdringt gerade unser ganzes Leben. Überall springt es uns an, dieses Problem mit der Wahrheit. Und ich will versuchen, den einen oder anderen Wegweiser oder Leuchter aufzustellen. Nicht endgültige Lösungen anzubieten, sondern hinzuweisen, wie wir die nächsten Schritte in unserem Leben gehen können, ohne in die völlige Ausweglosigkeit, in den Nebel, die Beliebigkeit und in die Irre zu geraten.

Es war die Auffassung der Aufklärung, dass die Wahrheit die großartige Eigenschaft hat, dem Menschen einzuleuchten. Wahrheit setzt sich von selbst durch, weil der Mensch in der Lage ist, die Wahrheit zu erkennen. Der Mensch ist wahrheitsfähig. Darum muss die Wahrheit nicht mit Gewalt durchgesetzt werden, weil sie diese Eigenschaft hat. Und das gilt ja immer noch. Wahrheit leuchtet ein. Ich kann es vor mir selbst nicht leugnen, dass zweimal zwei vier ergibt. Stimmt‘s? Wir nehmen dafür auch gern das Wort „Evidenz“. So gerät derjenige, der die Wahrheit völlig leugnet, dadurch in einen logischen Widerspruch. Denn wenn ich sage: „Es gibt keine Wahrheit“, dann will ja wenigstens dieser Satz wahr sein. Ich kann also ganz generell die Wahrheit gar nicht leugnen ohne in diesen logischen Widerspruch zu geraten. Das ist doch evident oder? Das leuchtet doch ein?! Freilich kann ich dann immer noch die Wahrheit jeder Einzelaussage anzweifeln und darf das auch, ja, unter Umständen muss ich das auch. Denn es gibt ja Irrtum und es gibt Lüge.

Wobei auch die Lüge noch den Vorteil hat, die Wahrhaftigkeit normaler menschlicher Rede zu beweisen. Denn Lüge funktioniert nur deshalb, weil der andere normalerweise glaubt, dass ich die Wahrheit sage, also dass es Wahrheit gibt, dass ich sie erkennen und auch aussprechen kann und das normalerweise auch tue. Sonst funktioniert Lüge nicht. Wenn wir Menschen völlig das Vertrauen verlieren, dass der andere die Wahrheit sagt, dann hört nicht nur das Vertrauen auf, sondern dann endet auch menschliche Gemeinschaft. Ich kann nicht mit jemandem zusammenleben, von dem ich überzeugt bin, dass er mich ständig anlügt.

Damit sind wir beim nächsten wichtigen Punkt. Wahrheit ist wie die Freiheit zutiefst mit unserem Zusammenleben als Menschen verbunden. Wahrheit hat es genau wie Freiheit mit Menschenwürde zu tun. Das ist uns ja oft zweifelhaft. Aber wir brauchen nur einmal darauf zu schauen, wie es in Systemen ist, wo die bloße Macht oder die Sicherheit, die Staatsicherheit, die Stasi an oberster Stelle steht. In einem solchen System habe ich in der DDR vierzig Jahre lang gelebt. Da gibt es bei den Menschen keinen theoretischen Zweifel an der Wahrheitsfähigkeit des Menschen, weil da der Staat vor nichts so viel Angst hat wie vor der Wahrheit und Menschen, die die Wahrheit sagen, ins Gefängnis steckt. Nur da wo es die Freiheit zum Zweifeln und zur Kritik und zur Wahrheit gibt, da zweifeln, ja, verzweifeln viele an der Wahrheit. Das ist heute bei uns die große Gefahr. Wo die Wahrheit aber unterdrückt wird, da wissen alle von der Kraft der Wahrheit, ja, diese Systeme beweisen sie gerade dadurch, dass sie sie unterdrücken.

Alexander Solschenizyn (1918-2008) hat das so gesagt: Der Schlüssel zu unserer Befreiung ist: „selbst nicht mitlügen!“ Ich kann nicht immer und nicht jedem die Wahrheit sagen, aber entscheidend ist, die Kette der Lügen nicht weiter fortsetzen.

Damit haben wir für jetzt erst einmal das Thema angerissen und ein paar Pflöcke eingeschlagen. Es wird noch weiter fortgesetzt. Aber den Ratschlag Solschenizyns möchte ich Ihnen gern mit in das neue Jahr mitgeben: Die Kette der Lügen nicht fortsetzen. Auch nicht die Lüge, es gäbe gar keine Wahrheit und alles wäre nur (beliebige) Meinung. Nein, wir sind zur Wahrheit fähig und sie leuchtet ein! Ob wir sie besitzen können, schreibe ich demnächst.

Möge Sie das Licht Gottes durch das Neue Jahr hin führen und leiten!
Thomas Gertler SJ

1. Januar 2020

Für das Johannesevangelium ist mit Christus das Licht Gottes erschienen. Es leuchtet in der Finsternis. Aber das Licht will ergriffen werden. Darauf kommt es an, im Licht zu leben, sich vom Licht Gottes erleuchteten und führen zu lassen und sich nicht davor zu fürchten. Alles, was wir in Gottes Licht stellen, wird auch in uns hell und heil.

Johannes 1,1 - 18

1,1 Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. 2 Dieses war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. 4 In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. 6 Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. 7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. 8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. 9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. 10 Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. 11 Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. 14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. 15 Johannes legt Zeugnis für ihn ab und ruft: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. 16 Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. 17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. 18 Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.