
Foto: G. Nissen
Der Mensch ist versuchbar. Wir alle sind es. Wenn auch sehr verschieden. Mehrmals haben wir unsere Versuch-Bar schon besucht. Leider gibt es im Archiv keine alten Impulse mehr dazu. Also schreibe ich einen alten Neuen. Heute handelt es sich um eine Erfahrung, die mit der Unterscheidung der Geister des Ignatius von Loyola zu tun hat und die in unserer Welt sehr aktuell ist. Die Versuchung des „noch mehr“, die Versuchung zu übertreiben, die Versuchung, es bis zum äußersten und bis ins Extreme zu treiben.
Das war die Erfahrung des Ignatius damals (1521/22). Er neigte zum Perfektionismus, wollte alles richtig, ganz richtig machen. Und das ging ins Extreme. Er wollte nach seiner Bekehrung auf keinen Fall wieder irgendeine Sünde tun. So geriet er in einen Beichtzwang und in ständiges Fragen: war das nun eine Sünde oder nicht? Mit dem Verstand war ihm klar, wenn ich da auf zwei Strohalme getreten bin, die zufällig in Kreuzform da lagen, dann war das keine Sünde, aber dennoch fühlte er den Zwang, das zu beichten. Er wurde ein Skrupulant. So nannte man damals Menschen, die immer Skrupel hatten, ob sie nun gesündigt hatten. Es war furchtbar. Man kann das alles in seiner Autobiografie, dem „Pilgerbericht“ nachlesen (Nr. 21-25).
Als ihn Gott in seiner Barmherzigkeit davon befreit hatte, schrieb er eigene Regeln zum Umgang mit solchen Versuchungen. So heißt es unter Nr. 349 des Exerzitienbuches: „Der Feind schaut sehr darauf, ob eine Seele grob oder fein ist. Und wenn sie fein ist, bemüht er sich, sie noch mehr zum Extrem zu verfeinern, um sie mehr zu verwirren und durcheinanderzubringen. … Wenn die Seele grob ist, bemüht sich der Feind, sie noch gröber zu machen.“ Das ist das Grundprinzip des Bösen: ins Extreme treiben und zwar so, dass dann nichts mehr geht.
Das gilt für den einzelnen und das gilt auch für Gemeinschaften und ganze Länder. Den, der schon ordentlich ist, führt der Versucher ins Pedantische, dass er vor lauter Ordnen, Regeln und Bleistiftspitzen zu nichts weiter kommt. Gilt das nicht manchmal auch für GANZ Deutschland? Umgekehrt führt er den, der schon großzügig ist, ins Chaotische, dass er in Unordnung versinkt, nichts mehr wiederfindet und keine Termine mehr klappen. Wo liegt da Ihre spezielle Versuchung zu übertreiben? Putzen, aufräumen und wegschmeißen oder sammeln und aufheben, ja nichts wegschmeißen? Gesundheit und (Extrem-)Sport? Fernsehen oder Computerspiele? Party bis der Arzt kommt? Alles hat so seine typischen Tendenzen ins Übertriebene und damit auch ins Gefährliche und Kranke, ins Aus und ins Nichts.
Am komischsten wirkt so eine Gemeinschaftstendenz in der Mode. Schuhe sind ja eigentlich dazu da, uns beim Laufen zu unterstützen. Immer wieder werden aber Schuhe entwickelt, mit denen zu laufen höchst gefährlich ist. So soll sich der kleine und dicke Präsident Kim aus Nordkorea wegen Plateau-Sohlen beide Fußknöchel auf einmal gebrochen haben. Nicht lachen, bitte!
Der Extremismus ist derzeit eine der Hauptgefahren in der Politik und in der Religion. Gerade diese Versuchung ist so gefährlich, weil sie die Hochherzigkeit und den Opfermut von jungen Menschen missbraucht und tatsächlich oft sie selbst und andere mit in den Tod führt. Gerade weil ich ganz ernst machen will mit dem Glauben und der Religion, gerade weil ich Gottes Willen an die oberste Stelle setzen will, gerade darum bin ich bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Das Gute wird zum Bösen missbraucht. Furchtbar. Und das gibt es in allen Religionen, in der Politik und auch in den Worten, im Reden und Schreiben. Immer mehr und überall diese Gefahr des Extremismus!
Das ist sicher nicht von Gott, sondern Versuchung des Bösen. Gott führt nicht ins Extreme, sondern in die Mitte, ins Zentrum. Dorthin, wo es wichtig und wesentlich ist. Das Extreme geht immer ins Außen, in das Äußerliche. Genaue, ja kleinliche und ängstliche Regelbefolgung wie es Ignatius mit sich selbst gemacht hat. Oder eben in andere Äußerlichkeiten wie Zerstreuungen und Partyfeiern. In die Übertreibung der Worte, weil man Angst hat, sonst nicht beachtet zu werden.
Nein, das ist sicher nicht Gottes Weg. Wenn Sie auf dem Weg des Übertreibens sind, gehen Sie wieder in die Mitte, ins Zentrum, in den Ausgleich und die Ausgewogenheit und das Harmonische und Friedvolle. Da finden Sie Gott und sich selbst wieder.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
7. November 2018
Jesus hatte öfter Streit mit den Pharisäern einer Glaubensgruppe des damaligen Judentums. Wie Jesus ging es ihnen darum, Gottes Willen zu tun. Und sie sind darin übergenau und perfekt, aber sie bleiben nur äußerlich. Sie übertreiben darin völlig. Jesus aber geht es um den inneren Sinn der Gebote. Das ist der Streit. Und der ist hart. Immer wieder gibt es diesen Pharisäismus, auch in der Kirche. Es geht dann um perfekte, aber letztlich nur äußere Befolgung des Willens Gottes.

Dill – eines der Kräuter, die Jesus erwähnt.
Lk 11,37 - 42
11,37 Nach dieser Rede lud ein Pharisäer Jesus ein, bei ihm zu essen. Jesus ging zu ihm und begab sich zu Tisch. 38 Als der Pharisäer sah, dass er sich vor dem Essen nicht die Hände wusch, war er verwundert. 39 Da sagte der Herr zu ihm: O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raffsucht und Bosheit.
40 Ihr Unverständigen! Hat nicht der, der das Äußere schuf, auch das Innere geschaffen? 41 Gebt lieber als Almosen, was ihr habt; und siehe, alles ist für euch rein. 42 Doch weh euch Pharisäern! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Gewürzkraut und allem Gemüse und geht am Recht und an der Liebe Gottes vorbei. Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen.