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Denkmal für Berlin – gesprengte Ketten (aber auch geteilte Stadt)
Ignatius schreibt in der Regel 12 zur Unterscheidung der Geister (Exerzitienbuch Nr. 325), dass der Böse sich mächtig macht und uns immer tiefer in die Sklaverei und Unfreiheit führt, je mehr wir ihm Raum geben. Dass er aber flieht, wenn wir ihm die „starke Stirn“ zeigen. Der Böse (und das Böse) macht sich mächtig, ist aber nicht mächtig. Es ist wie ein Luftballon in unserem Inneren, der sich aufbläht und mir immer mehr die Luft zum Atmen raubt. Aber wenn ich mit der Stecknadel hineinsteche, sinkt er in sich zusammen. Oder der Böse gleicht dem Scheinriesen in Michael Endes Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Wenn ich auf ihn zugehe, wenn ich mich wehre, wird er kleiner.
Jede/r kennt Reden der Unfreiheit und der Ohnmacht bei sich selbst: „Mit meiner Handy-Sucht oder mit meiner Schokoladen-Sucht oder mit meinem Jähzorn oder mit meiner Unfähigkeit, Nein zu sagen (und hier können Sie das Ihre einfügen …), werde ich nie fertig! Das bleibt immer so. Das ändert sich nie. Das wird eher schlimmer. Da kann man nichts machen.“ Immer mehr verzweifle ich an meiner Freiheitsmöglichkeit.
Gerade der letzte Satz: „Da kann man doch nichts machen“, begegnet oft auch in der Rede über unsere Gemeinschaften wie die Kirche, die Wirtschaft, die Politik bis hin zu schwierigen Familiensituationen. Rede der Ohnmacht. Wohl begründet. Und doch teuflisch. Denn erstens gebe ich meine Freiheit auf und zweitens verstecke ich mich hinter dem anonymisierenden „man“. Und durch das „man“ gebe ich auch noch die eigene Verantwortung auf.
Gerade durch diese Aufgabe der eigenen Verantwortung geschehen in der Menschheit die größten Verbrechen. Denn diese Verbrechen werden nicht von einzelnen als einzelnen begangen, sondern immer im Schutz der Gemeinschaft. Fast immer durch die Trennung von Verantwortung und Ausführung. Der Offizier, der den Schießbefehl gibt, führt ihn nicht aus. Die Schießenden führen nur den Befehl aus. Und das trifft nicht nur für das Militär zu. Das gibt es auf allen gesellschaftlichen Gebieten: Trennung von Verantwortung und Ausführung.
Darum achten Sie darauf, ob Sie selbst „man“ sagen, wenn Sie „ich“ meinen. Es hilft sehr, wirklich „ich“ zu sagen, wenn Sie ich meinen. Das ändert Blick- Denk- und Redeweise! Und dann auch Handlungsweise. Es ist ein Schritt in die Freiheit.
Also als erstes lernen „ich“ zu sagen, Verantwortung für mein Tun zu übernehmen. Erster Schritt in die Freiheit. Zweiter Schritt in die Freiheit: sich wehren gegen die Ohnmacht. Also beispielsweise nicht dem furchtbaren Spruch folgen: „Halb besoffen, ist rausgeschmissenes Geld!“, sondern sich zu sagen: „Das nächste Bier muss ich nicht trinken!“ Nicht sagen „Jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an!“, sondern den nächsten Schritt heraus tun! Nicht der Spirale nach unten in die Sklaverei nachgeben, sondern sich aufrichten und den Rücken gerade machen und rumdrehen in die entgegengesetzte Richtung.
Das ist entscheidend: der nächste, mir mögliche Schritt heraus und dagegen. Sobald ich diesen Schritt tue – und sei er noch so klein –, sobald wachsen in mir wieder Hoffnung und Zuversicht, wächst auch die Kraft, noch einen weiteren Schritt heraus zu tun. Hin in größere Freiheit und Handlungsmöglichkeit. Und das gilt nicht nur für das persönliche Leben, sondern auch für unser gemeinschaftliches Leben. Ja, auch in den verfahrenen Situationen in der Kirche und in unserem Arbeitsalltag gibt es den nächsten Schritt hinaus! Den muss ich aber nicht zuerst immer von den anderen erwarten, sondern von mir! Ich selbst muss ihn gehen und beten um die Kraft dazu. Wie schwierig das heute ist und wie ich trotzdem zur Entscheidung und zum nächsten, mir möglichen Schritt kommen kann, das schreibe ich beim nächsten Mal.
Mit adventlichen Grüßen
Thomas Gertler SJ
04. Dezember 2019
Paulus hat selbst die große Befreiung erfahren, als er vom Auferstandenen vor Damaskus vom Pferd geworfen wurde. Seitdem ist er der große Verkünder der Freiheit und lebt sie selbst. Er dringt darauf, dass die Heiden, die an Christus glauben, nicht erst Juden werden müssen, sich beschneiden lassen und das ganze jüdische Gesetz befolgen müssen, sondern frei davon sind. Der Gemeinde von Galatien schreibt er in einem seiner Briefe, dass sie unbedingt bei der Freiheit des Glaubens bleiben sollen.

Foto:QuartierLatin1968 - CC BY-SA 3.0
Kopf eines Galaters (vermutlich 3. Jh v. Chr.)
Galater 5,12 - 25
5,12 Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!
13 Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder (und Schwestern). Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! 14 Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!
18 Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz. 19 Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, 20 Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, 21 Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben.
22 Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht.
24 Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt.
25 Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen.