Unter die Haut

Foto: Kotofeij K. Bajun - CC BY-SA 4.0

Klassenfahrt auf eine Nordseeinsel mit vielen Mückenstichen. Die Lehrerin hilft einer Fünftklässlerin behutsam beim Auftragen des Gels. „Bei jedem Mückenstich“, so erzählt sie später, „hatte ich ein Gefühl, als würde ich dem Mädchen auch die Seele einreiben“; wusste die Pädagogin doch von dem prekären häuslichen Umfeld der Schülerin und um deren wunde Seele.

In unseren Wohnungen stehen oft Tuben und Dosen wohltuender Salben, Öle, Gels oder Cremes. Reiben wir uns damit schmerzende Körperstellen ein, so tut das unbewusst auch ein wenig der Seele gut. Da geht ‘was unter die Haut. Und mit der Zeit tritt (hoffentlich) eine heilende Wirkung ein. Ob es Zufall ist, dass auf dem Deckel des Klassikers Penaten vertrauenerweckend ein Schäfer abgebildet ist? „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt“, fällt mir Psalm 23 dazu ein. Der hier salbt, ist Gott als umsorgender Hirt. „Nichts wird mir fehlen …, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“

Wie gehen wir mit unseren Wunden um, mit den wunden Punkten und Narben unseres Lebens? Verstecken wir sie lieber oder können wir sie auch zeigen? Lassen wir uns von ihnen blockieren? Oder können wir sie auch liebevoll anschauen, sie bejahen, weil sie zu uns gehören?

In diesen Tagen blicken wir auf die Wunden Jesu. Er war berührbar und verwundbar und hat sich öffentlich verwunden lassen bis zur blutigen Hinrichtung. Aber nicht erst in den Tagen von Gethsemane und Golgotha hatte er es schwer. „Jesus ist während seines Lebens zuinnerst einsam gewesen. Wirklich neben ihm hat keiner gestanden. Seine Gedanken hat keiner geteilt, und bei seinem Werk hat ihm keiner geholfen“, so Romano Guardini in seinem Betrachtungsbuch Der Herr. „Immer wieder erscheint alles klein, eng, kümmerlich. Immer wieder ziehen sie seine himmlische Botschaft ins Irdische.“ Wer kennt nicht solche Einsamkeit und Vergeblichkeit aus eigener Erfahrung, Verwundungen und Zweifel bis tief in die Seele? „Aber Jesus ist ja gekommen, das zu bringen, was in anderer Weise groß ist als das Irdische.“ Dieses Große ist: Jesu Vertrauen in das Wirken des Vaters, ist Gottes bedingungslose und verschwenderische Liebe zu seinen Geschöpfen, die sogar den Verrat eines Judas und die Verleugnung eines Petrus umfasst.

„Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5) – Geheilt durch (Jesu) Wunden? Ist das nicht paradox? Vielleicht war auch deshalb Joseph Beuys‘ Installation Zeige deine Wunde zunächst so umstritten. Das Werk im Münchner Lenbachhaus ist ja keine leichte, aber eine lohnende Kost, die gerade in Krisenzeiten zu gesellschaftlicher wie persönlicher Auseinandersetzung einlädt. Nur Wunden, die gezeigt werden, so heißt es in dem oben unterlegten Video, können auch geheilt werden.

„Wenn wir uns zu unseren Wunden und ihrer Heilung bekennen, tragen wir auch zur ‚Heilung der Welt‘ bei“, schreibt der Prager Priester Tomás Halík einfühlsam in seinem Buch Berühre die Wunden. „Wir dürfen vor den Wunden der Welt nicht fliehen und ihnen unseren Rücken zuwenden.“ Und wahrlich sind beim Mitfeiern der Heiligen Woche auch Solche nicht vergessen, wie das Mädchen auf der Nordseeinsel. Die Leiden der Welt gehören in die Karwoche genauso hinein wie unsere persönlichen Schwächen und Tränen, wenn auf dem ganzen Erdkreis bezeugt wird: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.

Greifen wir das nächste Mal zur Schmerzsalbe, um uns dank Natur und Medizin etwas Gutes zu tun, können wir vielleicht hieran denken: Gesalbt ist ja jede/r Getaufte. Kranke und Sterbende können das Sakrament der Krankensalbung empfangen. Gesalbt werden Priester und Diakone bei ihrer Weihe. Die Firmlinge und auch Gegenstände wie z.B. Altäre oder Kelche werden gesalbt. König Charles wird im Mai bei seiner Krönung gesalbt, das Öl dafür wurde gerade in Jerusalem geweiht. - Immer geht es bei einer rituellen oder sakramentalen Salbung um Stärkung, Würdigung, Heilung, Sendung, vor allem aber um die Annahme des ganzen und realen Menschen „von oben“. Jede dieser Salbungen verweist uns letztlich auf den Gesalbten (= Messias), Jesus Christus selbst. So kann der banale Griff zur Tube zeichenhaft sogar zu einem heiligen Moment en miniature im Alltag werden. „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt …“

Wenn in der Karwoche in den Kathedralen die heiligen Öle für unsere Pfarreien geweiht und von dort ausgeteilt werden, mögen unsere Dörfer und Städte, Kirchen und Häuser wie damals in Betanien „vom Duft des Öls erfüllt werden“ (Joh 12,3)! Und wussten Sie übrigens, dass der Duft der Osternacht, der uns bald erwartet, vom Harz des verwundeten(!) Weihrauchbaumes stammt? – Bleiben wir also als erwartende, betende und vertrauende Menschen auf dem Weg, mit all unseren Wunden und Narben!

Gesegnete und heilende Tage wünscht Ihnen
Marlies Fricke (GCL)

29. März 2023

 

Verschwendung ist in unserer gegenwärtigen Zeit überhaupt nicht akzeptabel. Jesus aber verteidigt eine verschwenderische Geste der Zuneigung. Zugleich weist er damit auf seinen weiteren Weg bis zu seinem Begräbnis hin, ganz leiblich:

Foto: Schlierbach-Guenter - CC BY-SA 3.0

Matthäus 26,6-13

6 Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen war, 7 kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem Salböl zu ihm, als er bei Tisch war, und goss es über sein Haupt. 8 Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? 9 Man hätte das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. 10 Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte zu ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 11 Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer. 12 Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. 13 Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.