Unsere Oberflächlichkeit

Foto: HistoryOverFiction - C BY-SA 4.0

 

Über die Zerstreuungen habe ich vor 14 Tagen geschrieben. Damit im Zusammenhang steht die andere unserer heutigen Versuchungen: die Oberflächlichkeit. Sie hat zu tun mit unseren großen digitalen Möglichkeiten. Fast alle Informationen erreiche ich in Sekundenschnelle über Suchmaschinen. Sofort weiß ich alle wichtigen Dinge über den Buddhismus, über die Beatles, über den japanischen Kaiser, über den Pottwal, was auch immer. Es geht ganz schnell. Früher war das viel mühseliger. Die Schnelligkeit der Information und die Fülle der Information führen dazu, sie nur zu überfliegen, sie nicht genauer anzusehen, sie schnell abzuhaken und nicht in die Tiefe zu gehen oder nachzudenken.

Aber Oberflächlichkeit betrifft auch noch etwas anderes. Oberfläche an sich, die Oberfläche als Oberfläche ist heute so wichtig. Sie muss gut aussehen. Ja, möglichst perfekt. Die Fassade muss stimmen, sei es die des Hauses, der Wohnung oder der Person. Wie präsentiere ich mich? Welches Foto in die Bewerbung? Wie stelle ich mich bei der Bewerbung dar? Ich will ja den Job. Authentizität und Originalität? Ja, aber auch nicht zu sehr. Der gute erste Eindruck entscheidet oft. Das weiß die Psychologie heute. In den ersten Sekunden schon fällt die Entscheidung zwischen Sympathie oder Antipathie. Und wir denken, ich muss ganz perfekt aussehen und rüberkommen. Aber das ist es oft überhaupt nicht. Eine zu glatte Oberfläche macht auch misstrauisch und vermittelt den Eindruck, der andere sei nicht greifbar, alles total glatt. Wie die Schaufensterpuppe oben. Aber wie mag es in den Schubladen und geschlossenen Schränken und gar dem Hirnkastl aussehen? Ich will von anderen nie nur die Oberfläche sehen.

An der Oberfläche zu bleiben ist auch oft leichter im Umgang mit Menschen. Eigene Erfindungen gibt es dafür. Die Party zum Beispiel mit ihrem Smalltalk. Glas in der Hand wandert man immer schnell weiter. Die Unverbindlichkeit hat da Gestalt angenommen. Es ist am leichtesten über das Wetter zu sprechen, weil das eine Gemeinsamkeit ist, über die schnell Einigkeit zu erzielen ist. Und das soll ja das Gespräch beim Smalltalk: schnelle und oberflächliche Gemeinschaft herstellen: bla-bla-bla. Daliah Lavi hat dazu ein bekanntes Lied gesungen.

Aber es macht keinen wirklichen Spaß nur so oberflächlich zu reden. Wonach jeder sich im tiefsten sehnt, ist nicht nur irgendwas Belangloses zu sagen, sondern letztlich sich selbst aussprechen zu können. Das aber geht nur in einem geschützten Raum, wo ich mich angenommen fühle und in die Tiefe gehen kann. Oder nachts um Drei an der Bar, wenn ich ordentlich einen getrunken habe. Barkeeper müssen oft gute Seelsorger sein. Aber da gibt es als Folge einen doppelten Kater am Morgen.

Die Oberflächlichkeit hat noch eine andere Folge, die oft unser modernes Lebensgefühl prägt und das sind Sinnlosigkeit und Gleichgültigkeit. Weil ich alles schon oberflächlich weiß und glaube, erlebt zu haben, interessiert es mich nicht wirklich. Interesse heißt ja, sich hineinbegeben, dazwischen sein (lateinisch = inter esse) und gerade das will ich nicht. Nichts zu sehr an mich heranlassen. Wie las ich an einem Geschäft jetzt: „Sie sind uns – mit Abstand – die liebsten Kunden!“ Corona kommt vielleicht manchen entgegen. Aber so verliere ich auch den Sinn im Leben. Denn Sinn bedeutet Zusammenhang, gerade nicht weiten Abstand von allem.

Wenn ich nicht mehr sehe, wozu meine Arbeit gut ist und wem sie hilft, dann empfinde ich sie als sinnlos. Wenn ich mich nirgends binde, einlasse, dazwischen gehe, alle Verpflichtung und Verantwortung meide, dann wird mein Leben sinnlos. Denn dann gehöre ich nirgends hin, bin nirgends zu Haus, falle ich aus allen Rastern. Ein schwebendes Lebensgefühl entsteht, nicht das von Wolke 7, sondern das Gefühl, im Nirgendwo, im Niemandsland, in der Grundlosigkeit herum zu schweben. Sehr modern, sehr verbreitet und zugleich schrecklich. Es ist eine Folge der Oberflächlicheit.

Also was ich uns wünsche, ist der Mut, immer wieder in die Tiefe zu gehen, den Grund von allem zu suchen. Das braucht Mut und Vertrauen, weil es Angst macht, in diese Tiefe zu gehen, nämlich die Angst, letztlich keinen Grund, nichts Tragendes und Festes zu finden. Oder andersherum aus der Tiefe nicht mehr an die Oberfläche zu kommen.

Es gibt eben auch Gefahren der Tiefe, nicht nur der Oberflächlichkeit, aber darüber schreibe ich ein andermal.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

8. Juli 2020

Der Bibel-Text, der für mich am besten zum Thema passt, ist Jesu Wort vom Hausbau. Jesus war ja gelernter Zimmermann. Er wusste wovon er redet, wenn er die Gefahr sieht, der ein Haus auf bloßem Sand gebaut ausgesetzt ist. Während das Haus auf Felsen fest steht. Das eine ganz oberflächlich, das andere tief gegründet.

Das Foto von der Sandburg, die vom Wasser bald wieder weggeschwemmt wird, fängt das gut ein.

 

Foto: srub - CC BY 3.0

 

Matthäus 7,24 - 28

7,24 Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut. 26 Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist ein Tor, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es ein und wurde völlig zerstört.
28 Und es geschah, als Jesus diese Rede beendet hatte, war die Menge voll Staunen über seine Lehre; 29 denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten.