Straßen-Bilder

Foto: Kristina Paukshtite via Pexels

Haben Sie einen Lieblingsplatz in einem Straßencafé? – Ja, die Zeit des Genießens und Schlemmens auf der Straße ist wieder da, die Zeit für Straßenfeste, Straßenbühnen und Straßenkunst, für Public Viewing und für volle Straßenrestaurants bis in die Nacht!

Die Straße, unser täglicher öffentlicher Lebens- und Begegnungsraum, zeigt sich in diesen Tagen aber noch in ganz anderen Bildern, die mich nachdenklich stimmen: Vor meinem Bürofenster zieht jeden Freitagnachmittag eine „Friday for Future“-Demo mit ihren legendären Pappplakaten vorbei. An die Gelbwesten in Paris denke ich, an die „Maria 2.0“-Bewegung katholischer Frauen in Deutschland, an die Brexit-(Gegen-)Demos in London oder an die Partei-Aktionen in den Fußgängerzonen bis vor wenigen Tagen im Europawahlkampf. Auch zigtausend Kinder und Jugendliche haben am vergangenen Wochenende großartige Ideen auf Straßen, Plätzen und in der Natur umgesetzt.

G. Cailebotte, Straße in Paris

Bei all diesen Straßen-Bildern wird mir bewusst, dass die Straße – natürlich neben den Rad- und e-Roller-Wegen und den Autospuren - längst nicht nur ein Ort zum Flanieren, Shoppen oder kultivierten Entspannen ist.

Die „Straße“ ist gleichnishaft auch Raum für Einflussnahme und Provokation, für gezielte Aktivität und auch für Machtausübung. Wer mit einem Anliegen „auf die Straße geht“, wagt etwas, wirbt um Aufmerksamkeit und Verbündete, macht sich auch angreifbar. Wer „auf die Straße geht“, zeigt Überzeugung und Entschlossenheit, so dass ich persönlich hinter der Fensterscheibe oder vom Straßenrand aus vor den Anführer/innen und Mitläufer/innen einer gutscheinenden Sache erst einmal Respekt habe und zu eigener Auseinandersetzung angestoßen werde:

Welche Haltung habe ich dazu? Für wen oder was würde ich „auf die Straße gehen“? Möchte ich mich irgendwo anschließen? Oder liegen mir eher anderen Formen, um mich einzubringen? Mit wem tausche ich mich darüber aus?

Auch missbraucht werden kann die Straße, denke ich an Pegida und Co. oder an die hässlichen Straßenkrawalle während des G20-Gipfels in Hamburg.

Zur letzten Bleibe kann die Straße unfreiwillig für Wohnungslose, Straßenkinder oder Prostitutierte werden.

Wie empfindlich und verletzlich, ja tödlich kann die Straße sein, denke ich an die terroristischen Attentate von Paris, Nizza, London, Istanbul oder am Berliner Breitscheidplatz; eine ganze Gesellschaft, ein ganzes Volk kann schlagartig so gelähmt sein, als sei sein Lebensnerv getroffen!

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1023-022 /
Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0

Mir fallen große Gestalten ein, die auf den „Druck der Straße“ gesetzt haben, weil sie brannten für Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit: die ersten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren, Gandhi, Oscar Romero, Martin Luther King, die Leipziger Montagsdemonstranten 1989.
Sie alle haben auf der Straße viel erreicht und auch viel riskiert, so dass sie teilweise auch mit Blut oder Leben dafür bezahlt haben.

 

 

 

Teresa von Kalkutta ging auf die Straße, um sich dort niederzuknien vor Kranken und Elenden und ihnen ein kleines Stück Würde zurückzugeben, jene Würde, die - Gott sei Dank - seit 70 Jahren in unserem Grundgesetz als erstes Hauptwort steht, nachdem viele deutsche Straßen in Schutt und Asche lagen!

Von Mutter Teresa wird übrigens erzählt, dass sie die Außenwände ihrer Kapelle möglichst dünn bauen ließ, damit die Geräusche der Straße beim Beten präsent sind. Zu ihren Mitschwestern, die täglich in den Slums unterwegs waren, sagte die Friedensnobelpreisträgerin einmal: „Lasst die Kinder auf der Straße sich an euch klammern, weil ihr an Christus, den Freund der Kleinen, erinnert!“

Dieser „Freund der Kleinen“ begegnet uns im Evangelium ständig auf der Straße. „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ antwortet Jesus einmal einem Schriftgelehrten, der sich ein Leben mit dem Meister wohl zu behaust und sesshaft vorgestellt hat. (Matthäus 8, 20)

Wer die Evangelien liest, findet lauter Straßen-Bilder von Cäcarea Philippi bis Betanien, Bilder, in denen Jesus sich auf der Straße ansprechen, aufhalten und berühren lässt, wo er seinerseits Menschen berührt, heilt, belehrt, ruft, tröstet, sie zurechtweist, ihnen die Schuld vergibt oder sie sogar von den Toten auferweckt.

Foto: abutoum - CC BY-SA 3.0

Die letzte Straße, die Jesus geht, ist die Via Dolorosa, die Straße der Schmerzen, durch Jerusalem mit dem Kreuz auf seinen Schultern. Aber auch nach seiner Auferstehung ist er auf der Straße nach Emmaus wieder da und begleitet die enttäuschten Jünger, bis sich diesen die Augen öffnen.

 

 

 

Fronleichnamsprozession in Ladenburg
Foto: Klaus Graf - CC BY-SA 3.0

Zum Schluss fällt mir noch das vielleicht katholischste aller Straßen-Bilder ein, die Fronleichnamsprozession. Als ich eben unten im Hof war, wurde mir bewusst, dass wir durch dieselben Straßen, auf die wir montags oder mittwochs unsere Mülltonnen hinausstellen, genauso einmal im Jahr den Allerheiligsten tragen, Jesus Christus in Brotgestalt. Mülltonnen und Monstranz. Das Leben in seiner Bandbreite oder wie es ein Lied sagt: „Jesus wohnt in unsrer Straße

 

 

Ich wünsche Ihnen viele schöne und erfüllende Straßen-Momente in diesem Sommer, ob mit Cappuccino oder/und Pappplakaten – in allem will Gott Begegnung feiern (A. Delp).

Herzlich grüßt Sie

Marlies Fricke (GCL)

29. Mai 2019

Jesus wird von seinen potentiellen ersten Jüngern nach seiner Wohnung gefragt. Die Erzählung gibt uns keinen Aufschluss über die „Wohnadresse“ des Meisters. Er nimmt die beiden einfach mit auf seinem Weg, in seine Sendung vom Vater her. Darin „wohnt“ er.

Foto: Peter Weidemann via Pfarrbriefservice.de

Johannes 1,35-42

35 Am Tag darauf stand Johannes wieder dort und zwei seiner Jünger standen bei ihm. 36 Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! 37 Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. 38 Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister - , wo wohnst du? 39 Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde. 40 Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. 41 Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden - das heißt übersetzt: Christus. 42 Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels.