Gern möchte ich einmal wieder eine Bildbetrachtung mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, halten. Anlass ist der Besuch der Frankfurter Ausstellung „Making Van Gogh“, die mir durch das Geschenk eines Flextickets ermöglicht wurde. Dafür bin ich sehr dankbar. Es war ein großartiger Tag. Sicher haben viele dieses Bild schon gesehen und haben es vielleicht auch gern oder gar sehr gern. Vielleicht wissen Sie auch schon viel über dieses Bild. Dass es nicht lange vor seinem Tod 1899 gemalt wurde und dass es den Blick aus der Anstalt in Saint-Rémy darstellt, in der er sich selbst begeben hatte, weil er sich seelisch krank fühlte.
Wir lassen das alles jetzt im Hintergrund und schauen wieder nur auf das Bild: Was sehen wir? Bitte nur schauen und benennen, nicht werten oder deuten! Also ich sehe einen Sternenhimmel über einem Dorf. Im Zentrum schlingen sich Wolken oder vielleicht himmlische Kräfte wie Windböen ineinander. Rechts davon die Mondsichel in starkem Gelb. Links im Bild ganz groß und dunkelgrün eine Zypresse. Sie streckt sich fast über die ganze Höhe des Bildes. Rechts unten neben der Zypresse schauen wir auf das Dorf Saint Rémy mit einem hohen spitzen Kirchturm. In manchen Häusern scheint Licht zu brennen. Rechts oben dicht neben der Zypresse der hellste und größte Stern auf dem Bild mit einem weiß strahlenden Hof. Und darüber hin noch weitere zehn Sterne. Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass jeder Stern einen anderen Hof hat und in seiner eigenen Farbe leuchtet.
Die beherrschende Farbe ist das Blau. Dunkelblau und fast schwarz die Berge rechts am Rand in der Mitte. Gewissermaßen entgegengesetzt ragt die tief dunkelgrüne Zypresse auf. Über dem Dorf und über die ganze Breite des Bildes ein weißblaues Wolken- oder Nebelband. Man hat den Eindruck, dass es von Mond und Sternen beschienen wird, weil das Gelb von Mond und Sternen darin widerscheint. Das Zentrum des Bildes beherrscht das helle Blau der verschlungenen Himmelskräfte, in dem sich aber auch Schwarz und Orange zeigen.
Jetzt können wir dazu übergehen, das zu deuten, was wir gesehen und wahrgenommen haben. Zentral im Bild sehen wir die Verschlingung der himmlischen Kräfte. Auf mich wirkt sie nicht bedrohlich und gefährlich, wie es manche Betrachter meinen, nein, sie erinnert mich an Yin und Yang aus der chinesischen Philosophie. Diese beiden Kräfte sind zwar Gegensätze, aber sie bilden eine Einheit. Sie gehören zusammen. Es meint Versöhnung. Es kann Liebe bedeuten.
Ja, es ist viel Dynamik im Bild durch die für van Gogh so typischen kraftvollen Pinselstriche. Sie ordnen durch ihre Regelmäßigkeit aber auch. Das nächtlich daliegende Dorf strahlt ganz viel Ruhe aus. Der überlange und spitze Kirchturm (der mehr in die Heimat von van Gogh als nach Saint Rémy gehört) und die riesige Zypresse nehmen Verbindung zu dem himmlischen Geschehen auf. Und die himmlischen Kräfte stören oder zerstören diese Ruhe nicht. Vielleicht dürfen wir sie als heilende Kräfte sehen und verstehen, die Vincent in dieser Zeit auch gespürt hat. Und der nächtliche Himmel bedeutete ihm viel, dem Gottsucher Vincent.
Für so viele ist ja gerade der nächtliche Sternenhimmel so ein großer Trost und so eine heilende Kraft. Mein Ordensgründer Ignatius von Loyola erzählt aus seiner Bekehrungszeit: „Und die größte Tröstung, die er empfing, war, den Himmel zu schauen und die Sterne“ (Bericht des Pilgers, Nr. 11). Dass Immanuel Kant ganz ähnlich empfand, ist ja vielen bekannt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz“ (Kritik der praktischen Vernunft, 1788. Kapitel 34. Beschluß).
Die wunderbaren Sterne und die Stille der Nacht trösten und heilen, weil die unseren Sorgen und Ängsten einen größeren und weiten Bezugspunkt geben. Es ist zum einen die große Verlässlichkeit der Sterne, die da auf mich niederschauen. Es gibt da eine Ordnung, die bleibt, auf die ich bauen und mich verlassen kann. Die mir Orientierung gibt, wie den Schiffen auf See. Und als zweites lässt die unendliche Weite und Größe des Kosmos mich und meine Sorgen nicht mehr so ganz und heftig die Mitte von allem sein. Sie bestimmen nicht mehr alles. Und auch das kann mich trösten.
Lassen Sie sich trösten von diesem Bild!
Thomas Gertler SJ
12. Februar 2020
Abraham war als alter Mann ziemlich verzweifelt und fragend Gott gegenüber. Gott hatte ihm Nachkommenschaft verheißen, aber sie kommt nicht. Und es scheint völlig aussichtslos, noch Kinder zu erwarten. Abrahams Besitz wird ein anderer erben. Da führt ihn Gott unter den orientalischen Sternenhimmel und erneuert seine Verheißung. Abraham glaubt und wird so Gott gerecht. Und tatsächlich hat sich die Verheißung erfüllt, denn alle Juden und Christen sind Nachkommen Abrahams.
Genesis 15,1 - 6
15,1 Nach diesen Ereignissen erging das Wort des HERRN in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht, Abram, ich selbst bin dir ein Schild; dein Lohn wird sehr groß sein. 2 Abram antwortete: Herr und GOTT, was kannst du mir geben? Ich gehe kinderlos dahin und Erbe meines Hauses ist Eliëser aus Damaskus. 3 Und Abram sagte: Siehe, du hast mir keine Nachkommen gegeben; so wird mich mein Haussklave beerben. 4 Aber siehe, das Wort des HERRN erging an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein. 5 Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein. 6 Und er glaubte dem HERRN und das rechnete er ihm als Gerechtigkeit an.