Sich erinnern

 

Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an den Monat November? „Ich geh‘ mit meiner Laterne“? Neue Winterstiefel, duftende Bratäpfel, der erste Schnee …?

„Monat des Erinnerns“ wird der November genannt. Alljährlich um den 9. November herum erinnern wir uns in Deutschland an bedeutungsvolle Ereignisse – 1918, 1938, 1989. „Nicht schon wieder“, denke ich manchmal, wenn ich tagelang in den Medien die Beiträge mitbekomme: Gedenkveranstaltungen, Reden, Mahnworte, Kränze, Dokumentationen. Gleichzeitig weiß ich, wie wichtig diese Erinnerungen kollektiv und individuell sind. „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“ (Richard von Weizsäcker). Deshalb sind nicht nur die Wiederholungen, gerade in diesem Jahr 2018, wichtig; auch wegen neuer wahrheitsfördernder Erkenntnisse und Deutungen der Geschichte läuft mein Radio an solchen Tagen ein bisschen mehr als sonst.

Äußere und innere „Grabstätten“

„Monat des Erinnerns“ – wem kommen in diesen Tagen nicht auch persönliche Erinnerungen. Viele haben das Bedürfnis, sie auszudrücken, zu würdigen, sie vielleicht auch zu teilen. Es sind zunächst die Erinnerungen an unsere Verstorbenen, an Verluste und an entstandene Leerstellen. Dabei müssen die Feier- und Gedenktage gar nicht nur so „offiziell“ sein; sie können auch helfen und ermutigen, persönliche Trauer (mehr) zuzulassen und dieser Trauer an den äußeren und inneren „Grabstätten“ einen Ausdruck zu verleihen.

Schöne Momente, die leuchten

Auch die frohmachenden und beglückenden Erinnerungen gehören unbedingt dazu. Ein einziger schöner Moment kann das ganze Leben hindurch leuchten!

Vielleicht lockt es Sie einmal wieder, Ihre alten Fotoalben anzusehen. Sich mal wieder an Ihre früheren Lebensphasen, -entscheidungen und -orte zu erinnern und Bilder von Vorfahren und Weggefährt/innen, von Ihrer Heimat und Herkunft anzusehen, vielleicht sogar aus der Zeit vor Ihrer Geburt.

Das Gedächtnis unserer Sinne und Gefühle

Nicht nur unser Verstand erinnert sich. Auch unsere Sinne - Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut - haben ein Gedächtnis. Ein bestimmter Geruch, ein Lied, ein Bild, ein Geschmack, eine Berührung kann spontan Erinnerungen und vor allem Gefühle lebendig werden lassen. Achten Sie beim Blättern in Ihren alten Fotos einmal auf Ihre Gefühle und Ihre inneren Sinne. Lavendelfeld in der Provence kann sogar im Fotoalbum plötzlich wieder „duften“!

Welche Gegenstände in Ihrer Wohnung sind Erinnerungsstücke? An (Groß-)Eltern oder Vorbilder, an Urlaube, Projekte, Lebensabschnitte oder Freunde? Nehmen Sie solch einen Gegenstand ruhig wieder einmal in die Hand und lassen Sie Ihre Ge-Fühle lebendig werden.

Am Ende Ihrer Erinnerungsreise können Sie sich fragen: Wo regt sich Dankbarkeit, Freude und Glück in mir? Auch Trauer, Ärger, Schmerz oder Scham dürfen Platz haben, oder ein verlegenes Schmunzeln. -  Wer kennt das nicht? - Mit wem würden Sie Ihre Erkundungen gern teilen? Über alles können Sie auch mit Gott ins Gespräch kommen, wie mit einem Freund.

Das Gedächtnis unserer Seele

Der tiefste Ort unserer Erinnerungen ist unsere Seele, dort, wo wir mit allem vor Gott, dem Gegenwärtigen, sein dürfen. ER spricht ja zu uns durch unser Leben, so auch durch unsere Vergangenheit und unsere Erinnerungen. „Ich bin der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs und der Gott …….“ (Ex 3,16) - Ja, hier dürfen Sie getrost Ihren eigenen Namen einsetzen!

Die Seele darf sich Gottes gewärtig sein wie eines sorgenden Gärtners in einem vielfältigen Garten, der sich stets verändert durch die Jahreszeiten, durch Aussaat, Blüte, Früchte, Astbruch, Befall, Ernte, Brachzeit – das Leben eben. Schlimm wäre eine Seele wie ein versiegelter Schottergarten, der immer gleich bleibt, weil sich in ihm nichts verändern und regen darf. Wie gut tut es, zu lesen: „Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch“ (Ez 36,26).

„… rabimmel, rabammel, rabumm“, tönt der St.-Martins-Umzug, während ich diese Zeilen schreibe, von der Straße herauf. – Ich wünsche Ihnen in diesen Tagen den Mut zur Erinnerung, auch über idyllische Kindheitserinnerungen hinaus. Der gegenwärtige Gott im Hier und Jetzt ist auch der, der in der Vergangenheit mitgegangen ist. Nur wer seine Vergangenheit annimmt, nimmt sich selber an und wird sehend für die Gegenwart.

Herzlich grüßt Sie
Marlies Fricke (GCL)

14. November 2018

 

Kurz vor dem Einzug ins „gelobte Land“ und vor dem Tod des Mose erhält das Volk Israel die Anweisung, seine Herkunft und seine Befreiung nie zu vergessen. Aber niemand wird für sich allein gerettet. Die Erinnerung verpflichtet auch zur Sorge für die Schwachen:

 

Milch und Honig und Möhren … - Erinnerung verpflichtet

 

Deuteronomium 26,5-13

5 Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk. 6 Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf. 7 Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis. 8 Der Herr führte uns mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten, 9 er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen. 10 Und siehe, nun bringe ich hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, Herr. Wenn du den Korb vor den Herrn, deinen Gott, gestellt hast, sollst du dich vor dem Herrn, deinem Gott, niederwerfen. 11 Dann sollst du fröhlich sein und dich freuen über alles Gute, das der Herr, dein Gott, dir und deiner Familie gegeben hat: du, die Leviten und die Fremden in deiner Mitte. 12 Wenn du im dritten Jahr, dem Zehntjahr, alle Zehntanteile von deiner Ernte vollständig ausgesondert und für die Leviten, Fremden, Waisen und Witwen abgeliefert hast und sie davon in deinen Stadtbereichen essen und satt werden, 13 dann sollst du vor dem Herrn, deinem Gott, sagen: Ich habe alle heiligen Abgaben aus meinem Haus geschafft. Ich habe sie für die Leviten und die Fremden, für die Waisen und die Witwen gegeben, genau nach deinem Gebot, auf das du mich verpflichtet hast. Ich habe dein Gebot nicht übertreten und habe es nicht vergessen.