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Wann haben Sie sich das letzte Mal jemandem angenähert - einer neuen Nachbarin, einem neuen Arbeits- oder Studienkollegen, einem Mitglied im Chor oder Sportverein, einem nach hier Geflüchteten? Vielleicht auch einem aus den Augen verlorenen Verwandten oder Freund oder gar jemandem, in den oder die Sie sich verliebt haben?
In der Wohnung unter mir sind gestern neue Mieter eingezogen. Ich bin gespannt, welche neuen Geräusche und Gerüche, Stimmen und Schritte ich wahrnehmen werde. Wie werden wir uns im Treppenhaus und beim Altglascontainer begegnen? Kommen wir über einen „guten Tag“ oder einen Smalltalk hinaus? Wollen die das überhaupt? Will ich das …? Ich merke, dass sich Neugier und freudige Erwartung mit einem vorsichtigen Herantasten mischen, auch mit Unsicherheit und Verlegenheit.
Sich Gott (wieder) annähern
Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil schildert anrührend, wie er als Kind seinen Vater erlebte, wenn sie zusammen eine Kirche betraten:
„Mein Vater blieb weder betend stehen noch kniete er in einer Bank nieder, sondern betrachtete nur einen Moment den Hut, den er in der rechten Hand hielt. Was war denn mit diesem Hut? Nichts, es schien ihm anscheinend nur merkwürdig, dass er ihn in der Vorhalle ausgezogen hatte und nun in der Hand hielt. War mit dem Hut alles in Ordnung? War er auch sauber? Oft machte mein Vater eine kurze Bügelbewegung mit der Hand über die Hutkante, als stimmte etwas nicht. Diese Bewegung ersetzte im Ablauf seiner sehr besonderen Rituale das Gebet. Vater betete nach Betreten einer Kirche nicht richtig, sondern bügelte stattdessen kurz seinen Hut und brachte ihn damit wieder in Form. Das alles dauerte nicht länger als etwa 20 Sekunden, dann ging er weiter, durch das Hauptschiff, auf den Altar im Chor zu.“
Auch die (Wieder-)Annäherung an Gott kann, wie unter Menschen, zunächst verlegen machen, selbst wenn sie ein Leben lang eingeübt ist. Hilflos kann jemand dastehen, das Herz so voll, doch wie lässt es sich am besten anfangen – ob in einer Kathedrale oder zu Hause „in deiner Kammer im Verborgenen“ (Mt 6,6)? Da kann ein kleines Eröffnungsritual hilfreich sein, um mich immer wieder, im wahrsten Sinn des Wortes, aufzumachen. Und wenn es ein „alter Hut“ ist - wenn er nur hilft!
Ignatius von Loyola schlägt für den Beginn einer persönlichen Gebetszeit Folgendes vor: Bevor ich anfange, kann ich für einen kurzen Moment den Ort und die Umgebung anschauen, wo ich mich jetzt befinde - das Zimmer, den Stuhl, die Kapelle, das Seeufer, und mir vorstellen, wie Gott da ist und mich an diesem Ort empfängt und mit seinem liebevollem Blick anschaut.
Oder bevor ich meinen Gebetsplatz und meine Gebetshaltung einnehme, kann ich „für die Länge eines Vaterunsers“ stehen bleiben, innehalten und mir meiner Absicht bewusst werden. Das hilft dem Leib und dem Geist, sich einzustellen.
Ort und Zeit
„Verlerne deinen Ort und deine Zeit nicht“, schreibt Fulbert Steffensky in Bezug auf das Beten. Ja, Beziehungsaufbau und -pflege, also auch der Dialog mit Gott, wird leichter durch Regelmäßigkeit und Struktur. Es braucht eine gewisse Strenge ebenso wie Geduld mit sich selbst. Wenn ich jedes Mal neu entscheiden muss, ob, wann, wo und wie ich beten will, kann das eine zusätzliche Anstrengung sein, die mich auch wieder entmutigen kann.
Im Unterschied zu neuen Nachbarn sollte es gegenüber Gott aber von vornherein leichter sein mit der Annäherung. „Gottes Sehnsucht ist der Mensch“, so sagt es der heilige Augustinus. Gottes Sehnsucht bin ich, sind Sie, liebe Leserinnen und Leser. Was wollen wir mehr, als soerwartet zu werden? Gott hat jedem von uns ein für alle Mal zugesagt, dass Er unbedingt und unbefristet da ist. „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20) und „Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir“ (Jes 43,1).
Vor Gott brauchen wir nicht zu fremdeln. Er will uns nicht in Verlegenheit bringen, sondern uns begrüßen als aufrechte Wesen, die mit ihren Stärken und mit ihren Grenzen zu Ihm kommen – immer näher.
Bleiben Sie behütet!
Marlies Fricke
26. September 2018

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Ausschau halten ...

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... im Heiligtum
Eine oft unaussprechliche Sehnsucht ist im Menschen, sich Gott zu nähern – immer wieder, immer tiefer. Der Psalmist hat von 3000 Jahren seine Worte dafür gefunden:
Pslam 63: Sehnsucht nach Gott
1 Ein Psalm Davids. Als er in der Wüste Juda war.
2 Gott, mein Gott bist du, dich suche ich, es dürstet nach dir meine Seele.
Nach dir schmachtet mein Fleisch wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.
3 Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, zu sehen deine Macht und Herrlichkeit.
4 Denn deine Huld ist besser als das Leben. Meine Lippen werden dich rühmen.
5 So preise ich dich in meinem Leben, in deinem Namen erhebe ich meine Hände.
6 Wie an Fett und Mark wird satt meine Seele, mein Mund lobt dich mit jubelnden Lippen.
7 Ich gedenke deiner auf meinem Lager und sinne über dich nach, wenn ich wache.
8 Ja, du wurdest meine Hilfe, ich juble im Schatten deiner Flügel.
9 Meine Seele hängt an dir, fest hält mich deine Rechte.
10 Die mir nach dem Leben trachten, um mich zu vernichten, sie müssen hinabfahren in die Tiefen der Erde.
11 Man gibt sie preis der Gewalt des Schwerts, sie werden den Schakalen zur Beute.
12 Der König aber freue sich an Gott! Wer bei ihm schwört, darf sich rühmen. Doch allen Lügnern wird der Mund verschlossen.