Senfkörner des Friedens

Foto: Theredgiant - CC BY-SA 4.0

Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen! Mögen wenigsten in diesen Tagen einmal die Waffen schweigen und möge eine kurze Zeit Stille, Frieden und Erholung sein. Mögen Liebe und Hoffnung wenigstens für kurze Zeit einkehren! Das wünsche ich allen, besonders natürlich der Ukraine und allen anderen Weltgegenden, wo Krieg und Gewalt und Unrecht herrschen.

Aber ist das nicht zu wenig gewünscht? Ja, das ist viel zu wenig. Natürlich wünsche ich, dass es wieder ganz und gar Frieden wird, dass Liebe und Gerechtigkeit überall und für immer herrschen. Ja, das wünsche ich mir sehr. Immer und überall. Überall und immer. Ist das aber dann nicht wieder zu viel gewünscht? Mehr als heute und auf dieser Welt möglich ist? Denn wenn ich das ernsthaft wünsche, dann wünsche ich etwas, das jenseits dieser unserer Welt ist. Immer und überall Frieden und Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe, das ist nicht möglich, solange diese unsere Welt besteht. Wenn ich es ernsthaft wünsche, dann wünsche ich zugleich das Ende dieser Welt.

Also dann eben nur ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe, ein bisschen Ruhe, ein bisschen Erholung. Aber ist das dann nicht nur Lüge, Kitsch und alter Schlager, wie dermaleinst Nicole im Jahr1982 gesungen hat: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude…“? Das hat mich damals schon aufgeregt und ich habe auch einmal einen Impuls gegen dieses „bisschen“ geschrieben. Nein, ein bisschen reicht nicht. Ein bisschen ist zu wenig. Ja, es muss für alle und für immer Frieden und Freude und Gerechtigkeit und Liebe geben. Der Schlager von Nicole lässt sich einfach nur als egoistisch und rein privat verstehen: Jetzt für mich und hier soll es ein warmes Stübchen, Lebkuchen zu essen und ein bisschen Weihnachtsromantik geben. Dieses bisschen ist wie der Wunsch nach einem richtigen Leben im falschen. Und da sagt uns Theodor Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Oder doch? Oder doch?

Wenn ich in die biblische Weihnachtsgeschichte schaue, dann ist das etwas sehr Kleines, Unscheinbares und fast Unmögliches: ein Kind in Windeln und in einer Futterkrippe. Und das soll Gottes Herrlichkeit und Frieden auf Erden sein, wie es uns die Engel singen? Und dem wir zustimmen mit unserem Gloria-Gesang zu Weihnachten. Anspruch und Wirklichkeit, Verheißung, Hoffnung und Erfüllung und irdische Realität klaffen nahezu unerträglich auseinander. Und das auch später, als Jesus mit seiner kleinen Schar von Jüngern und Jüngerinnen durch Galiläa wandert. Klein, unscheinbar und geradezu winzig angesichts des Ganzen der Welt! Jesus gibt es zu: Ja, das ist sehr klein und sehr wenig. Es ist so klein wie ein Senfkorn (Mk 4,30-32). Aber das wird ein riesiges Gewächs. Es ist nur so wenig wie ein bisschen Hefe oder Sauerteig (Mt 13,33). Aber das kleine bisschen Hefe wird das Ganze durchsäuern und verwandeln. Das bringt Frieden und Gerechtigkeit für alle und für immer. Auch wenn ich jetzt nur wenige heile, wenige befreie, wenige satt mache. Aber das ist der Anfang vom ganz Großen, vom Heil für alle.

Also so darf und soll ich darauf blicken und so soll ich es verstehen: nicht ein kleines bisschen abgegrenzte, abgesicherte und egoistische Privatheit, nein, in diesem Kind, das so gefährdet, klein und hilfsbedürftig ist, da ist das Licht der Welt entzündet und der Friede für alle angekommen. Da ist der Same ausgesät, der dann als Weltenbaum alle Völker wie Vögel in seinen Zweigen wohnen lassen wird und der Raum für alle hat. Damit ist der Sauerteig in den riesigen Teig der Welt eingeknetet, der alles durchsäuern und verwandeln wird. Und das fängt eben klein an und ist der Anfang von Frieden und Gerechtigkeit für alle und für immer.

Also das richtige Leben fängt ganz klein mitten im falschen Leben an und verbreitet sich von da mit der Macht der Güte und der Wahrheit, die erst einmal als Ohnmacht daherkommen und als Schwäche, aber dann doch den Sieg davontragen. Also diesen Anfang wünsche ich uns jetzt zu Weihnachten. Unser Christbaum aus lauter solchen Samenkörnern des Friedens, der Hoffnung, der Liebe und in all den Lebkuchen und Stollen den Sauerteig der Güte, der Hilfe, des Beistands!

Es grüßt ganz herzlich
Thomas Gertler SJ

21. Dezember 2022

Für mich nimmt dieses Kunstwerk von Ernst Barlach die Gedanken von oben auf. Es heißt „Ruhe auf der Flucht.“ Und es ist Rastpunkt in der Rastlosigkeit. Kurzer Frieder in der friedlosen Welt. Geborgenheit im Unbehausten. Und die währt nur kurz, aber der Friede, das Behütetsein, die Geborgenheit unter Josefs Mantel, die strahlen ja bis hierher und bis heute, bis in mein Zimmer und in mein friedenssehnsüchtiges Herz. Und die werden wachsen und sich ausbreiten und immer mehr gewinnen. Das glauben wir und feiern wir.

Lukas 2,1 - 20

2,1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. 2 Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. 3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 8 In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. 10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: 14 Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat! 16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. 17 Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. 19 Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. 20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.