Sehnsucht zu segeln

Foto: Thomas Gertler

So viele große alte Segelschiffe habe ich noch nie gesehen wie dieses Jahr in meinem Urlaub. Es war bei der so genannten Hanse-Sail. Ein Treffen von ganz vielen alten und ganz alten Segelschiffen. Auch etliche nachgebaute Koggen waren darunter. Das sind die Handelsschiffe aus der Hanse-Zeit (etwa vom 12 bis 14. Jahrhundert). Oben sehen Sie die UCRA, die Kogge aus Ueckemünde.

Das Besondere der Hanse-Sail ist, dass man auf den meisten dieser Segler ein Törn buchen kann. Man kann also etwa drei Stunden mit einem solchen Segler mitfahren und richtig in See stechen. Die meisten fuhren drei- bis vier Mal täglich hinaus. Und genau an meinem Balkon vorbei. Es war ein sehr emsiger Betrieb. Rein und raus und viele Leute an Bord. Es war ja auch entsprechendes Wetter. Sonne und Wind, dass sich die Segel blähten.

Foto: Thomas Gertler

Und die Schiffe kamen nicht nur aus dem Ostseegebiet. Es waren Schiffe aus England und Frankreich, aus Portugal und Italien, also aus ganz Europa. Hier gibt es eine Liste und oft auch Fotos der Schiffe. Ja, da erwacht die Sehnsucht, einmal mitzusegeln, und zwar nicht nur mal zu so einem kurzen Törn, sondern in die unermessliche Weite des Ozeans.

Davon singen viele Seemannslieder wie hier Hans Albers mit seinem unvergesslichen „La Paloma“ oder wie Lale Andersen mit „Ein Schiff wird kommen“.
Haben Sie ein Lieblingslied bei all den vielen Liedern von Schiffen, Segeln, Wind und Meer? Eines, wo das Fernweh und die Sehnsucht nach der Weite und der Freiheit mitschwingt? Sind Sie schon einmal dieser Sehnsucht gefolgt, weit fort zu segeln oder zu fahren oder zu fliegen?

Das erste fremde Land, wo ich so eine gute Weise zu leben kennen gelernt habe, war Ungarn und das Zusammensein mit den guten Freunden Janos und Zsoka und ihrer Familie. Ich hätte mir vorstellen können, dort zu bleiben. Viel später habe ich verstanden, dass es nicht so sehr das andere Land ist, sondern die wohltuende, freundschaftliche und geschwisterliche Beziehung, die so etwas Neues und Erfüllendes ins Leben bringt. Freilich ist das oft mit dem anderen Land verbunden, wo alles anders eingerichtet ist und das Leben anders gelebt wird.

In Ungarn war das die viel größere Einfachheit in allem. Es war vieles unkomplizierter im Umgang miteinander. Es war fröhlich und heiter und für mich so voller Frieden. Selbstverständlich hat es auch schwierige Seiten und Lasten aus der Geschichte, Verwundungen und Verletzungen. Aber das Leben in einem anderen Land hilft einem sich vorzustellen, ganz anders leben zu können. Und zuerst, sich das überhaupt vorstellen zu können, anders zu leben. Was zu Hause schwer ist, ist dann hier leicht – aber auch umgekehrt.

Und wenn man dann heimkehrt, fällt einem auf, was man sonst gar nicht merkt an zu Hause. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, wie sehr wir in Deutschland einander immerzu erziehen müssen. Am meisten im Autoverkehr, aber auch sonst. Immer erhobener Zeigefinger. Immer auf Fehler aufmerksam machen. Anderswo wird völlig anders gefahren. Wir hier schauen auf die Schilder und Vorschriften. Die Italiener zum Beispiel auf die Personen und ihr Verhalten – Schilder sind egal.

Die Sehnsucht, weit fort zu segeln, hat noch eine weitere Seite, nicht nur ein anderes Leben in einzelnen Punkten hier. Es wird da berührt, was in jedem Menschenherzen da ist, nämlich die Sehnsucht über alles hier hinaus. Die endlose Weite des Ozeans oder die grenzenlose Größe des Himmels über uns sprechen direkt davon. Über die Sehnsucht in uns über alles hier hinaus. Sehnsucht nach dem Himmel, Sehnsucht nach Gott, nach dem Frieden, nach der Freiheit, der Heimat bei ihm.

Hören Sie auf diese Sehnsucht und lassen Sie sie nicht ersticken.

Viele Grüße
Thomas Gertler SJ

07. September 2022

„Fahre hinaus, wo es tief ist“, so sagt Jesus zu Petrus. Auf Latein: „Duc in altum“ oder „auf die hohe See“. Also ins Hohe oder in die Tiefe hinein, so hat man immer schon die folgende Geschichte gelesen und verstanden. Hinaus über das Gewöhnliche, Alltägliche, Durchschnittliche, immer Vorhandene, darum geht es. Nicht nur die kleinen Fische und die kleinen Brötchen, sondern darüber hinaus. Dahin führt Jesus den Petrus. Dahin will er auch uns führen, mitten hindurch durch das Alltägliche und Gewöhnliche oder mitten darin fängt das völlig Ungewöhnliche an. Bei Petrus und auch bei uns.

Lukas 5,1 - 11

5,1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. 2 Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. 4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. 6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. 8 Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. 9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.