Seelische Verdauung

Foto: An-d - CC BY-SA 3.0

 

Kennen Sie dieses Gedicht von Eugen Roth mit dem Titel „Seelische Gesundheit“?

Ein Mensch frißt viel in sich hinein:
Mißachtung, Ärger, Liebespein.
Und jeder fragt mit stillem Graus:
Was kommt da wohl einmal heraus?
Doch sieh! Nur Güte und Erbauung.
Der Mensch hat prächtige Verdauung.

Wir kennen das von uns selbst, nur bei uns kommen je nachdem bei solchen Erfahrungen leider nicht lauter Güte und Erbauung heraus, sondern eher Verbitterung, heimliche Wut, offener Zorn, Zynismus oder Rückzug und Traurigkeit. Das ist das Normale, ja, das ist auch das Berechtigte in vielen Fällen. Also kein schlechtes Gewissen deswegen! Alle diese Formen seelischer Verdauung sind ganz in Ordnung und noch kein Zeichen von Störung.

Das wird es nur dann, wenn es sich verfestigt, wenn ich ein Trauerkloß werde oder ein Rumpelstilzchen, das sich dauern vor Wut entzweireißt. Wenn ich ein Zyniker werde, der immer nur Spott und Hohn im Munde trägt. Oder wenn ich so ein Bitterkraut werde, dem jeder gern aus dem Wege geht. Oder wenn ich mich als ein Mauerblümchen zurückziehe und beinahe unsichtbar werde. Sie kennen das alle aus Ihrer Umgebung. Und in irgendeine solche Richtung schlägt auch mein seelisches Verdauungssystem aus. Wissen Sie Ihre Richtung?

Das ist also die Gefahr, dass es chronisch wird, wie die Mediziner sagen, also alle meine Zeit ausfüllt. Eine Verstimmung auf Dauer. Eine seelische Magenverstimmung und ein andauerndes seelisches Verdauungsproblem. Das ist gefährlich und sollte bekämpft und besiegt werden. Gibt es Medizin?

Ja, die gibt es selbstverständlich und im Grunde kennen wir sie. Nur leider nehmen wir sie nicht gern, weil sie oft bitter ist und mühselig. Und da ist mal das Erste genau wie beim Doktor: Anamnese und dann Diagnose. Anamnese oder Erinnerung: Schon öfter gehabt? Wann zuletzt? Ja, immer wieder. Ach die Mutter hatte schon das gleiche Problem, die konnte das auch nicht vertragen. Ja, dann haben Sie ja sogar ein Generationenproblem. Und immer wieder diese Wutausbrüche und dann Ohrfeigen, und zwar nicht mal, sondern immer wieder und dauernd.

Ja, das ist ein schwieriges Erbe. Zwar sage ich mir als Kind und Heranwachsender: So will ich mit meinen Kinder nie umgehen, aber sobald ich dann Vater oder Mutter geworden bin, entdecke ich: ich mache es wie meine Eltern. Die Kinder kriegen es ab. Und dann sage ich mir als Vater oder Mutter mit einem mal als Entschuldigung: ach, mir hat es ja auch nicht geschadet. Obwohl ich genau weiß, dass es schrecklich war.

So viel vielleicht als Anamnese und Diagnose. Wie also anders und besser? Das Erste heißt, sich dessen bewusst werden. Da ist meine Verdauungsschwäche. Damit tue ich mich schwer. Das ist für mich sehr unverdaulich. Auf so scharfe Sachen wie Aggression, antworte ich selbst aggressiv und ich gebe es auch noch weiter an Unschuldige, obwohl ich es gar nicht will. Dessen werde ich mir bewusst und das ist schon mal sehr förderlich, auch wenn es vielleicht weh tut, dass ich diese Verdauungsschwäche habe. Und als nächstes und noch schwerer: das annehmen, das akzeptieren. Ja, so ist es. Ich mache es wie mein Vater. Wie meine Mutter. Das verberge ich nicht mehr vor mir selbst, sondern sehe es und versuche es nicht zu verharmlosen, abzuschwächen oder umzubiegen.

Dann gibt es die therapeutische Möglichkeit, es mit Gottes Hilfe langsam und schrittweise zu ändern. Und das geht nur mit den Arzneien Barmherzigkeit, Vergebung, Geduld und Gebet. Mir selbst und meinen Eltern gegenüber. Barmherzigkeit, Vergebung, Geduld und Gebet sind die guten und hilfreichen seelischen Verdauungshelfer wie Natron nach dem Essen, wie ein Grappa oder auch eine Kohletablette.

Es braucht Übung und Zeit, bis am Ende lauter Güte und Erbauung herauskommen. Eugen Roth hat es etwas verkürzt dargestellt in seinem Gedicht. Auch mein Impuls ist noch zu kurz. Aber es gibt Leute, bei denen es am Ende so herauskommt. Und darauf kommt es an, wie unser großer Saumagenverehrer Helmut Kohl gesagt hat.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

27. Juni 2018

 

Das Verdauungsorgan für die seelische Verdauung ist eher das Herz als der Darm. So sagt es auch der Kolosserbrief in seinen Ermahnungen zur rechten seelischen Verdauung. Und das wichtigste dabei ist, uns bewusst zu halten, dass wir von Gott geliebt, angenommen und ge- und ertragen sind mit allem, was wir sind. Darum können wir auch andere lieben, annehmen und ertragen, wie sie sind.

 

Bild: Philip Hogeboom - CC BY 3.0

 

Kol 3,8 - 17

3,8 Jetzt aber sollt auch ihr das alles ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung und schmutzige Rede, die aus eurem Munde kommt. 9 Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt 10 und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen. 11 Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus ist alles und in allen. 12 Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! 13 Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! 15 Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! 16 Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. In aller Weisheit belehrt und ermahnt einander! Singt Gott Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder in Dankbarkeit in euren Herzen! 17 Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Dankt Gott, dem Vater, durch ihn!