Schauen der Schönheit

 

Heute möchte ich mit Ihnen dieses berühmte Bild von Caspar David Friedrich (1774 - 1840) betrachten. Vielleicht habe Sie es schon einmal gesehen? Es ist 1818 entstanden nach Skizzen, die er auf der Hochzeitsreise mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Caroline auf der Insel Rügen angefertigt hat. Das Bild wird genannt „Kreidefelsen auf Rügen“, und es handelt sich um die Kreidefelsen der kleinen und großen Stubbenkammer. Es wird als Hochzeitsbild angesehen. Erst 1920 ist es einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Caspar David Friedrich hat es nie ausgestellt.

Wie macht man eine Bildbetrachtung? Eine Bildbetrachtung bewegt sich immer von außen nach innen. Wir fragen also nicht zuerst: „Was bedeutet das Bild?“ oder wie man in meiner Heimat sagte: „Was soll‘n das?“ (möglichst noch mit Fäusten in den Hüften). Vielmehr fragen wir uns: „Was sehen wir?“ Und um uns bewusst zu machen, was wir sehen, ist es gut, es zu benennen. Wir sehen drei Personen am Steilufer Rügens. Zwei Männer und eine Frau. Die Frau in einem roten Kleid links zeigt auf rote Blumen in ihrer Nähe. Der Mann in der Mitte auf allen vieren schaut in die Tiefe, den gefährlichen Abgrund. Der Mann rechts steht auf den Zweigen eines Buschs über dem Abgrund und schaut in die Weite des Meeres. Auf das Segelboot in der Mitte oder den Horizont? Sie werden eingerahmt durch zwei Bäume. Das Zentrum bildet das offene Meer, das am Horizont rosa oder violett gefärbt ist. Vielleicht schon die untergehende Sonne? Es ist selbst wieder eingefasst durch die blendend weißen Kreidefelsen.

All das versuchen wir eine Weile anzuschauen und auf uns wirken zu lassen. Ja, am besten eine gute Weile! Immer noch ohne Wertung und Deutung. Und dann schauen wir auf die Komposition des Bildes: Der Vordergrund ist dunkel und bildet eine Art Rahmen, kreisförmig oder auch herzförmig um die spitzen Felsen und das ruhige Meer. Auch um die Figuren, obwohl sie Teil des Vordergrundes sind. Die Farben sind sehr stark und gegensätzlich. Das strahlende Weiß der Felsen, die in der Sonne liegen, und die leuchtende Ruhe des Wassers. Darauf die blinkenden Segel. Die dunklen, grünen Bäume, das gelblich-braune Gras. Und das kräftige Rot des Kleides.

All das gibt dem Bild etwas Leuchtendes und Strahlendes und damit Festliches. Und es hat zugleich etwas Friedvolles und in sich Geschlossenes durch den strengen Rahmen und die ruhige Weite des Meeres. Sie merken: wir sind jetzt nach der Beschreibung schon hinübergegangen zur Deutung. Die darf immer ganz subjektiv sein. Jeder nimmt ein Bild anders wahr und das ist auch richtig so. Sie können hier also gewissermaßen selbst weiterschreiben.

Ich füge aber noch zwei Bemerkungen hinzu, die ich aus dem weiß, was ich dazu gelesen habe. 1815 hatte Caspar David Friedrich (CDF) eine Reise mit seinem Freund Friedrich Gotthelf Kummer, Münzmeister an der Staatlichen Münze zu Dresden, nach Rügen unternommen. Dabei hatte sich Kummer in den Kreidefelsen dermaßen verstiegen, dass CDF Hilfe holen musste, ja, dass Kummer sein letztes Stündlein gekommen sah und testamentarische Aufträge an ihn gab. Der Mann in der Mitte unseres Bildes könnte diese lebensgefährliche Erfahrung aufgreifen.

Und als Zweites: für CDF ist jede Naturbetrachtung auch eine religiöse Betrachtung. Ihm begegnet in der Natur immer Gottes Allmacht und Gottes Schönheit. Er ist ja ein Maler der Romantik. Dazu gibt es viele Zeugnisse, auch von ihm selbst. Die drei Figuren sind in ganz verschiedener Weise in die Betrachtung der Natur versenkt und nehmen uns da mit hinein. Sie, liebe Schauende, stehen gewissermaßen als vierte Person da am Kreideufer der Stubenkammer.

Die Frau sieht die nahe Schönheit der Blumen und Gottes Schönheit darin. Der Mann in der Mitte schaut hinab in die Mächtigkeit und Unberechenbarkeit der spitzen, strahlenden Felsen und so hin auf die unverfügbare Allmacht Gottes. Der Mann rechts blickt in die unendliche Weite des Meeres. Er schaut die Ewigkeit Gottes. Aber all das ist Deutung. Sie hat zwar einen Anhalt am Bild. Aber Sie dürfen ganz anderes sehen und deuten. Aber dass uns Caspar David Friedrich auch mit diesem Bild etwas von Gott sagen will, ist sicher. Was sehen Sie beim Betrachten des Bildes?

Schauen Sie und spüren Sie, was das Schauen in Ihrer Seele auslöst. Aus der Seele, dem gläubigen Herzen von Caspar David Friedrich ist jedenfalls dieses Bild heraufgestiegen.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

9. Oktober 2019

Als Referenztext diesmal keine Bibelstelle, sondern ein berühmtes Gedicht von Eichendorff. Es ist 1810 geschrieben, als er vom geliebten Schlesien und seinen Wäldern in das geschäftige Wien umziehen musste. Es zeigt uns, wie die Natur, wie der Wald zum Lehrmeister für Eichendorff wird. Die Schöpfung singt ihm vom Schöpfer über das rechte Tun und Lieben und was des Menschen wahrer Hort und seine Heimat sei und die wird ihn auch in der Fremde immer wieder auferstehen und jung sein lassen. So empfindet die fromme Romantik.

Foto: Kwz - CC BY 2.5 PL


 

Abschied

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt.
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt;
Schlag noch einmal die Bogen,
Um mich, du grünes Zelt.

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Dass dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Joseph von Eichendorff, 1788-1857