Ruft Gott auch heute?

Foto: Eweht - CC BY-SA 4.0

Ja, Gott ruft auch heute. Und ich kann diesen Ruf auch heute vernehmen. Und wie geht das? Es geht einerseits wie mit jedem anderen Ruf auch. Ich muss hören lernen. Andererseits spricht Gott nicht wie mein Arbeitskollege, der zu mir sagt: „Hör mal!“ Also hören lernen, aber anders. Das erste, um Gottes Ruf zu vernehmen ist darum, stille werden. Also mal alle Geräte ausschalten, die mir mit Nachrichten, Musik, Reklame usw. in den Ohren liegen. In die Stille gehen und darin nur die eigenen fünf Sinne öffnen, keine Geräte. Das aushalten. Fünf Minuten für den Anfänger, der das noch nie gemacht hat. Fünf Minuten still sein, gar nichts selber sagen und nur die Stille tönen lassen, das kann ziemlich lang sein.

Wir haben dieses Stillwerden meist nicht gern. Völlige Untätigkeit. Stille. Lauschen. Denn dann steigt auch allerlei Unangenehmes hoch, und das weiß ich genau. Was ich dringend machen müsste, aber immer aufschiebe. Was ich sein lassen müsste, um besser mit den anderen zurecht zu kommen. Was ich mir schon ewig vorgenommen habe wie den Anruf bei meiner Schwester, bei meiner Mutter, bei meinem Onkel. Sie wissen schon! Oder beispielsweise die Frage nach der Patientenverfügung von mir oder meinem alten Vater. Sie wissen schon! All das kommt in der Stille hoch. Bringt mich fast zum Aufspringen, dabei wartet das alles schon wochenlang. Darum meide ich Stille normalerweise.

Ja, und dann wenn ich noch tiefer in der Stille gehe und darin aushalte, kommt hoch, was sonst abends im Bett auftaucht, wenn ich nicht schlafen kann und ich mich stundenlang im Bett wälze. Der Konflikt in der Familie oder bei der Arbeit. Die Frage, wann ich endlich zur Vorsorgeuntersuchung gehe, um zu wissen, was mit meinem Bauch los ist. Habe ich womöglich Krebs? Und dann noch grundsätzlicher: Was soll das alles in meinem Leben überhaupt? Ist in meinem Leben nicht alles viel zu oberflächlich und sinnlos? Und siehe da, schon sind wir ganz dicht bei dem Ruf Gottes an mich heute. Gibt es da nicht schon lange eine Sehnsucht und einen Wunsch, mehr in die Tiefe zu gehen? Wesentlicher zu leben? Was wäre ein möglicher Schritt dahin?

Also Lauschen und in der Stille hören, was unter all dem Lärm meines Alltags für eine Melodie und ein Lied der Sehnsucht summt. Diese Melodie Gottes aufnehmen und ihr folgen.

Und damit sind wir bei etwas mehr Positiven, wie ich Gottes Ruf heute und für mich hören kann. Nämlich indem ich der Freude folge. Wie bitte? Der Freude folgen? Gott ist doch eher eine Spaßbremse. Ja, Spaßbremse mag sein, denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Spaß und Freude. Spaß hat mit Vergnügen, mit dem Angenehmen, mit Lust zu tun. Wer nur ein angenehmes Leben will, wird die Freude verlieren. Freude hat nämlich mehr damit zu tun, aus sich selbst herauszugehen, über sich hinauszukommen, sich selbst zu verlassen, etwas zu wagen, sich zu überwinden. Sich also Lustverlust (Schwäbisch: Luschtverluscht 🙂 ) zuzumuten. Das führt zur Freude. Und dieser Freude soll ich folgen! Das aus sich Herausgehen und dieses über sich selbst Hinauskommen nennt man lateinisch Transzendieren und da merken wir, wie es sich mit Gott und seinem Ruf, mit der Transzendenz berührt. Gott will uns nämlich aus der eigenen Enge und dem Kreisen um uns selbst hinausführen, zu sich hin und zum Nächsten hin. Und dann finde ich auch mich selbst.

Und wenn ich die Richtung wissen will, wohin Gottes Ruf mich führt, so schaue ich auf mich und meine Begabungen und meine Geschichte. Das, was ich gut kann, wofür ich eine Gabe besitze, das ist es, in welche Richtung mit Gott ruft, denn er hat mir diese Gaben geschenkt, nicht so sehr zum eigenen Gebrauch und Verzehr, sondern um anderen damit zur Hilfe zu sein. Und ich schaue auf meine Lebensgeschichte, den Weg, den Gott bisher geführt hat. All die bisherige Geschichte nehme ich auf jeden Fall mit, auch wenn es vielleicht anders und ganz anders weiter geht. Die Fischer vom See Genezareth macht Jesus zu Menschenfischern, ganz anders aber doch… Paulus, den Schriftgelehrten und Pharisäer, macht er mit Johannes zum größten Theologen der ersten Christengeneration. Also Bruch und Kontinuität – beides.

Gott ruft auch heute. Und wir können seinen Ruf hören und unterscheiden von den vielen anderen Stimmen. Aber manchmal brauche wir auch Hilfe wie Samuel in der folgenden Geschichte. Das ist natürlich nur mal ein erster Ansatz und Blick auf das Thema Berufung. Man kann ganze Bücher darüber schreiben und die einzelnen Unterthemen ausweiten. Aber für uns heute ist es mal genug als Anregung für Stille und Gebet.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

25. Januar 2023

Der alte Eli hilft dem jungen Samuel. Der hört und gehorcht, aber er braucht die Hilfe des erfahrenen Eli, um zu erkennen, wer ihn denn da ruft. Das Bild zeigt den jungen Samuel, wie er aufmerkt. Später wird er Gottes Stimme erkennen und anderen sagen, wozu Gott sie ruft. Es beginnt hier eine spannende und wechselvolle Geschichte Samuels mit Gott.

 

1 Samuel 3,1 - 10

3,1 Der junge Samuel versah den Dienst des HERRN unter der Aufsicht Elis. In jenen Tagen waren Worte des HERRN selten; Visionen waren nicht häufig. 2 Eines Tages geschah es: Eli schlief auf seinem Platz; seine Augen waren schwach geworden und er konnte nicht mehr sehen. 3 Die Lampe Gottes war noch nicht erloschen und Samuel schlief im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes stand. 4 Da rief der HERR den Samuel und Samuel antwortete: Hier bin ich. 5 Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen. 6 Der HERR rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen! 7 Samuel kannte den HERRN noch nicht und das Wort des HERRN war ihm noch nicht offenbart worden. 8 Da rief der HERR den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben gerufen hatte. 9 Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, HERR; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. 10 Da kam der HERR, trat heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört.