
Foto: Jik jik - CC BY-SA 3.0
Politische Korrektheit kann einen ziemlich unter Druck setzen. Darum reagiere ich darauf leicht mit innerer Abwehr, ja, fast aggressiv. Warum passiert mir das? Es ist ja meist richtig und gut gemeint, was die politische Korrektheit verlangt. Aber dieser Druck, dieser moralische Druck, dieser Zwang, es eben richtig, moralisch richtig sagen und machen zu müssen, und zwar genau so, wie sie es verlangt, der ruft bei mir den inneren Widerstand hervor.
Die politische Korrektheit haben die Amerikaner*innen erfunden. Und zwar die liberalen, um Gleichberechtigung der Frauen und der Ethnien durchzusetzen. Die Konservativen haben dann „Political Correctness“ zum Kampfbegriff gegen die Liberalen erhoben. So wogt es hin und her. Besonders Universitäten und Intellektuelle sind da immer mitten drin.
Jetzt habe ich mal wieder den geliebten Christian Morgenstern (1871-1914) gelesen. Und was finde ich da? Dieses politisch ganz und gar unkorrekte Gedicht:
Der Hecht
Ein Hecht, vom heiligen Antōn
bekehrt, beschloß, samt Frau und Sohn,
am vegetarischen Gedanken
moralisch sich emporzuranken.
Er aß seit jenem nur noch dies:
Seegras, Seerose und Seegrieß.
Doch Grieß, Gras, Rose floß, o Graus,
entsetzlich wieder hinten aus.
Der ganze Teich ward angesteckt.
Fünfhundert Fische sind verreckt.
Doch Sankt Antōn, gerufen eilig,
sprach nichts als »Heilig! heilig! heilig!«
Unkorrekt nicht wahr?! Einerseits, weil er sich über den vegetarischen Gedanken lustig macht, obwohl er selbst eher Vegetarier war. Da staune ich wirklich, dass sich Morgenstern auch über sich selbst lustig macht. Es gab zu seiner Zeit am Beginn des 20. Jahrhunderts sehr einflussreiche Gesundheitsapostel und Naturmenschen, zum Teil sehr komisch für uns heute. Der politischen Korrektheit würde man manchmal so etwas Abstand zu sich selbst wünschen wie Morgenstern, der über sich selbst lachen kann. Aber Humor und hohe Moralansprüche gehen selten gut zusammen.
Unkorrekt andererseits, weil er auch über den heiligen Antōn seinen Spott ausgießt. Das kann natürlich keinesfalls einer von den großen Antoniussen der katholischen Kirche sein! Eher so eine seltsame Mischung aus den beiden, nämlich dem Wüstenvater Antonius (250-356?) und Antonius von Padua (1195-1231), wie sie sich bei Wilhelm Busch findet. Der landete übrigens auf dem Index der verbotenen Bücher der katholischen Kirche. Heute auch kaum vorstellbar, aber damals: heilig, heilig, heilig!
Ja, Christian Morgenstern macht ganz unkorrekt auf eine typische Falle aufmerksam, in die halb Heilige oder Scheinheilige leicht tappen, nämlich alles für gut und heilig zu halten und auszurufen, was aus guten und heiligen Motiven und Beweggründen geschieht. In Wirklichkeit aber handelt es sich um ein Gift, wie man an der Wirkung oder - dichter am Dichter – an dem sieht, und was hinten rauskommt. Solches zu früh und falsch als heilig Benennen, führt zur Verlogenheit oder zu dem, was man verharmlosend als „fromme Soße“ bezeichnet, aber nicht nur bei unserem tollen Hecht meist eine Vergiftung des Lebensraums zur Folge hat.
Damit etwas gut und heilig genannt werden kann, müssen nämlich, wie Ignatius von Loyola sagt, Anfang, Mitte und Ende gut und heilig sein. Und es müssen hohe Motivation, klarer Verstand und Realitätssinn zusammenwirken.
Danke, lieber Christian Morgenstern, dass Du es so viel schöner gesagt hast!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
10. Juli 2019
Der Gipfel der politischen Korrektheit waren zurzeit Jesu die Pharisäer. Sie wollten das Gesetz des Mose nicht nur erfüllen, sondern übererfüllen und schufen darum neue Bräuche wie hier das Händewaschen vor dem Essen aus kultischen (nicht hygienischen!) Gründen. Damit gerieten sie aber auch am Sinn des Gesetzes vorbei und es kam nicht Gottes Wille heraus sondern nur äußere Richtigkeit oder Korrektheit. Darum geht der Streit im Lukasevangelium.

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Lukas 11,37 - 49
11,37 Nach dieser Rede lud ein Pharisäer Jesus ein, bei ihm zu essen. Jesus ging zu ihm und begab sich zu Tisch. 38 Als der Pharisäer sah, dass er sich vor dem Essen nicht die Hände wusch, war er verwundert. 39 Da sagte der Herr zu ihm: O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raffsucht und Bosheit. 40 Ihr Unverständigen! Hat nicht der, der das Äußere schuf, auch das Innere geschaffen? 41 Gebt lieber als Almosen, was ihr habt; und siehe, alles ist für euch rein. 42 Doch weh euch Pharisäern! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Gewürzkraut und allem Gemüse und geht am Recht und an der Liebe Gottes vorbei. Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen.