Pilgern – Exerzitien mit den Füßen

Foto: Johann Jaritz - CC BY-SA 3.0

Es gibt einen sehr bewährten Weg, um neuen Geschmack am Leben zu bekommen. Den habe ich auf einer Wallfahrt kennen gelernt. Wir sind damals von Magdeburg über den Harz ins Eichsfeld zum Wallfahrtsort Klüschen Hagis gepilgert. Über 200 km zu Fuß in 10 Tagen. In einer Gruppe von etwa 50 überwiegend jungen Leuten. Der Weg nach Santiago war damals für uns als DDR-Bürger nicht erreichbar, aber auch nicht mehr der berühmte Wallfahrtsweg von Warschau nach Tschenstochau wegen der Polenkrise in den 80er Jahren. Von dort stammte das Design der Wallfahrt: morgens sehr früh auf, Messe und Gebet, dann Frühstück, Marmeladenbrote von einer noch früher aufstehenden Gruppe vorbereitet, Abmarsch. Unterwegs eine Stunde im Schweigen. Sonst geistliche Lieder aus dem Wallfahrtsheft. Mittags Pause mit selbstgeschmiertem Brot. Meist Wurst aus der Büchse. Abends Massenquartier im Pfarrsaal auf der Luftmatratze oder der Matte. Oft nur zwei Waschgelegenheiten für alle, keine Dusche. Warten vor der Toilette. Und morgens auch dann lospilgern, wenn es regnet.

Schrecklich! Ich allein hätte das nie so zustande gebracht. Viel zu hart für mich. Aber siehe da, in der Gemeinschaft ging es sehr gut. Und welch ein Effekt: wir waren alle tatsächlich nach zwei Tagen wie Geschwister. Es gab nie irgendein Disziplinproblem. Unterwegs wurde nicht in Kaufhallen eingefallen und Eis oder Schokolade gekauft. Es wurden keine fremden Obstbäume geplündert. Das Quartier wurde oft sauberer verlassen als vorgefunden. Ein Wunder. Ja, ein Wunder. Mir sagte ein junger Mann: Ich werde nächstes Jahr nicht wieder mitkommen. Warum? Weil ich hier so glücklich mit Euch bin. Ja, aber gerade dann solltest du doch wieder kommen. Nein, denn dann kann ich es zu Hause nicht mehr aushalten.

Durch diese Wallfahrt habe ich wieder neu Geschmack an den ganz einfachen Dingen des Lebens gefunden, die uns täglich zur Verfügung stehen. Ich habe gemerkt, welch ein Geschenk ein eigenes Bett ist. Welch eine Wohltat ein Bad sein kann. Wie köstlich eine einfache Gemüsesuppe ist, wenn man seit vier Tagen nur was aus der Büchse bekommt. Wie sehr die Härte eines Tagesablaufs solidarisiert und zusammenführt. Wie viele sonstige Probleme einfach verschwinden. Auch die Gefühle werden wieder viel reiner, klarer und heftiger. Das hängt mit der Anstrengung zusammen. Man lacht und weint leichter. Man wird dünnhäutiger. Das ist sonst ein typischer Effekt bei Exerzitien. Hier durch die Exerzitien mit den Füßen und dem ganzen Leib.

Und wenn der dritte Tag geschafft ist – der Krisentag – dann läuft es sich ganz von allein, oder man muss mal eine Strecke gefahren werden.

Wenn ich solche Anstrengung und solchen Verzicht auf mich nehme, gewinne ich neu Geschmack am Leben. Denn nicht die immer größere Raffinesse bringt den Geschmack, sondern die Erfahrung des Kontrastes. Der Kontrast von Hungrigsein und Essen, von Dursthaben und Trinken. Wer wirklich Hunger hat, dem schmeckt ein trockenes Brot. Wer wirklich durstig ist, dem ist einfaches Leitungswasser ein Hochgenuss.

Es geht hier um mehr als bloß Wellness, denn die Erfahrung der Wallfahrt führt zu einer tiefen Dankbarkeit und zu einem tiefen Glück, ganz reich beschenkt zu sein. Nicht nur für diesen neuen Geschmack, vor allem für die neue Gemeinschaft, die entstanden ist. Mit jedem Schritt der Wallfahrt hin zu ihrem Ziel sind wir auch einander nähergekommen. Der vorletzte Tag war der Tag der Versöhnung. Eine Herausforderung. Versöhnung mit den Mitpilgerinnen und Mitpilgern aus der Gruppe, aber auch mit Gott und auch mit sich selbst. Es gab einen Bußgottesdienst und Beichtgelegenheit. Und dann am nächsten Tag nur noch eine kurze Etappe bis zum Ziel. Und da hatte dann das Gotteslob beim Abschlussgottesdienst im Klüschen Hagis schon etwas vom Himmel. Natürlich mit dem Lied: „Pilger sind wir Menschen…“

Habe ich Ihnen etwas Geschmack am Pilgern vermittelt? Es muss nicht immer Santiago sein. Die Wallfahrt von Magdeburg ins Klüschen Hagis gibt es immer noch. Hier kann man Näheres erfahren und viele Fotos finden.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

6. Juli 2022

Jesus ist oft nach Jerusalem gepilgert, schon als Heranwachsender. Wir lesen wir davon bei Lukas (Lk 2,41 ff). Damit stand er in der Tradition Israels seit Abraham, den Gott aus seiner Heimat in das verheißene Land ruft (Gen 12). Das ganze Volk zog oft nach Jerusalem hinauf. Unterwegs hat Israel hat Lieder gesungen wie hier den Psalm 84. Als Bild sehen wir die Nachbildung einer antiken Sandale.

Foto: via Wikimedia - CC BY-SA 3.0

 

Ps 84,2 - 13

2 Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen! /
3 Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht / nach dem Tempel des Herrn. Mein Herz und mein Leib jauchzen ihm zu, / ihm, dem lebendigen Gott.
3 Auch der Sperling findet ein Haus / und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - / deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein Gott und mein König.
4 Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, / die dich allezeit loben. [Sela]
6 Wohl den Menschen, die Kraft finden in dir, / wenn sie sich zur Wallfahrt rüsten.
7 Ziehen sie durch das trostlose Tal, / wird es für sie zum Quellgrund / und Frühregen hüllt es in Segen.
8 Sie schreiten dahin mit wachsender Kraft; / dann schauen sie Gott auf dem Zion.
9 Herr der Heerscharen, höre mein Beten, / vernimm es, Gott Jakobs! [Sela]
10 Gott, sieh her auf unsern Schild, / schau auf das Antlitz deines Gesalbten!
11 Denn ein einziger Tag in den Vorhöfen deines Heiligtums / ist besser als tausend andere. Lieber an der Schwelle stehen im Haus meines Gottes / als wohnen in den Zelten der Frevler.
12 Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild. / Er schenkt Gnade und Herrlichkeit; der Herr versagt denen, die rechtschaffen sind, keine Gabe. /
13 Herr der Heerscharen, wohl dem, der dir vertraut!