„…nur des Wallens willen wallen“

Foto: Andreas Tille - CC BY-SA 4.0

Heute seit langem einmal wieder ein eher heiterer Impuls. Das muss in diesen schwierigen Zeiten auch mal sein.

Welch ein rätselhafter Zusammenklag der drei letzten Worte der Überschrift: „… nur des Wallens willen wallen.“ Diese Alliteration oder dieser Wortbeginn mit gleichen Anfangsbuchstaben bildet die Schlusszeile eines Gedichtes von Hermann Hesse (1877-1962). Am Ende dieses Impulses wird Ihnen klarer sein, was gemeint ist, nämlich genau das, was gesagt ist. Wir wollen nur des Wallens willen wallen. Doch langsam voran, liebe Wallerinnen und Waller. Und wir nehmen Hesse bei allem Spaß ernst. Es ist kein Unsinnsgedicht, nein, es ist ein Wortfreudengedicht.

Aber zuerst einmal das Gedicht selbst. Es ist dem Titel nach ein ‚Wallfahrerlied von Vögeln gesungen‘. Natürlich - wie ich von mir aus weiterdenke - von Zugvögeln, die jährlich zwischen Ländern, oft sogar Kontinenten fliegen, ja man könnte sagen wallen. So meint es Hesse wohl. Aber da kommt schon die erste Frage: wallen sie um des Wallens willen? Zwingen sie nicht Instinkt und Natur zu diesem wiederkehrenden Fernflug? Ja, sie fliegen, weil über sie ‚des Wallens Allgewalt waltet‘.

Aber nun erst einmal das wortfreudige Gedicht:

Die Woge wogt, es wallt die Quelle,
Es wallt die Qualle in der Welle,
Wir aber wallen durch die Welt,
Weil nur das Wallen uns gefällt.
Wir tuns nicht, weil wir wallen sollen,
Wir tun es, weil wir wallen wollen.
Wer nur der Tugend willen wallt,
Kennt nicht des Wallens Allgewalt.
Sie wallt und waltet über allen,
Die nur des Wallens willen wallen.

Das Wallen hat ja sehr verschiedene Bedeutungen und Hesse benennt sie: das Wallen des Wassers, wie der oben abgebildete Geysir „Strokkur“ auf Island uns zeigt. Dass Quallen in der Welle wallen, ist hier wohl nur der Lust am Wortefinden zu verdanken. Fast alle Worte sind nämlich aus „w“ und „… alle, … elle, … ille.“ gebildet. Macht einfach Spaß. Das Wallen der Gefühle, das es ja als Ausdruck gibt, zeigt sich für mich im frohen Temperament des Gedichts. Das Wallen wie das Wandern oder Wallfahren, das uns durch die Welt treibt, ist das eigentliche Thema des Gedichts. Wallen ist ein altes und fast ungebräuchliches Wort, uns Heutigen fast nur noch aus dem Wallfahren geläufig.

Und da unterscheidet Hesse zwischen dem frommen oder tugendhaften Wallen, also dem, was wir gewöhnlich unter Wallfahren verstehen, wie die Wallfahrt oder Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela beispielsweise. Das nennt Hesse das Sollen des Wallens. Du sollt wallfahren, weil Du für Deine Sünden büßen sollst. Du sollst wallfahren, weil Du einmal Abstand zu Deinem bisherigen Leben suchen sollst. Weil du zu Dir selbst, zum Sinn des Lebens und zu Gott finden sollst. Das ist das fromme Wallen mit einem Ziel im doppelten Sinn: dem Wallfahrtsort wie Santiago als Ziel und den anderen aufgeführten Zielen für das Seelenheil.

Er aber singt mit den Zugvögeln das Lied des Wallens um des Wallens willen. Ja, so ein Waller war Hesse ganz und gar. Darüber schreibt er in vielen seiner Bücher von diesem Wallen oder Wandern um des Unterwegsseins willen. Er war sehr viel auf der Walz zwischen Deutschland und der Schweiz, in ganz Europa und sogar Indien. So folgte er des Wallens Allgewalt, wie es die Vögel tun. Das ist letztlich auch ein Sollen, ja sogar ein Müssen, aber es kommt nicht von außen, sondern von innen. Der Zugvogel muss ziehen, die Wallerin und der Waller folgen der Allgewalt des Wallens. Sie müssen aufbrechen und davonwallen.

Und dieses Wallen ist in allen. Spürst nicht auch du des Wallens Hallen in den geheimen Seelenhallen?

Also spüren und lauschen Sie einmal nach diesem leisen Rauschen!

Herzlich grüße ich Sie
Thomas Gertler SJ

12. Oktober 2022

Einer der schönsten, hoffnungsvollsten Wallfahrtstexte in der Bibel, die so viele Erzählungen und Psalmen über das Wallen kennt, ist der folgende aus dem Buch Micha. Alle Völker wallen nach Jerusalem, zum Berg Zion, dem Ort Gottes. Von diesem Ort kommt das Wort Gottes, das Frieden stiftet und das wir so sehr brauchen. Hier sehen Sie ein Bild vom Mount Zion.

Foto: Eman - CC0 1.0

Micha 4, 1 - 4

4, 1 Am Ende der Tage wird es geschehen: / Der Berg des Hauses des HERRN steht fest gegründet als höchster der Berge; / er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen Völker. 2 Viele Nationen gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN / und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, / auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion zieht Weisung aus / und das Wort des HERRN von Jerusalem. 3 Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern / und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg. 4 Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock / und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des HERRN der Heerscharen hat gesprochen.