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Drei Kreuze würden sie machen, die Bahn-Bediensteten, wenn das 9-Euro-Ticket ausgelaufen sei, sagte ein DB-Sprecher Ende August im Radio. Drei Kreuze? Ich stellte mir eine uniformierte katholische Schaffnerin vor, wie sie am 1. September morgens vor dem ersten „Die Fahrscheine bitte“ drei Kreuzzeichen schlägt. Oder einen Lokführer, der „im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ in seine Kabine steigt ... - Aber mal im Ernst: Ich kann die ÖPNV-Mitarbeitenden nach dem Stress der Sommermonate gut verstehen. Sie sind einfach dankbar und erleichtert, dass sie alles hinter sich haben.
Ausgerechnet das Kreuz, Zeichen für das Leiden Jesu, als Ausdruck für Dankbarkeit? Ja, denn FÜR UNS hat Jesus es zum Berg Golgota getragen und ist daran hingerichtet worden. Hier durchlebte der Mann aus Nazareth seine tiefste Verlassenheit und gab sein Leben hin für die Welt. Deshalb ist das Kreuz nicht nur ein Dankes-, sondern auch ein Siegeszeichen geworden! Mit der Auferstehung Jesu „hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2,8-9).
Die Kirchen des Ostens und des Westens feiern heute das Fest Kreuzerhöhung. Sie erinnern an das Auffinden des Kreuzesholzes und an die Weihe der Jerusalemer Grabeskirche im Jahr 335. Dabei hob der Zelebrant das wiedergefundene Kreuz hoch und zeigte es zum ersten Mal den Gläubigen, und zwar in alle vier Himmelsrichtungen, um die Universalität des Heils auszudrücken. Schaut her: Gottes Heilswille ist grenzenlos und sein Sieg über den Tod muss von uns ‚hochgehalten‘ werden - in jede Richtung!
Tun nicht Ähnliches auch die Fußballfans, wenn sie jubelnd ihre bunten Fan-Schals hochstrecken, leidenschaftlich und vereint? Schaut her: Wir stehen zusammen und die Mannschaft braucht uns! - Würden wir so auch unseren Glauben bekennen?!
Das Kreuz hochhalten
Das ist Ur-Anliegen der Kirche durch alle Zeiten: das Kreuz sichtbar zu machen überall unter den Menschen. In unserer Landschaft und in unseren Wohnungen, auf Berggipfeln und auf Kirchturmspitzen, aber auch „bei jedem Schritt und Tritt, bei jedem Eingehen und Ausgehen, beim Anlegen der Kleider und Schuhe, beim Waschen, Essen, Lichtanzünden, Schlafengehen, beim Niedersetzen und, welche Tätigkeit wir immer ausüben, drücken wir auf unsere Stirn das kleine Zeichen“ (Tertullian, 2. Jh.). Ist uns eigentlich bewusst, dass wir mit diesem kleinen Zeichen uns jedes Mal als Getaufte und damit als „Christus-Fans“ be-zeichnen?
Zum Kreuz aufschauen
Das Herz zum Herrn erheben, sursum corda, ob dankend, bittend, flehend oder anbetend – gibt es einen besseren Aufblick in unserer von Krisen, Kriegen und Katastrophen geprägten Zeit? „Nimm ihn in dein Auge und in dein Herz, den Gekreuzigten im Glanz des Göttlichen, und spüre hinter deinem Kreuz das Licht.“ (Heinz Detlef Stäps, Magnifikat, 8/2022).
Mose hatte in der Wüste die Kupferschlange aufgehängt, damit alle, die zur ihr aufschauten, die giftigen Schlangenbisse überlebten. „So muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, … nicht zugrunde geht“ (Joh 3,14-16). Nötiger denn je braucht die Menschheit heute dieses Gegengift gegen so vieles, was aus den Fugen geraten ist. Wir brauchen dieses Aufschauen zum Göttlichen, heraus aus allem, was niederdrückt und herunterzieht.
Sich vom Kreuz tragen lassen

Foto: Marlies Fricke
Haben Sie ein Lieblingskreuz? - Bei einer Freundin entdeckte ich ein modernes Wandkreuz, bei dem in den Längsbalken eine menschliche Silhouette eingebettet ist. Auf mein neugieriges Nachfragen erklärte sie mir ihre Interpretation: dass sie lange nach „ihrem“ Einstieg für das Autogene Training gesucht habe. Seit einiger Zeit beginne sie ihr Üben immer mit dem Anschauen dieses Kreuzes und lasse sich „hineinfallen“ in die Liebe Gottes. Ruhe, Entspannung, Schwere und Wärme würden sich dann wie von selbst einstellen.
Vielleicht möchten auch andere das einmal ausprobieren, nicht nur beim Autogenen Training, sondern beispielsweise zum Beginn einer Gebetszeit? Zum Stillwerden am Abend oder in einer Kirchenbank? „Werft euch in Gott!“, wie Meister Eckhart es sagt, oder: Sich vom Kreuz tragen lassen!
Das Kreuz trägt, während wir unser eigenes Kreuz tragen. Das Kreuz trägt, wie eine starke Brücke oder eine sichere Leiter - kraftvolle Bilder, die schon um das Jahr 1600 in einem Passionslied Trost schenken wollten (Gotteslob 294). Bilder, die uns auch im Spätsommer 2022 helfen können, vertrauensvoll auf einen nicht leichten Herbst und Winter zuzugehen.
Vergessen wir das Aufschauen nicht – von guten Mächten treu und still umgeben!
Herzlich grüßt Sie
Marlies Fricke (GCL)
14. September 2022
Das Synodal-Kreuz trug letzte Woche bei der Vollversammlung in Frankfurt durch die Krise hindurch die fünf „Wundmale Christi“. Die Wunden Christi werden auch in einem eucharistischen Gebet aus dem 14. Jh. betrachtet, das Ignatius sogar in seine Exerzitien aufgenommen hat. Für heutige Beter/innen zuweilen keine leichte Kost, dennoch wagen wir es am heutigen Kreuzfest zu beten:

Foto: © Synodaler Weg/Maximilian von Lachner
Kreuz von Abraham Fischer OSB,
4. Synodalversammlung der kath. Kirche in Deutschland, Sept. 2022 in Frankfurt
Seele Christi, heilige mich.
Leib Christi, rette mich.
Blut Christi, tränke mich.
Wasser der Seite Christi, wasche mich.
Leiden Christi, stärke mich.
O gütiger Jesus, erhöre mich.
Birg in deinen Wunden mich.
Von dir lass nimmer scheiden mich.
Vor dem bösen Feind beschütze mich.
In meiner Todesstunde rufe mich
zu dir zu kommen heiße mich,
mit deinen Heiligen zu loben dich
in deinem Reiche ewiglich. Amen.
(14. Jh., Verfasser unbestimmt)