
Foto: Thomas Gertler
Rätselhafter Titel. Aber Christian Morgenstern ist ja sowieso rätselhaft und humorvoll und viel tiefsinniger als man beim ersten Lesen erkennt. Aber diesmal oder heute sogar tiefsinniger, als er selbst es gedacht hat mit seinem Gedicht über den lieben Mond. Dafür noch eine Vorbemerkung, damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, das Gedicht überhaupt ein klein wenig verstehen.
Ich habe noch in der Schule gelernt, wie man als Laie und Schulkind erkennt, ob der Mond gerade am Zunehmen oder gerade am Abnehmen ist. Sie auch noch? Der abnehmende Mond nämlich bildet ein kleines „a“ wie „abnehmend“, also Bogen nach links, und der zunehmende Mond bildet ein kleines „z“, also „zunehmend“, Bogen nach rechts. Das kann man selbst in unserer lateinischen Schreibschrift heute noch ganz gut nachvollziehen. In der Zeit Christian Morgenstern (1871-1914) und der damaligen sogenannten Sütterlinschrift war das noch deutlicher: a = a und z = z.
= a
= z
Nun aber erst einmal das schöne Gedicht:
Der Mond
Als Gott den lieben Mond erschuf,
gab er ihm folgenden Beruf:
Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen
sich deutschen Lesern zu bequemen,
ein a formierend und ein z -
dass keiner groß zu denken hätt'.
Befolgend dies ward der Trabant
ein völlig deutscher Gegenstand.
Es handelt sich also um ein frommes Gedicht über die Schöpfung und Gottes Absicht mit ihr. Speziell die Deutschen hat er bei seiner Schöpfung im Blick. Ihnen macht er es leichter, mit den Rätseln der Schöpfung umzugehen. Die Deutschen können anhand ihrer Schriftsprache erkennen, ob der Mond nun am Zu- oder am Abnehmen ist. Was da nicht schon von Anfang an in der Ewigkeit vorhergesehen und eingeplant und durchgeführt wurde, um diesen Effekt zu erreichen! Bitte staunen! Und nicht nur die Schöpfung mit den Mondphasen, nein, auch Sütterlin und die deutsche Sprache wurden so gelenkt und geführt, dass das gelingen konnte. Und auch jetzt noch mit unseren lateinischen Buchstaben. Noch mehr staunen!
Und was natürlich die Astrologen schon immer wussten und woraus sie ihren Beruf ableiten: die Sterne sind nicht einfach so allein für sich da. Nein, sie haben alle (wie jeder gute Deutsche auch) einen Beruf. Sie sagen jedem von uns jeden Morgen im Horoskop der Zeitung, was wir tun oder lassen sollten, was heute gelingt und wovon ich die Finger lassen sollte. Denn „Sterne lügen nicht“, wie uns schon 1983 vom Evangelisten (Jürgen) Marcus gesungen wurde.
Christian Morgenstern hat das Gedicht geschrieben in einer Zeit, wo das Deutsche Reich gerade gegründet war und sich dringend nach Kolonien umsah. Und wer weiß, ob das Gedicht nicht eine kleine satirische Anspielung darauf sein soll, indem Morgenstern so den Mond als deutsche Kolonie reklamierte, was schon in der Schöpfungsordnung selbst so angelegt war, wie jeder deutsche Schüler damals sofort nachvollziehen konnte. 🙂
Ja, aber was ist nun mit der Prophetie Morgensterns? Na, das haben auf jeden Fall alle ehemaligen DDR-Bürger unter den Leserinnen und Lesern sofort begriffen: „Befolgend dies ward der Trabant ein völlig deutscher Gegenstand“.
Ein wahrhaft prophetischer Satz von Morgenstern! Wiederum ist Staunen angesagt! Denn so war es und so wurde es und der Trabant war als „völlig deutscher Gegenstand“ gewissermaßen die Staatskarosse der DDR. Davon hat natürlich Morgenstern so nichts geahnt, aber so hat es der Himmel weiter gefügt, dass ich als junger Mann 1970 schon darüber gestaunt habe. So ist es eben: Ein guter Dichter sagt oft mehr, als er selbst begreift. Und manchmal wird er zum Propheten.
Das gönn ich ihm – dem liebenswerten Morgenstern.
Und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gönne ich ein Schmunzeln zu Beginn der Karnevalszeit.
Thomas Gertler SJ
11.11.2020
Für mich passt hierher am besten das schöne alte Lied von Matthias Claudius: „Der Mond ist aufgegangen“. Ein frommes Lied, das gerade das Abnehmen und Zunehmen des Mondes aufgreift und gegen alle Zweifler wendet, die nur das glauben, was sie sehen und nicht das, was sie ja wissen, aber nur einmal im Monat sehen: den vollen Mond. Auch dieses Lied zaubert uns ein Lächeln auf die Lippen und das romantische Bild von Ludwig Richter dazu. Und als Dittes lächeln wir, weil wir wissen, dass für manche Kinder aus den Wiesen statt „des weißen Nebels, wunderbar“ „der weiße Neger Wumbada“ heraufstieg. So hat es uns Axel Hacke mit dem gleichnamigen Buch bezeugt.
Der Mond ist aufgegangen
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinnste
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns im Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon’ uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!