Ministerin für Einsamkeit

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Oder sollte ich lieber sagen Ministerin gegen Einsamkeit? Jedenfalls gibt es eine solche, und zwar in Großbritannien. Sie heißt Tracey Crouch. Ist das nicht eine sehr gute Initiative? Sie geht zurück auf Jo(anne) Cox, eine Parlamentsabgeordnete der Labour-Partei, die am 16. Juni 2016 ermordet wurde von einem Mann, der den Neonazis verbunden war und rief „Britain First“. Und wer weiß, ob diese Initiative so weit gekommen wäre, ohne dieses furchtbare Ereignis.

Jo Cox hatte auf die Not der Einsamkeit aufmerksam gemacht und eine Kommission ins Leben gerufen, die das Phänomen näher untersucht hat.Neun Millionen der 66 Millionen Briten fühlen sich häufig einsam. Die Einsamkeit ist in allen Gesellschaftsschichten verbreitet, manche betrifft sie aber ganz besonders. Es sind oft alte Menschen, die so allein sind.

Bei uns ist es ja nicht anders. Mir sagte kürzlich eine Witwe: „Weißt Du, Thomas, mir hat jetzt ein 90 jähriger Mann erzählt, dass ihm ‚Alexa‘ hilft, die Einsamkeit zu überbrücken. Meinst Du das wäre auch etwas für mich?“ Alexa ist ein elektronisches Gerät, das auf meine Stimme hört, Funktionen erfüllt und auch Witze erzählen kann, auf Wunsch Lieder spielt und vieles mehr.

Das sagt doch schon sehr viel, wie schlimm es ist. Wie viele junge Mädchen und auch junge Männer streicheln den lieben langen Tag vor allem ihr iPhone mit der Sehnsucht, von irgendeinem „follower“ oder „friend“ Streicheleinheiten zu bekommen, wenigstens digital. Aber weder in der Familie noch im Freundeskreis wird noch einfach miteinander gesprochen, oft wird nur sehr oberflächlich geredet, ja, bloß rumgeblödelt. Eben auch in den so genannten sozialen Netzwerken. Eine der Initiativen in Großbritannien ist es, Abzeichen mit der Aufschrift „Happy to Chat“ zu verteilen an Leute, die bereit sind, sich auf ein Gespräch einzulassen.

Die Einsamkeit ist die oft Rückseite unserer selbst gewählten und gewollten modernen Lebensweise. Die Menschen verlassen die Dörfer und kleinen Städte mit ihren früher starken sozialen Bindungen nicht allein wegen der Arbeit, nein, auch um der Sozialkontrolle zu entgehen, um in einer Großstadt wie zum Beispiel Berlin viel zu erleben, Teil eines tollen gesellschaftlichen Lebens zu sein. Auf den Dörfern wussten die Menschen voneinander und waren auch oft Aufgaben und Rollen sehr festgelegt. Das geht immer mehr zu Ende. Auch die Dörfer sind meist nur noch Orte zum Schlafen. Die Arbeit ist in der Stadt. Nur noch die zurückgelassenen Alten leben noch ganz dort, oft einsam. Häufig ist die letzte Dorfkneipe zu für immer.

Man müsste in den Städten so bauen und so leben, dass Freiheit und Gemeinschaft miteinander verbunden gelebt werden können. Dass es eine Nachbarschaft gibt. Dass man sich kennt und auch im Blick hat, aber dass daraus eben keine Kontrolle und kein Druck wird. Dass es viele freie Vergemeinschaftungen geben kann. Und da gibt es ja auch viele Initiativen wie zum Beispiel Mehr-Generationen-Häuser. Im dem Haus, in dem ich lebe, gibt es ein Projekt, um Menschen mit Behinderung und Studierende zusammen zu bringen. Es gibt zwei Wohngruppen, die miteinander regelmäßig etwas unternehmen.

Fühlen Sie sich einsam? Tun Sie unbedingt etwas dagegen! Denn Einsamkeit macht krank, es macht so krank wie 16 Zigaretten am Tag – auch das hat die britische Studie herausgefunden. Und tun Sie etwas, so lange Sie es noch können. Und das beste Mittel dagegen ist, sich für andere (auch vielleicht einsame) Menschen zu interessieren und Gesprächs- und Gemeinschaftsangebote anzunehmen wie „Happy to Chat“.

Und denken Sie an den Spruch von Papst Benedikt: „Wer glaubt, ist nie allein!“ Das stimmt.

Aber auch der Gläubige kann sich zuweilen sehr allein gelassen fühlen. Und gerade wenn mir das so geht – wie Jesus im Garten Gethsemane – da ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass ich glaube. Und auch Gott selbst daran zu erinnern: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus hat es getan. Ich darf und soll es auch tun.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

28. November 2018

 

„Ich habe keinen Menschen“, so antwortet der Gelähmte auf Jesu Frage, ob er gesund werden will. Er fühlt sich einsam und verlassen, schon 38 Jahre lang. Aber er kann und soll auch selbst etwas tun. So fordert ihn Jesus auf. Tu etwas! Steh endlich auf und geh!

Teich Betsda in Jerusalem
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Joh 5,2 - 8

5,2 In Jerusalem gibt es beim Schaftor einen Teich, zu dem fünf Säulenhallen gehören; dieser Teich heißt auf Hebräisch Betesda. 3 In diesen Hallen lagen viele Kranke, darunter Blinde, Lahme und Verkrüppelte. 5 Dort lag auch ein Mann, der schon achtunddreißig Jahre krank war. 6 Als Jesus ihn dort liegen sah und erkannte, dass er schon lange krank war, fragte er ihn: Willst du gesund werden? 7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein. 8 Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Liege und geh! 9 Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Liege und ging.