
Mauerspecht Andree Werder im November 1989 an der Berliner Mauer, nähe Brandenburger Tor.
Foto: Werdersen - CC BY-SA 4.0
Freiheit ist das Thema der Neuzeit. Nicht erst seit der französischen Revolution mit „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und den folgenden Revolutionen im 19. Und 20. Jahrhundert. Die aber oft - wie die französische - in Unfreiheit und Terror umgeschlagen sind. Nein, schon Luthers schöner Text über die „Freiheit eines Christenmenschen“ hat Freiheitswünsche bei den deutschen Bauern ausgelöst und sie in revolutionäre Stimmung gebracht. Aber auch bei Luther kommt die Dialektik der Freiheit zum Ausdruck. Dort heißt es gleich zu Beginn: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“ Und nächster Satz „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Beides.
Und wie ist es bei dem häufig als Antipoden Luthers vorgestellten Ignatius von Loyola (1491-1656), dem Gründer des Jesuitenordens? Ja, auch Ignatius ist darin ganz neuzeitlich, dass die Freiheit ganz vorne steht, aber eben auch die Dialektik von Freiheit und nicht wie bei Luther Untertanentum, sondern Gehorsam zusammen gehören. Christliche Freiheit und Gehorsam gehören zusammen. Ja, so muss man sagen, die christliche Freiheit erwächst aus der Verbindung mit Gott, aus dem Hören auf Gott, aus dem Ge-Horsam Ja, aber ist damit die Freiheit nicht schon wieder aufgegeben? Nein, aus dieser Bindung ganz an Gott erwächst sie. Wieso? Gott ist der Erfinder der Freiheit. Gott will unsere Freiheit. Er nimmt sie ernst. Er schenkt sie uns.
Aber ist es nicht so wie Sartre sagt, dass es entweder einen allmächtigen Gott oder menschliche Freiheit geben kann? Ein allmächtiger Gott determiniert doch den Menschen ganz und gar! Nein, so ist es eben nicht. Das sehen wir ja schon bei der Verbindung unter uns Menschen. Denn es ist ja schon so, dass die größte menschliche Bindung, nämlich die Liebe zu einem Mitmenschen, nicht unfrei macht, sondern frei. Erst die Liebe, die geschenkte und die empfangene, lässt und ganz zu uns selbst finden, lässt uns frei und phantasievoll, schöpferisch, erfinderisch und glücklich werden. Um wie viel mehr die empfangende und erspürte Liebe Gottes. So ist es die Erfahrung aller, die diese Liebe Gottes als Geschenk an sie entdecken. Sie verwandelt und macht frei. Sie versklavt nicht und setzt nicht unter Zwang.
Die unendliche Freiheit Gottes ermöglicht, will und trägt unsere menschlich-endliche Freiheit.
Für Ignatius von Loyola ist darum entscheidend, dass wir Gottes freie Liebe zu uns entdecken, die sich ständig um uns und an uns ereignet. Wir sollen wie Jesus auf die Welt schauen, der uns sagt: Willst Du Gottes Liebe sehen, dann schau einfach nur aus dem Fenster, ob es regnet oder ob die Sonne scheint – Gottes Liebe ereignet sich: „Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45) Gottes Liebe kannst Du erfahren, wenn Du die Welt siehst, wie Jesus sie sieht. Jesus erkennt darin Gottes Liebe zu allen, sogar zu seinen Feinden, zu den Ungerechten und Bösen.
Diesen Blick Jesu lässt uns Ignatius einüben in der „Betrachtung, um die Liebe zu erlangen“. Der erste Abschnitt dieser Kontemplation ist unten zitiert. Wenn wir diese Liebe Gottes spüren, ihr glauben und sie annehmen, dann können wir auf sie antworten, wie es Ignatius tut und vorschlägt in dem Hingabegebet in dieser Betrachtung: „Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und Besitzen. Du hast es mir gegeben; dir; Herr, gebe ich es zurück. Alles ist dein, verfüge nach deinem ganzen Willen. Gib mir Deine Liebe und Gnade, denn diese genügen mir“ (Exerzitienbuch 234).
Liebe Leserinnen und Leser, dieses Gebet steht auf der Todesanzeige unseres Provinzials Johannes Siebner, der am 30. Juli zu Grabe getragen wird. Der Liebe, Gnade und Treue Gottes hat er geglaubt. Sie hat er auch verkündet. Jetzt wird er darin für immer leben. Am 31. Juli, dem Fest des heiligen Ignatius, also einen Tag später wird – so Gott will – sein Nachfolger für Mitteleuropa bekannt gegeben und es beginnt ein ganz neuer Abschnitt für alle Jesuiten Österreichs, der Schweiz, Litauens Schwedens und Deutschlands, denn dieser neue Provinzial wird für alle diese Länder zuständig sein.
Ich bitte Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Ihr Gebet für uns alle, dass wir aus dem Geist dieses Gebetes leben und die Freiheit, die der Gehorsam schenkt, erfahren, weitergeben und daraus den Menschen in Mitteleuropa dienen können. Danke!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
29. Juli 2020
PS: Nun macht „update-seele“ wieder für drei Wochen Pause. Ende August gibt es dann den nächsten Impuls.
Hier nun der erste Punkt aus der erwähnten Betrachtung aus dem Exerzitienbuch.

Ignatius von Loyola
BETRACHTUNG, UM LIEBE ZU ERLANGEN.
BEMERKUNG: Zuerst ist es angebracht, zwei Dinge zu beachten:
Das erste ist: Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden.
Das zweite: Die Liebe besteht in Mitteilung von beiden Seiten: nämlich darin, dass der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem, was er hat oder kann; und genauso umgekehrt der Geliebte dem Liebenden. Wenn also der eine Wissen hat, es dem geben, der es nicht hat; wenn Ehren; wenn Reichtümer; und genauso gegenseitig.
ERSTE HINFÜHRUNG IST: Zusammenstellung, die hier ist: Sehen, wie ich vor Gott unserem Herrn stehe, vor den Engeln, vor den Heiligen, die für mich eintreten.
DIE ZWEITE: Um das bitten, was ich will. Hier wird dies sein: Um innere Erkenntnis von so viel empfangenem Guten bitten, damit ich, indem ich es gänzlich anerkenne, in allem seine göttliche Majestät lieben und ihr dienen kann.
DER ERSTE PUNKT IST: Die empfangenen Wohltaten von Schöpfung, Erlösung und besonderen Gaben ins Gedächtnis bringen, indem ich mit vielem Verlangen wäge, wieviel Gott unser Herr für mich getan hat und wieviel er mir von dem gegeben hat, was er hat, und wie weiterhin derselbe Herr sich mir nach seiner göttlichen Anordnung zu geben wünscht, sosehr er kann.
Und hierauf mich auf mich selbst zurückbesinnen, indem ich mit viel Recht und Gerechtigkeit erwäge, was ich von meiner Seite seiner göttlichen Majestät anbieten und geben muss, nämlich alle meine Dinge und mich selbst mit ihnen, wie einer, der mit vielem Verlangen anbietet: »Nehmt, Herr, und empfangt meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir gegeben; Euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Euer, verfügt nach Eurem ganzen Willen. Gebt mir Eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir.«
(Exerzitienbuch 230-234, Übersetzung P. Knauer)