Magisches Denken und Glaube

Mindestens als kleines Kind, das so allmählich die Welt kennenlernt, hat jeder ein magisches Weltbild. Alles, was passiert, hat direkt mit mir zu tun. Wenn ich mich am Tisch stoße, dann haue ich den Tisch: „Du, böser Tisch, hast mir weh getan!“ Wir könnten das auch ein personales Weltbild nennen, weil das erste, was ich überhaupt in der Welt kennenlerne, Personen sind, Menschen sind. Zuerst einmal meine Mutter, in der ich ja heranwachse, bis ich geboren werde. Darum halte ich als kleines Kind alles, was mir begegnet, für solche personalen Wesen, die mir zugewandt, die mir freundlich und lieb oder auch unfreundlich und unzuverlässig begegnen. Und so verhalte ich mich auch: Du böser Tisch…

Mühsam muss ich lernen, dass der Stein, der mir auf den Fuß fällt, mir nicht bewusst weh tun wollte. Dass Dinge, aber auch Menschen nicht nur für mich da sind, sondern auch ihr Eigenleben, ihre Eigenexistenz haben und eigenen Gesetzen folgen.

Aus diesem kindlichen und personalen Denken entwickelt sich in den ersten drei Lebensjahren das so genannte Urvertrauen oder wie ich es gern nenne, ein Du-Verhältnis zum Ganzen. Es besagt, ich gewinne die Überzeugung, dass die Menschen grundsätzlich gut und vertrauenswürdig sind. Und das gilt auch für das Ganze der Welt. So wie die Eltern so trägt mich die Welt. So wie die Eltern so nährt mich die Welt. Wie die Eltern, so ist auch die Welt im Prinzip verlässlich und geht die Nacht vorbei, scheint wieder die Sonne und lacht mir zu. Und so auch Gott.

Das drückt wunderbar der Aaronitische Segen aus. Er nimmt meine Kindererfahrung der mich anlächelnden, strahlenden Eltern auf und überträgt sie auf die Sonne und von da auf Gott: „Der Herr segne dich und behüte dich, er lasse sein Angesicht über dir leuchten und schenke dir Frieden“ (Numeri 6,24-26). Das ist Segen, wenn ich das glauben und erfahren kann, dass Gott und das Ganze der Welt mir freundlich und zuverlässig zugewandt sind.

Es ist leider nicht nur so und nicht immer so. Der Umgang mit den Eltern kann auch gestört sein. Es kann dann im schlimmsten Falle ein Ur-Misstrauen entstehen. Damit ist es sehr schwer zu leben. Es kann sich aber auch ein unreifes und falsches Verhältnis zum Ganzen und zu Gott entwickeln. Und dazu gehört das magische Denken. Da behält die Welt, da behält Gott etwas Unberechenbares, das ich mir gnädig stimmen muss durch irgendwelche Praktiken, durch wunderbare Steine, Opfer, Zaubersprüche oder was immer. Schauen Sie nur einmal auf das eigene Leben, aber auch ringsum. Alles ist voll von solchen Praktiken und Gewohnheiten, von der schwarzen Katze bis zum Horoskop, von Voodoo-Puppen bis zu Hokuspokus. Die falsche Vorstellung ist hier, dass ich über Gott verfügen kann, dass ich ihn mir dienstbar machen kann, ja, dass ich ihn zu irgendetwas zwingen kann. Hier wird Gottes Souveränität und Freiheit nicht ernst genommen.

An dieser Stelle ist es hilfreich, einmal darauf zu schauen, ob ich das auch mit meinen Mitmenschen so mache, weil ich es selbst oft durch Mutter oder Vater erfahren habe. Dass ich also dazu neige, meine Mitmenschen zu manipulieren und zu etwas zu zwingen. Dann kann es auch sein, dass ich so mit Gott umgehe. Und das heißt dann magisches Denken und Handeln. Es kann aber auch sein, dass ich mich immer selbst erniedrige und sklavisch und unfrei verhalte und so meine, Gott oder das Schicksal zu bewegen oder bewegen zu müssen.

Das bedeutet übrigens nicht, dass ich Gott nicht bitten darf, auch heftig bitten und dringend bitten. Aber die Bitte lässt frei. Das gilt gegenüber Menschen und das gilt gegenüber Gott. Jesus fordert uns auf, zu bitten, ja, dringend und dauernd zu bitten, sogar lästig zu fallen, wie er im Gleichnis vom ungerechten Richter und der bittenden Witwe so drastisch erzählt, vgl. Lukas 18,1-8. Aber es bleibt ein erwachsenes und reifes Verhältnis. Es hat nichts von Magie, von Manipulation oder Unterwerfung.

Alles magische Denken soll in meinem Glaubensleben überwunden werden. Und das heißt: es kommt im Glauben darauf an, erwachsen zu werden. Die Tradition spricht hier von der Reinigung und Klärung der Gottesbeziehung. Unsere Beziehung zu Gott ist am Anfang oft sehr ichbezogen. Ich will etwas für mich. Das ist auch ganz in Ordnung so. Nur soll es nicht so bleiben. Das braucht einen langen und manchmal argen Weg der Erkenntnis, der auch weh tut, weil er durch Enttäuschungen hindurchmuss. Meine falschen Gottesvorstellungen und daraus auch mein falsches Verhältnis zu Gott muss und darf sich ändern. Es darf freier, reifer, umfassender, selbstverständlicher, friedlicher, versöhnter und vertrauter werden, nicht mehr voller Kleinglauben, Misstrauen und Rückzug. Genau wie bei einem Ehepaar oder anderer menschlicher Liebe und Beziehung. Wir müssen oft sehr intensiv miteinander ringen und uns auseinandersetzen, bis es da auch versöhnter, freier, reifer, umfassender und selbstverständlicher ist. Ich erwarte vom anderen nicht mehr die Totalerfüllung aller meiner Wünsche und Sehnsüchte, sondern nur noch das, was er, was sie wirklich zu geben vermag. Dann wird Friede und Versöhnung und dann endlich siegt die Liebe. Und so auch in der Beziehung mit Gott.

Viel ist hier noch zu schreiben, aber für heute genügt es.

Es grüßt Sie herzlich und wünscht weiter österliche Freiheit und Freude
Thomas Gertler SJ

19. April 2023

Durch Ostern verwandelt sich das Verhältnis der Jüngerinnen und Jünger zu Jesus. Es wird geschwisterlich. Es wird reifer und erwachsener. Ganz deutlich ist das in der Geschichte von Maria Magdalena und Jesus. Maria will Jesus holen und halten, sich an ihm festklammern. Das braucht sie nicht mehr. Sie ist nun selbständig. Sie kann und soll selbst stehen. Darum wird sie von Jesus zu den Brüdern gesandt als erste Apostolin. Und die Jünger werden zu Brüdern Jesu. Man kann auch den Galaterbrief lesen. Da geht es darum, dass die Galater wieder in die Unfreiheit fallen, nachdem sie durch Paulus die Freiheit erfahren hatten. Paulus will sie wieder zurückführen.

Johannes 20,11 - 18

20,11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. 12 Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. 13 Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. 16 Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. 17 Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.