Loslassen

„Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich schlafe meist schlecht. Als es mir jetzt gerade einmal besonders schlecht ging und ich voller Sorgen und Traurigkeit war, bin ich dann schon bei hellem Tag ins Bett gegangen. Ich konnte einfach nicht mehr. Und da habe ich gebetet: Lieber Gott ich kann gar nicht mehr. Du musst mir jetzt helfen. Und da habe ich dann alles los lassen können. Ich habe so einen kleinen leichten Luftzug gespürt und der hat alles von mir genommen und ich habe zwölf Stunden geschlafen. Und das war sooo gut!“

Wunderbar, so eine Geschichte zu hören. Ich erinnere mich an die Nacht vor meiner Priesterweihe. Eigentlich eine Nacht mit allem Grund aufgeregt zu sein und nicht schlafen zu können. Aber damals habe ich so ein ähnliches Geschenk bekommen. Ich konnte mir selbst sagen: Thomas, es ist alles bereitet und für alles gesorgt. Lass einfach los. Gib alles in Gottes gute Hände. Und es ging. Ich konnte es: einfach loslassen und in Gottes gute Hände geben. Und ich habe wunderbar geschlafen.

Loslassen ist aber manchmal viel schwerer und härter. Die Kinder wollen aus dem Haus. Sie wollen selbst und allein leben und von nun ab ohne Eltern. Für die Kinder ganz natürlich und positiv. Für die Eltern, die jetzt 18 und 20 Jahre für die Kinder da waren und gesorgt haben, gar nicht leicht. Loslassen und gehen lassen ist für die Eltern eine schwere Herausforderung ihres Vertrauens. Und sie bleiben dann allein zurück. Heute ja sehr oft wegen Trennung nur ein Elternteil. Plötzlich ist das Haus leer. So leer. Loslassen ist schwer. Aber ohne Ja zu dieser neuen Situation kann nichts Neues werden.

Nochmal schwerer ist es, los zu lassen, wenn ein geliebter Mensch stirbt. „Jetzt haben wir mehr als fünfzig Jahre zusammen gelebt. Wir sind richtig zusammen gewachsen. Wir haben alles gemeinsam gemacht. Und nun die schreckliche Trennung durch den grausamen Tod. So hart. So unerträglich. So unmöglich. Das darf doch nicht sein!“ Nein, da loslassen, das geht da erstmal gar nicht. Denn immer wieder neu muss Abschied genommen werden und losgelassen werden. Zum ersten Mal allein Weihnachten feiern, allein Ostern, allein Urlaub, allein Geburtstag, Hochzeitstag. So schwer da los zu lassen.

Das dauert und es darf auch dauern. Und Weinen und Trauern und Klagen sind wichtig. Sie müssen sein. Und da ist das Loslassen und den Partner gehen lassen eine schwere, sehr schwere Herausforderung. Fast eine Überforderung – am Anfang sicher. Aber jede Herausforderung ist auch ein Anruf, ein Aufruf, eine Aufgabe. Und es geht nicht wirklich weiter, wenn ich nicht los lasse, wenn ich nicht Ja sage, dass der geliebte Mensch auch gehen darf. Es braucht viele Schritte, um dahin zu kommen. Sie wollen gegangen werden.

Dann kann sich ein neues, ein eigenes Leben zeigen. Die Leere, die so schrecklich war, kann sich allmählich füllen, was am Anfang ganz unvorstellbar war. Für mich gibt es eine wunderbare biblische Geschichte, die uns das erzählt mit all den Schritten: Von der Trauer mit ihrer typischen Blickverengung auf den Verlust und der Sehnsucht, den Geliebten wieder zu haben und zu halten. Mit der Herausforderung zum Loslassen und nicht mehr Festhalten und der neuen Aufgabe. Das ist die Geschichte der Begegnung von Maria von Magdala mit dem auferstandenen Jesus. Sie zeigt, wie Jesus mit Maria den Weg vom Karfreitag, vom Tod, nach Ostern, zum neuen Leben geht. Eine Geschichte der Bewältigung der Trauer und der österlichen Befreiung. Maria muss nicht mehr festhalten. Sie kann selbst stehen und selbst gehen und die frohe Botschaft bringen. Was da mit ihr und Jesus so schnell geschieht, das kann bei uns lange Jahre dauern. Es kann aber auch so geschehen.

Die Wandlung im Evangelium geschieht in dem Moment, in dem Jesus Maria mit ihrem Namen anspricht. So ganz einmalig. Wenn Sie dieses Evangelium meditieren, lassen Sie Jesus IhrenNamen sagen!

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

1. Mai 2019

Im Johannesevangelium ist Maria von Magdala die erste Zeugin der Auferstehung und wird mit diesem Zeugnis von Jesus zu den Aposteln gesandt. Darum ist sie die Apostolin der Apostel und ihr Fest wird als Apostelfest gefeiert.

 

Johannes 20,11 - 18

11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. 12 Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. 13 Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.
16 Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. 17 Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.