Liebenswerte Kleinigkeiten

 

„Liebenswert“, dieses schöne Wort scheint mir in unserem Sprachgebrauch mittlerweile eher selten vorzukommen. Stattdessen beschreiben wir ein positives Erleben gerne mit „mega“ oder „super“ oder digital mit einem hochgestreckten Daumen. Eigentlich schade, denn „liebenswert“ also „des Liebens wert“ oder „der Liebe wert“, sagt für mich mehr aus. Deshalb freue ich mich, diesem Adjektiv wieder einmal in einem Brief des Apostels Paulus zu begegnen: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, … darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8)

Solche Worte lese ich in diesen Wochen zwischen Wahl- und Impfgezänk, zwischen Klimarettung, Gendersternchen und Synoden-Fever umso aufmerksamer. Und wenn sich zwischen all die großen Themen auch noch mein kleiner Alltag webt, der sein eigenes Hinschauen und Unterscheiden fordert, dann lasse ich die biblische Empfehlung in mir nachklingen und frage mich: Was ist denn jeweils wahrhaftiger, edler, ansprechender, liebenswerter und lauter?

Oft sind es die ganz kleinen Dinge am Rande, die geschenkten, die das Leben liebenswerter und edler machen. Mir fällt spontan die blaue Hortensie ein, die die Nachbarn zu meinen Kübeln vor unsere Haustür gestellt hatten, damit ich sie während ihrer Urlaubsreise mit versorge. Seit der Rückkehr steht das „Pflegekind“ aber nicht wieder hinter Nachbars Fensterscheibe, sondern tatsächlich vor deren eigener Haustür und erfreut auf liebenswerte Weise die Passanten und die Schmetterlinge! Am meisten aber freue ich mich eigentlich über den vermehrten Kontakt zu den Nachbarn, zumal wir nun ein gemeinsames Interesse entdeckt haben.

Und siehe da, es scheint sogar ansteckend zu sein: Gegenüber im zweiten Stock platzierte eine Studentin über den Sommer zwei blühende Blumenkästen draußen auf ihrer Fensterbank und der Bäckermeister von nebenan hat auf das Dach seines kleinen Schuppens vielfarbige Sukkulenten gepflanzt.

Alles nur Kleinigkeiten, stimmt, aber mehr Grün in einer Straße tut ja nicht nur der Luft, sondern auch der menschlichen Seele gut; mehr Aufmerksamkeit im Kleinen kann große Wirkung auf unsere Alltagsqualität und auch auf das menschliche Zusammenleben haben.

„Was liebenswert ist, darauf seid bedacht.“ Ja, suchen und erhalten wir uns täglich kleine Anlässe zur Freude und Auferbauung, Bilder, die unsere Sinne wecken und die Saiten unserer Seele zum Klingen bringen. Von solch einem besonderen Moment für die menschliche Seele und das Miteinander erzählt eine kleine Geschichte aus Kenia:

Die Küsterin wurde auf einen etwas vernachlässigt wirkenden Mann aufmerksam, der jeden Mittag um 12 Uhr die Kirche betrat und sie ziemlich schnell wieder verließ. Auf die Frage, was er denn in der Kirche tue, antwortete der Mann: „Ich gehe hinein, um zu beten.“ Verwundert entgegnete die Küsterin: „Aber Sie sind niemals lange genug drin, um zu beten“. Da sagte der Mann: „Ich kann kein langes Gebet sprechen, aber ich komme jeden Tag um 12 Uhr vorbei und sage: ‚Hallo Jesus, hier ist Jim‘. Dann warte ich eine Minute, und er hört mich.“

Eines Tages kam Jim wegen einer Beinverletzung ins Krankenhaus, wo er irgendwie einen heilsamen Einfluss auf die anderen Patienten hatte. Die Nörgler wurden freundlicher und es wurde viel gelacht in den Zimmern. „Jim“, sagte die Stationsschwester, „die anderen sagen, dass Sie diese Veränderung herbeigeführt haben. Sie sind immer so fröhlich!“ „Ja, Schwester, aber dafür kann ich nichts“, antwortete Jim, „das kommt durch meinen Besucher.“ Die Schwester hatte bei Jim noch nie Besuch gesehen. „Ihr Besucher?“ fragte sie, „aber wann kommt er denn?“ „Jeden Mittag um 12 Uhr“, antwortete Jim. „Er kommt, stellt sich an das Fußende meines Bettes und sagt: ‚Hallo Jim, hier ist Jesus‘.“

Wahrscheinlich hatte Jim nie eine Gelegenheit gehabt, die Schule zu besuchen, aber er hatte gelernt, in so enger Gemeinschaft mit Jesus zu leben, dass er zu jeder Zeit mit ihm reden konnte.

Ob mittags um 12.00, abends oder morgens, ob zu Hause, in der Natur oder in einer Kirche - vielleicht haben auch Sie eine regelmäßige Zeit und einen festen Ort, um zu beten? Oder Sie sind noch auf der Suche? Vielleicht machen Sie es einmal wie Jim, indem Sie zu Beginn Ihren eigenen Namen einsetzen: „Hallo Jesus, hier ist ..….“ Und dann dürfen Sie Jesus oder Gott mit einfachen Worten erzählen, was Sie auf dem Herzen haben, was Sie berührt oder beschäftigt. Sie dürfen danken und loben, klagen und bitten, fragen und zweifeln, oder auch einfach nur schweigend in Gottes Gegenwart sein.

Das Beten kann eine liebenswerte Angewohnheit im Alltag werden, wie bei Jim, egal ob für eine Minute oder eine Viertel- oder halbe Stunde. Nicht nur eine Angewohnheit kann es werden, sondern ein „Lebensmittel“, das Nahrung und Halt und sogar Heimat gibt. „Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen“, so besingt der Psalmist seine Erfahrung. „Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn.“ (Ps 84)

Und diese Sehnsucht ist keine Einbahnstraße – ist doch Gottes Sehnsucht der Mensch (Augustinus)! Darum ist für Gott nichts liebenswerter als der Mensch, also Sie und ich, ja, jedes Leben und seine gute Schöpfung, die er uns anvertraut hat. Seiner Liebe bleiben wir immer wert!

Alle anderen Dinge sind ein Abbild der Liebe und Güte Gottes – und sei es eine offene Kirchentür in der Mittagspause. Oder eine blaue Hortensie in einer tristen Straße.

Einen farbenfrohen Herbst mit vielen liebenswerten Momenten wünscht Ihnen

Marlies Fricke (GCL)

Der junge König Salomo steht unerfahren vor der großen Aufgabe, das Volk zu regieren. Dafür bittet er Gott nur um eine unsichtbare „Kleinigkeit“, die aber alles andere übersteigt: ein hörendes Herz.

Foto: Pfarrbriefservice ©Peter Weidemann

1 Könige, 3, 7-12

7 So hast du jetzt, HERR, mein Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht aus noch ein. 8 Dein Knecht steht aber mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. 9 Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht! Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? 10 Es gefiel dem Herrn, dass Salomo diese Bitte aussprach. 11 Daher antwortete ihm Gott: Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, 12 werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht.