Letztes Wort am Beginn

Foto: Adrian Eissler - CC BY 3.0

An den Anfang des Neuen Jahres möchte ich ein Schlusswort setzen. Es ist das letzte Wort einer Angeklagten in einem Prozess gegen eine der vielen mutigen und engagierten Frauen und Männer in Weißrussland in diesem Jahr. Es handelt sich um Volha Zalatar (russisch Olga Solotar), eine 38 jährige Mutter von fünf Kindern. Sie wurde verhaftet, als sie ihre Tochter zum Musikunterricht bringen wollte.

Sie wird vermutlich fünf Jahre in ein Straflager müssen, weil sie sich um politische Gefangene gekümmert hat, weil sie nachbarschaftliche Zusammenkünfte organisierte und an Demonstrationen teilgenommen hat. Das wird nun als Extremismus bestraft.

Ich finde, ihr letztes Wort in dem Prozess kann gut als Anfangswort zum Neuen Jahr stehen. Immer wenn uns im kommenden Jahr Überdruss, Gleichgültigkeit, Müdigkeit oder auch Wut und Hass und Aggression ergreifen und bestimmen wollen, dann dürfen wir sie lesen und uns ins Gedächtnis rufen. Das Schlusswort als Anfangswort.

Sie machte am 30. November zum Ende ihres Prozesses zu den Richtern und den Anwesenden ihre letzte freie Meinungsäußerung (in der Übersetzung von Katharina Narbutovis):

„Ich bin hier, weil ich kein gleichgültiger Mensch bin. Ich bin hier, weil ich nach Gottes Testament lebe. Ich bin hier, weil ich eine Mutter bin, die ihre Kinder beschützen möchte. Als Mutter und Katholikin trete ich für die Würde des Menschen und für geistige Werte ein. Alle meine Handlungen und Äußerungen sind von Liebe zu den Menschen und von Abscheu gegen Lüge und Gewalt getragen. Wir alle sind Kinder Gottes. Jeder hat das Potential dazu, diese Welt dem Reich Gottes vergleichbar zu machen, wo die Liebe regiert.

In Gottes Reich gibt es keinen Hass, keinen Neid, keine Lüge, keine Rache, keine Angst. Es zerreißt mir das Herz, weil das Maß des Hasses steigt, die Zahl der Verletzungen und Beleidigungen zunimmt. Es braucht Buße und gegenseitige Vergebung. Nur so kann die gesellschaftliche und politische Krise im Land gestoppt werden. In den Prozessunterlagen wird meinen Handlungen ein Sinn zugeschrieben, den ich nicht für möglich gehalten hätte. Gewöhnliche menschliche Handlungsweisen, Reaktionen und Gefühle werden kriminalisiert.

In den Prozessunterlagen findet sich ein Foto von einem Plakat, auf dem ,Frieden. Liebe. Freiheit.’ geschrieben steht. Ich unterschreibe jedes einzelne Wort. Ich möchte Frieden für mein Heimatland. Ich möchte, dass in meinem Land Liebe zu Gott und zu den Menschen herrscht. Ich möchte mit einem Vers Umadzimir Karatkievims enden: ‚In Belarus ist Gott zuhaus.’ Es lebe Gott! Er lebe ewig.“

Der Text stammt aus dem Tagesspiegel.

Was soll dem jetzt noch hinzugefügt werden außer der Bitte, für diese tapferen und mutigen und nun eingesperrten Menschen zu beten und sich für sie einzusetzen, wo immer es dazu eine Möglichkeit gibt. Und sich ihr Wort zu Herzen zu nehmen und auch in unserem Lande für Frieden, Liebe und Freiheit einzutreten und Gott Raum zu geben.

Es grüßt Sie herzlich im Übergang zum Neuen Jahr und wünscht uns allen Gottes gnädiges Geleit durch alles, was kommen wird.

Thomas Gertler SJ

29. Dezember 2021

Paulus, der in Rom im Gefängnis sitzt, schreibt an die Gemeinde in Kolossä, und er schreibt damals aus seiner Zelle ganz Ähnliches, was auch Volha Zalatar in ihrem Schlusswort sagt. Nach der Überlieferung haben Petrus und Paulus in diesem Gefängnis gesessen. Und Paulus soll von dort den Brief an die Kolosser geschrieben haben. Der Raum heißt Tullianum oder auch Mamertinum (spätere Bezeichnung).

 

Foto: Rabax63 - CC BY-SA 4.0

 

Brief an die Kolosser 3,8 - 17

3,8 Jetzt aber sollt auch ihr das alles ablegen: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung und schmutzige Rede, die aus eurem Munde kommt. 9 Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt 10 und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen. 11 Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus ist alles und in allen. 12 Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! 13 Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist! 15 Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! 16 Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. In aller Weisheit belehrt und ermahnt einander! Singt Gott Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder in Dankbarkeit in euren Herzen! 17 Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Dankt Gott, dem Vater, durch ihn!