Leibhaftig heißt ja so viel wie tatsächlich und wirklich und wahrhaftig. Wirklichkeitsbeweis erster Güte ist die Leibhaftigkeit. „Leibhaftig stand sie vor mir.“ So lange wir gesund und munter sind, sind wir uns unserer eigenen Leibhaftigkeit wenig bewusst. Gesundheit heißt Schweigen der Organe. Oder einfach keine Schmerzen haben. Den Leib zwar spüren und brauchen können, aber nicht unangenehm. Und das ist uns dann selbstverständlich.
Wir freuen uns daran zu wandern oder zu joggen. Bewegungsfreude, ja, Bewegungslust – besonders an Kindern zu bewundern, wie und wenn sie alle Glieder ausprobieren und üben und wie sie dabei juchzen und jauchzen. Aber auch unsere Sinne gebrauchen zu können. Beim Wandern die warme oder kühle Luft zu spüren. Die Landschaft zu genießen. Die Vögel zu hören oder Kuhglocken. Oder am Meer das Anbranden der Wellen. Den Sand unter den Füßen zu fühlen, besonders wenn ich barfuß laufe. Leben heißt im Leibe sein. Mit allen Sinnen das Leben zu spüren. Das ist großartig und eine Freude.
Ganz anders werde ich mir meines Leibes bewusst, wenn ich krank bin. Plötzlich schweigen die Organe nicht mehr. Es kann sein, dass der Magen schmerzt oder der der Kopf weh tut, dass mein Herz herumspringt. Oder der Zahn klopft und wummert. Besonders schlimm, ja furchtbar, wenn dauernder Schmerz mich plagt. Jeder Schritt weh tut. Wenn die Hüfte oder das Knie schmerzt. Dauernder Schmerz macht uns mürbe. Nimmt uns die Lebensfreude. Schrecklich.
Alles beim Menschen geschieht im Leibe und mit dem Leibe. Auch das reine Nachdenken geschieht, wie Hirnforscher nachweisen können, immer mit Nervenaktivität und hinterlässt auch Spuren im Gehirn. Ja, auch meine Gebete, ja auch meine Meditationen, alles geschieht im Leibe und mit meinem Leibe. Und dass es im Hirn Gegenden gibt, wo man Glaube und Religion ansiedelt, heißt ja nicht, dass das alles gegen die Existenz Gottes spräche, wie manche annehmen. Es geht gar nicht anders. Wir glauben eben auch mit dem Leibe. Auch wenn die Forscher zwar messen können, dass da was passiert in meinem Gehirn, was ich denke, das können sie noch nicht lesen.
Dass alles leibhaft geschieht, sollen wir auch im geistlichen Leben berücksichtigen. Die katholische Religion hat da viele gute Traditionen. Beten geht eben leichter mit bestimmten Körperhaltungen. Stehend und mit ausgebreiteten Armen beten, das haben wir schon von unseren jüdischen Brüdern und Schwestern. Das richtet uns auch innerlich aus. Körperliche Haltung und geistige und geistliche Einstellung sollen einander entsprechen. Und wenn ich mich körperlich aufrichte, dann kann sich auch die Seele wieder aufrichten. Üben Sie es einmal wieder! Hier können Sie einmal nachlesen und nachschauen, was es alles gibt: knien, stehen, liegen, gehen und anderes, sogar tanzen.
So habe ich beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass man beim Meditieren mit einem geraden Rücken nicht einschläft. Erst wenn man zusammensinkt oder sich anlehnt, wird man müde und schläft ein. Solange ich im Rücken aufgerichtet bleibe, solange schlafe ich nicht ein. Das ist eine große Hilfe. Dazu kann man angeschrägtes Höckerchen oder eine bestimmte Sitzweise benutzen, aber es reicht auch ein Stuhl mit gerader Sitzfläche, der hoch genug ist, dass auch die Beine möglichst rechtwinklig sein können. Eine Decke oder ein Keilkissen helfen auch.
Leib und Seele unterstützen sich gegenseitig beim Beten. So kann mir mein Atmen helfen, mit dem Schmerz besser umzugehen, indem ich geistig den Atem zur schmerzenden Stelle leite. Indem ich den Schmerz durchatme. Es kann helfen, ist aber keine Garantie. Aber es kann sein, dass ich so trotz Schmerzen beten kann.
Leibhaftig sind wir ganz und gar und unser Leib ist ein großes Geschenk. Auch wenn wir immer noch in Traditionen leben, in denen der Leib verachtet wurde. Sehr humorvoll finden Sie diese Spannung bei Robert Gernhardt ausgedrückt: „Siebenmal mein Körper“.
An dieser Stelle breche ich ab. Es wäre noch so viel zum Thema zu sagen, aber das geht jetzt nicht. Aber denken Sie einmal über Ihre Leiberfahrungen nach und danken Sie auch einmal bewusst für ihn, der oft so strapaziert und von uns nicht gut behandelt wird.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
23. Oktober 2019
Paulus erinnert uns im 1. Korintherbrief daran, dass wir Tempel Gottes und Tempel des Heiligen Geistes sind. Gott wohnt in uns. Darum sollen wir gut und sorgsam mit dem Leib umgehen. Und wir sollen, wie oben geschrieben und von Paulus betont, Gott mit und in unserem Leib verherrlichen. Auf dem mittelalterlichen Bild können wir sehen, wie der Geist auf die Gläubigen herabkommt und sie inmitten des Tempels zu Tempeln des Geistes macht.
1 Kor 6,19 - 20
1 Kor 6,19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; 20 denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!