
Foto: Thomas Gertler
Angst ist ein Gefühl, das unbestimmt ist. Furcht ist ein Gefühl, das sich auf etwas Bestimmtes richtet. Ich stehe beispielsweise vor dem Abitur. Das macht mir Angst. Das ist ein unbestimmtes Gefühl und gießt sich auf alles aus. Eine Hilfe ist es, diese unbestimmte Angst in eine konkrete Furcht zu verwandeln. Wovor konkret fürchte ich mich? Das wäre zum Beispiel die Matheprüfung. Vor der fürchte ich mich. Bei Furcht kann man aber etwas machen. Bei Mathe kann ich etwas tun. Selber lernen und mir Unterstützung holen. Dann kann diese diffuse Angst in etwas Konkretes verwandelt werden und ich kann etwas tun. Sie verliert ihre Macht.
Es kann auch etwas anderes sein zum Beispiel jetzt der Verlust des Arbeitsplatzes. Das kann mich ganz schön packen und lähmen und alles dunkelgrau bis schwarz malen. Da hat mir einmal ein guter Freund den Rat eines anderen weitergegeben, ich glaube eines Amerikaners. Der hat gesagt: Was ist das Schlimmste, was jetzt passieren kann? Du verlierst wirklich den Arbeitsplatzt. Das wäre das Schlimmste. So. Das versuchst du jetzt zu akzeptieren. Ich werde arbeitslos. Nicht davor zurückscheuen, sondern annehmen. Ok. Und jetzt sagst du dir: Damit ist das Leben noch nicht zu Ende, sondern es gibt noch viele weitere Chancen und konkrete Schritte, die du tun kannst. Also richte dich auf und richte dich aus.
Diese Schritte ins Konkrete hinein und ins Annehmen hinein, die verwandeln deine so unbestimmte, alles umfassende Angst. Sie lassen dich leichter mit ihr umgehen. Und das gilt auch jetzt in der Corona-Zeit. Auch die erfüllt uns mit so einer allgemeinen Angst. Die Angst ist auch berechtigt, denn es gibt so viele verschiedene Gefahren. Versuchen Sie also diese unbestimmte Angst auch in Furcht zu verwandeln. Also schauen Sie auf das, was Sie jetzt konkret am meisten befürchten. Was ist das Schlimmste, was eintreten kann? Und das versuchen Sie zu akzeptieren. Ja, dazu zu sagen. Und dann damit umzugehen. Schritte zu unternehmen, sich zu wehren, zuversichtlich zu bleiben.
Ja, das geht doch nicht immer! Wie soll denn das gehen angesichts des Allerschlimmsten? Angesichts des Todes? Und diese Angst steht doch zuletzt hinter allen den einzelnen Sorgen, die uns jetzt bei Corona plagen. Ja, mit einem Mal rückt uns diese Frage nahe. Auf den Leib. Nicht nur angesichts der täglichen Zahlen von Infizierten und von Toten. Nein, ich muss es mir auch sagen im Hinblick darauf, dass ich ja selbst zu denen gehöre, die man Risikogruppe nennt. Sollte das Virus mich erreichen, ist es tatsächlich lebensgefährlich.
Es hat mir sehr geholfen, in dieser Situation eine Predigt über die Auferweckung des Lazarus (in Kapitel 11 des Johannesevangeliums) vorzubereiten. Die ganze Geschichte ist im Johannesevangelium darauf ausgerichtet, uns Glauben und Vertrauen zu geben auch angesichts des Todes und des Grabes. Angesichts des Allerschlimmsten, das jetzt eintreten kann. Jesus holt den toten Lazarus aus dem Grab heraus, damit seine Schwestern Marta und Maria (und seine Jünger) glauben können, was er ihnen sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25-26).
Wenn ich das glaube, wird auch das Allerschlimmste, was passieren kann, noch einmal relativiert. Der Tod verliert nicht seinen Schrecken, seine Drohung, seine Angst. Nein, das nicht. Jesus selbst hat das alles am eigenen Leibe erfahren. Aber Jesus gibt uns Hoffnung auch angesichts des Allerschlimmsten. Wir können darauf schauen und müssen nicht fliehen. Oder in Angst versinken. Und er selbst vertraut auch in der Erfahrung der Gottverlassenheit des Karfreitags noch auf Gott. Er legt sein Leben in die Hände Gottes, des Vaters, und er denkt auch noch im Sterben an die Seinen. Sorgt für seine Mutter, indem er ihr Johannes als Sohn gibt. Und er nimmt sogar noch den vertrauenden Verbrecher mit in das Paradies.
Mich hat es sehr getröstet und wir dürfen so durch diese Woche der Pandemie und durch die Woche von Tod und Auferstehung Jesu gehen. Er ist die Auferstehung und das Leben und jeder, der an Ihn glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder der lebt und an ihn glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Das glauben wir. Darauf vertraue ich. Das ist die Osterbotschaft.
Zum Schluss komme ich auf die Überschrift: „In der Mitte der Nacht…“ Das ist der Anfang eines Liedes. Wir feiern Ostern in der Mitte der Nacht. Denn das ist der Augenblick der Wende. Da ist die Nacht am dunkelsten, aber es ist zugleich der Augenblick, da es sich zum Licht wendet. Wir müssen noch durch die enge Pforte hindurch, wie auf dem Bild. Aber das Osterlicht erwartet uns. „In der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tags…“ Des Ostertages!
Das er Ihnen scheint und leuchtet und durch alle Ängste hindurchführt in die Osterhoffnung
wünscht Ihnen von Herzen
Thomas Gertler SJ
08. April 2020
Dieses Bild mit der Auferweckung des Lazarus von Giotto können Sie in Padua in der Scrovegni-Kapelle anschauen. Und wenn Sie genau schauen, finden Sie ganz rechts auch zwei Frauen mit Mundschutz. Es ist mir früher nicht aufgefallen, bzw. ich hätte es natürlich darauf zurückgeführt, dass Marta schon vom Leichengeruch spricht. Nun aber musste ich sofort auch an unseren Mundschutz jetzt denken.
Johannes 11,21 - 27
11,21 Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.
23 Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.
25 Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt,
26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?
27 Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.