Ich muss immer lügen …

Gif: Dronthego - CC BY-SA 4.0

Fangen wir mal mit einem Witz aus Irland an. Ein Mann kommt zur Beichte und sagt: „Herr Pfarrer, ich habe aus Glaubensgründen den Glauben verleugnet.“ „Wie, bitte?“, fragt der Pfarrer. „Ja, wissen Sie, letzten Samstag hatte ja mal wieder ein bisschen zu viel getrunken. Und wie ich so nach Hause gewankt bin, gehen hinter mir zwei verdammte Protestanten und der eine sagt zum anderen: Siehst Du, wieder so ein besoffenes katholisches Schwein! Und wie sie dann bei mir auf Augenhöhe sind, habe ich laut gesagt: Ich bin nicht katholisch, ich bin Protestant…“

„Ich muss immer lügen“, das passiert natürlich gerade den Alkoholikern oft, weil sie vor sich selbst und vor anderen immer wieder ihre Sucht verstecken und verbergen müssen. Am meisten vor sich selbst. Sie machen sich immer vor, dass sie selbst damit fertig werden. Dass sie morgen aufhören können, wenn sie nur wollen. Ihre Befreiung ist dann gekommen, wenn sie die Wahrheit zugeben können: ich kann es nicht allein und nicht aus eigener Kraft.

Aber es kann auch das sehr nette und freundliche junge Mädchen sein, das immer lügen muss. Gerade, weil sie nett und freundlich sein will, darum sagt sie ihrer zweibesten Freundin eben nicht, dass sie mit ihrer besten Freundin im Kino war, als sie danach fragt. Und dann kommt es natürlich doch heraus. Ja und dann ist die zweitbeste Freundin eben nicht mehr die zweitbeste. Es ist aus und die zweitbeste ist tödlich beleidigt. Gerade das Nettsein und Liebsein wird zur Falle und zerstört gute Beziehungen, die man ja gerade durch das Lügen schaffen oder erhalten wollte.

Die guten Beziehungen beruhen aber gerade auf Wahrhaftigkeit. Echte Freundschaft zeigt sich gerade darin, dass der Freund dem Freund, die Freundin der Freundin die Wahrheit sagen und ihr auch einmal etwas Kritisches oder Schwieriges sagen kann. Das hält Freundschaft aus. Sonst taugt sie nicht. Es liegt oft am mangelnden Selbstbewusstsein, dass ich lüge. Ich will gemocht und geliebt sein. Darum lüge ich. Aber gerade durch die Lügerei erreiche ich das Gegenteil. Versuchen Sie also zu sich selbst und zu Ihren Überzeugungen zu stehen. Dann bekommen Sie Achtung und Beachtung von den Mitmenschen.

Das Geliebtwerden und Beachtetwerden ist auch der Beweggrund für das dauernde Lügen beim narzisstisch veranlagten Menschen. Der Narzisst kreist nur um sich selbst und muss sich immer wichtig und bedeutend machen. Er will der Größte sein und alles, was er tut und sagt, will gerade das zeigen und beweisen. Darum erfindet er alternative Fakten und gründet darauf Handeln und Tun. Das muss er tun, weil er im tiefsten Inneren Ohnmacht, Schwäche und Kleinheit fühlt. Darum feuert er auch alle sofort und schmeißt alle raus, die ihn kritisieren und ihm die Wahrheit sagen. Auch wieder so ein Teufelskreis.

Wie finden wir heraus aus all diesen Teufelskreisen der Lügen? Indem wir uns die Wahrheit sagen lassen und indem wir die Wahrheit sagen – uns selbst und auch den anderen.

Ingeborg Bachmann hat den Satz gesagt: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Dieser Satz ist es wert, einmal eine ganze Zeit darüber nachzudenken und zu meditieren. Tun Sie es getrost! Das ist ein wichtiger Schritt.

Wir denken und empfinden oft das Gegenteil. Wir denken und empfinden heute leicht: Die Wahrheit ist dem Menschen unzumutbar. Ja, es geht heute noch weiter, ganz viele sind der Meinung, dass der Menschen gar nicht fähig ist, die Wahrheit überhaupt zu erkennen und auszusprechen. Aber darüber müssen wir uns klar sein: Wenn wir dem Menschen die Wahrheitsfähigkeit absprechen, ist das das Gleiche, wie ihm die Freiheitsfähigkeit abzusprechen. Beides zerstört unsere Würde als Menschen. Das müsste hier viel weiter ausgeführt werden. Hier und hier finden Sie mehr dazu.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Ja, sie befreit uns. Und in ihr begegnet uns Gott. Er ist die Wahrheit.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

20. Oktober 2021

Mit Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist (Joh 14,6), gehen die Epheser den Weg der Wahrheit. Ihr Taufkleid – ganz in weiß – ist das Zeichen für das Licht und die Wahrheit, für den neuen Menschen, den sie angezogen haben. Das hier abgebildete Kleid ist freilich nicht aus Ephesus, sondern ein Taufkleid für ein Kind. Es ist etwa 100 Jahre alt und hängt in einem Museum in Amsterdam. Taufkleider werden oft über Generationen in den Familien weitergegeben.

Foto: Amsterdam Museum - CC0 1.0

Brief an die Epheser 4,20 - 32

4,20 Ihr aber habt Christus … kennengelernt; 21 ihr habt doch von ihm gehört und seid in ihm unterwiesen, wie es Wahrheit in Jesus ist: 22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.