
Foto: Ferb1972 - CC BY-SA 3.0 PL
Ja, mal wieder. Ich kenne es schon. Und besonders jetzt im November kommt es mit dem Dunkel, mit der Kälte, mit dem Nebel und der Feuchtigkeit. Alles das befördert diese Traurigkeit. So ein bisschen Novemberblues darf ja sein und hat womöglich sogar etwas Romantisches. Aber wenn es die Seele richtig runterzieht, dann kann es schon schlimm sein. Gibt es Mittel gegen die Traurigkeit?
Ja, es gibt diese Mittel. Dazu ist das Erste, dass ich meine Traurigkeit verstehe. Vor jeder Therapie stehen die Anamnese und die Diagnose. Das hört sich jetzt sehr medizinisch an. Und jede Form von krankhafter Traurigkeit oder Depression bespreche ich hier nicht. Da müssen Fachleute ran. Mir geht es um die gewöhnliche Traurigkeit, die jeden Menschen irgendwann befällt. Wie Erich Kästners „Traurigkeit, die jeder kennt“. Und da ist auch das Erste die Frage: Woher? Das ist ja manchmal sehr leicht. Eine schwere Enttäuschung zum Beispiel. Und daher soll ich mir diese Frage zuerst stellen. Und bei der schweren Enttäuschung nehme ich diese erst einmal an, akzeptiere sie. Ja, das ist so. Und mit Recht bin ich traurig und vielleicht auch wütend und verletzt. Alles ist berechtigt und all das kann ich dann auch vor Gott bringen als Klage und Trauer. So wie es viele Psalmen in der Bibel tun. Und dann kommt vielleicht Trost.
Es kann aber auch sein, dass ich nicht recht weiß, warum ich traurig bin. Da ist es gut, das eigene Gefühl zu beschreiben und in Worte zu fassen. Worauf richtet sich denn die Traurigkeit? Weil es jetzt bis Weihnachten immer dunkler wird? Allgemeiner Weltschmerz? Ganz wichtig ist auch die Frage: Wann hat es angefangen? Jetzt kommt also die Anamnese, das Erinnern. Oft kann ich dann schon sagen: Ach, seit dem missglückten Gespräch bin ich so traurig. Und dann geht es weiter wie im Abschnitt oben. Annehmen und vor Gott bringen und eventuell das Gespräch unter glücklicheren Umständen nochmals versuchen.
Es kann auch sein, dass es meine Beziehung zu Gott ist, die irgendwie nicht mehr leicht ist. Das Gebet fällt schwer. Die gewählte Bibelstelle tröstet nicht, sondern ist langweilig und zäh und alles kenne ich schon. Es schmeckt einfach nicht. Trostlos. So nennt es mein Ordensgründer Ignatius von Loyola: „Trostlosigkeit“. Und auch da ist dann die Frage: Woher und seit wann?
Erste Möglichkeit: ich war faul und nachlässig Gott gegenüber oder ich habe etwas Schlimmes getan. Aus meiner eigenen Schuld entzieht Gott mir den Trost oder seine spürbare Nähe, die mir vorher so selbstverständlich da war. Da hilft nur Umkehr und Neubeginn.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit. Wenn ich mir selbst gar nichts vorzuwerfen habe, weder Gott, dem Nächsten oder mir selbst gegenüber, dann kann diese Trostlosigkeit sogar ein Zeichen sein für einen Fortschritt in meiner Beziehung zu Gott. Wie denn das? Ja, darum weil Gott mir zutraut, dass ich auch einmal bete und im Gebet durchhalte, wenn es langweilig und trocken ist, wenn ich selbst nichts davon habe.
Das ist wie in der Liebe zwischen Menschen. Sie muss wachsen und reifen, sonst bleibt sie nicht. Wenn jemand meint und sagt: Ich rede mit meiner Frau, wenn ich das Bedürfnis dazu habe, dann ist immerhin etwas, aber das dann noch ein sehr unreifes und wenig erwachsenes Verhältnis zum anderen. Diese unreife und selbstbezogene Auffassung Gott gegenüber treffen wir aber häufig an: Ich bete, wenn ich das Bedürfnis habe zu beten. Ja, das ist für den Anfang ganz gut, aber es muss darüber hinausgehen. Auch das Verhältnis zu Gott muss tiefer werden und reifen und sich klären und über die reine Bedürfnisbefriedigung hinausgelangen. Solche Art der Trostlosigkeit oder Traurigkeit, die nicht auf eigene Schuld zurückgeht, kann dafür ein Zeichen sein. Gott traut mir schon mehr zu.
Natürlich soll ich mich immer darum bemühen, dass Gott mich wieder tröstet, dass ich aus der Traurigkeit herauskomme und wieder fröhlich pfeife, weil meine Seele im Frieden und im Einklang ist. Und dazu, sagt Ignatius, soll ich gerade mehr beten, ja sogar noch mehr Zeichen setzen, dass es mir ernst ist, indem ich Gutes tue oder auch einmal Verzicht leiste. Also von mir aus alles tue, um wieder seine Nähe zu spüren. Und das geschieht dann auch. Und die Welt ist trotz November wieder in Ordnung.
Das wünsche ich Ihnen!
Thomas Gertler SJ
10. November 2021
In den Psalmen gibt es häufig einen Umschwung von der Traurigkeit und Klage zu neuer Kraft und Freude und zum Getröstet-Sein. Hier finden wir das in dem Vers 17 des Psalms des Königs Hiskia, der schwer krank ist und wieder Hoffnung schöpft. Der Beter des Psalms wird auf diesen inneren Weg von Trauer zu Trost mitgenommen. Lassen auch Sie sich mitnehmen!
Jesaja 38,9 - 20
38,9 Ein Schriftstück von Hiskija, dem König von Juda, als er krank war und seine Krankheit überlebte: 10 Ich sprach: In der Mitte meiner Tage / muss ich hinab zu den Pforten der Unterwelt, / ich bin gefangen für den Rest meiner Jahre. 11 Ich sprach: Ich darf den HERRN nicht mehr schauen / im Land der Lebenden, keinen Menschen mehr sehen / bei den Bewohnern der Erde. 12 Meine Hütte bricht man ab, / man deckt sie über mir ab wie das Zelt eines Hirten. Wie ein Weber das Tuch habe ich mein Leben zusammengerollt, / vom Faden schneidet er mich ab; vom Tag bis in die Nacht / gibst du mich preis. 13 Ich schrie bis zum Morgen. / Wie ein Löwe zerbricht er all meine Knochen. Vom Tag bis in die Nacht / gibst du mich preis. 14 Wie ein Mauersegler, wie eine Schwalbe, so piepse ich, / ich gurre wie eine Taube. Meine Augen blicken ermattet nach oben: / Ich bin in Not, Herr. Tritt für mich ein! 15 Was soll ich reden und was wird er zu mir sagen? / Er selbst hat es doch getan! Ich irre umher all meine Jahre / wegen der Bitternis meiner Seele. 16 Herr, dadurch lebt man / und darin liegt das ganze Leben meines Geistes, / dass du mich stärkst. Gib mir das Leben! 17 Siehe, zum Heil war mir Bitteres, Bitteres. / Du, du aber hast dich nach meiner Seele gesehnt - weg von der Gruft des Nichts. / Denn du hast hinter deinen Rücken geworfen alle meine Sünden. 18 Ja, die Unterwelt dankt dir nicht, / der Tod lobt dich nicht. Die in die Grube hinabgestiegen sind, / hoffen nicht mehr auf deine Treue. 19 Der Lebende, der Lebende, er ist es, der dir dankt, / wie ich am heutigen Tag. / Ein Vater lässt die Kinder deine Treue erkennen. 20 Der HERR ist da, um mich zu retten. / Spielen wir mein Saitenspiel / alle Tage unseres Lebens am Haus des HERRN!