
Georg Stefan Troller mit 90 Jahren
Foto: Bodow - CC BY-SA 4.0
Manchmal dauert es lange. Bei Georg Stefan Troller waren es hundert Jahre. Vielleicht kam ihm die Einsicht auch früher, aber geäußert hat er sie in seinem 100. Lebensjahr in einem Interview zum Geburtstag.
Wie, Sie kennen Georg Stefan Troller nicht? Er ist ein Journalist, dessen große Zeit die 60er, 70er und 80er Jahre waren. Damals hat er solche Sendungen wie das „Pariser Journal“ oder dann „Personenbeschreibung“ für das Fernsehen produziert. Und ich habe die Interviews als junger Mann mit Begeisterung gesehen. Er brachte die großen Künstler, Schriftstellerinnen, Maler, Sängerinnen wie Edith Piaf zum Beispiel oder berühmte Schauspieler direkt zu mir nach Hause in die zugemauerte DDR.
Seiner ganz charakteristischen Stimme konnte ich stundenlang zuhören. Jetzt mit 100 Jahren ist er noch so gut beieinander, dass viele Interviews mit ihm zu lesen und auch zu sehen waren, und er mir so wieder begegnet ist, samt meiner eigenen Jugendzeit und samt meiner Träume und Sehnsüchte von damals.
Er fasst seine Erkenntnis über seinen Lebensweg nun als Hundertjähriger so zusammen: „Ich hatte als Kind oft das Gefühl, nicht wirklich lebendig zu sein, am Rand des Lebens zu existieren. Sich in das Leben anderer Menschen hineinzuarbeiten war eben eine Art, sich lebendig zu fühlen. Für all das habe ich mich früher geschämt. Jetzt empfinde ich es als Gottes Weg, mich zum richtigen Leben zu führen“ (FAZ-Magazin, Dez. 2021, S. 26).
Er hat sich geschämt für seine indiskrete Neugier. Dafür, aus der Lebensquelle anderer für sich selbst zu schöpfen. Dafür, nicht selbst zu leben, sondern vom Leben anderer zu zehren. Klar, dass man sich dafür schämt. Das verstehe ich sehr gut. Aber gerade diese Not und diese Armut haben ihn fähig gemacht, so eine Art von Journalist zu werden und sich für die Menschen seiner Zeit so sehr zu interessieren. So tief zu fragen und so berührende Gespräche zu führen. Und er hat es tatsächlich geschenkt bekommen, dadurch zum richtigen, zum lebendigen Leben zu gelangen. Ja, und das sieht er jetzt als Hundertjähriger als Geführtwerden durch Gott an. Dass er das so gesagt hat, hat mich besonders berührt.
Dass Gott ihn zum richtigen Leben geführt hat gerade durch das, was ihm so peinlich war, wofür er sich geschämt hat. Gerade das hat sich nämlich als Befähigung und Fährte erwiesen. Es hat ihm immer das richtige Leben gefehlt und gerade das hat ihm die Kraft, den Antrieb, die Gabe geschenkt als Journalist ein solches begnadetes Gegenüber zu werden, dem sich die Menschen geöffnet und dem sie sich als sie selbst gezeigt haben. Denn sie haben sich von ihm verstanden und angenommen gefühlt. Ihnen hat sein so persönliches Interesse an ihnen gut getan. Es war eben kein Durchschnittsinterview. Hier war jemand ganz an der anderen Person interessiert.
Damit stoßen wir auf die tiefe Sehnsucht jedes Menschen, nicht nur irgendetwas zu erzählen, sondern sich selbst auszusprechen, sich selbst mitzuteilen. Das geht freilich nur, wenn es ein offenes, empfindsames und annehmendes Ohr und Gegenüber gibt.
Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott selbst auch diese Sehnsucht hat, sich selbst ganz und gar mitzuteilen, selbst Wort zu sein, nicht nur etwas zu sagen, sondern sich selbst auszusprechen. Die Mehrzahl, sagt das Johannesevangelium hatte kein offenes Ohr und Herz, sie hat ihn nicht aufgenommen, „denen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12).
Kehren wir zur Erkenntnis Georg Stefan Trollers zurück: Denn so führt uns Gott. So führt er uns zur Freiheit. Das, was uns selbst eine Not ist, eine Peinlichkeit, eine Wunde, eine Armut ist. Was uns selbst etwas zu Verbergendes und Schamvolles ist und das es in jedem Menschenleben gibt, das gerade entwickelt in uns die Sehnsucht und das Verlangen, es zu überwinden, davon geheilt und erlöst zu werden. Da sind wir dann offen für Gottes Hilfe und Gnade. Wir arbeiten daran innerlich und oft auch äußerlich immer weiter. Und so kann es sich wandeln. Es wird Schwieriges nicht einfach von uns genommen, es wird nicht beseitigt, sondern es wird gewandelt zur Quelle des Lebens und zur Hilfe dazu.
Mögen wir also auch in diesem Jahr genau das erfahren. Es will und soll ein Weg durch das Jahr sein, auf dem Gott uns weiter hin zum richtigen Leben führt. Arbeiten wir daran mit!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler
5. Januar 2022
Gott will uns Hilfe, er will uns Schutz und Schirm sein vor allem, was uns schaden könnte, das sagt Psalm 121. Und Gott führt auch uns zu unserem Heil durch Eis und Schnee, durch Regen und Hitze, durch Stürme und Fluten, durch das rote Meer und die Feuerhitze der Wüste in das gelobte Land.

Foto: Martin Falbisoner - CC BY-SA 4.0
Psalm 121, 1-8
121,1 Ein Lied für die Wallfahrt. Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? 2 Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde erschaffen hat. 3 Er lässt deinen Fuß nicht wanken; dein Hüter schlummert nicht ein. 4 Siehe, er schlummert nicht ein und schläft nicht, der Hüter Israels. 5 Der HERR ist dein Hüter, der HERR gibt dir Schatten zu deiner Rechten. 6 Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden noch der Mond in der Nacht. 7 Der HERR behütet dich vor allem Bösen, er behütet dein Leben. 8 Der HERR behütet dein Gehen und dein Kommen von nun an bis in Ewigkeit.