Zweimal habe ich es erlebt, dass der Zug, in dem ich saß, einen Menschen überfahren hat. Beim zweiten Mal war es besonders furchtbar, denn in dem Regionalexpress zwischen Ingolstadt und Augsburg haben wir alle es ganz direkt erfahren. Zum Glück kam recht schnell Hilfe, sogar Notfallseelsorger waren darunter. Es war auch nötig, denn ein Mann bekam Panik und Platzangst, begann zu schreien und konnte nicht im Zug bleiben, obwohl wir ja auf freier Strecke nicht austeigen durften und es dann auch erst mit Hilfe der Feuerwehr konnten.
Es sind in Deutschland an die 840 Personen, die jedes Jahr auf den Schienen ihrem Leben ein Ende setzen. Das ist auch deshalb so schlimm, weil durch diese Art des Suizids auch jedes Jahr Lokführer schwer traumatisiert werden und häufig ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Wer einmal in solch einem Zug gesessen hat, der kann das sehr gut verstehen.
Nun habe ich in der Zeitung „Christ in der Gegenwart“ einen Artikel über England gelesen. Dort gibt es „Rail Pastors“ oder Bahnpastoren. Sie sind eigens dazu ausgebildet, auf den Bahnhöfen auf Menschen zu achten, die auffällig traurig oder nervös oder gestresst sind. Sie suchen das Gespräch mit diesen Personen. Die Ausbildung haben sie von den so genannten „Samaritans“, einer Organisation, die sich speziell der Vorbeugung des Suizids verschrieben hat. Sie bieten wie die Rail Pastoren auch über das Telefon Gespräche an: 24 Stunden täglich und das ganze Jahr über ist das Telefon besetzt. Ähnlich wie bei uns die „Telefonseelsorge“.
Durch den Einsatz dieser Bahnpastoren ist die Suizidrate auf den Schienen in Großbritannien deutlich gesunken, laut „Christ in der Gegenwart“ ((Nr. 34, 2018, S 370) um ein Drittel. Das ist eine Erfahrung, die sehr zu denken gibt. Wäre es nicht eine Überlegung wert, dass auch die Deutsche Bahn so einen Initiative ergreift oder fördert. Sicher gibt es bei uns die Bahnhofsmission und sie ist auch 24 Stunden offen und für alle da. Sie hat aber nicht diese spezielle Ausrichtung auf die Selbstmordgefährdeten. Jeder Suizid ist einer zu viel und besonders diejenigen auf den Schienen sollten weniger werden.
Aber es trifft ja nicht nur auf die Bahn zu. Jede und jeder von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sollte auf solche Personen achten, die auffällig traurig, nervös oder gestresst sind und Beistand anbieten. Ich denke dabei gar nicht so sehr an den Bahnsteig am Bahnhof. Ich denke an unsere alltägliche Umwelt, in der wir leben. Auf die Menschen in unserer eigenen Umgebung können wir achten. Gibt es da eine Änderung im Verhalten: Rückzug, dauernde Traurigkeit, aber vielleicht auch Aggressivität? Da kann es wichtig sein, eine gute Gelegenheit zum Gespräch zu suchen. Und dann ist es vor allem wichtig zuzuhören, ohne gleich Ratschläge oder Bewertungen zu geben, nein, gerade ganz offen, wohlwollend, vorurteilsfrei und diskret zuhören. Das erleichtert und befreit und hilft.
„Offenes Ohr“ heißt ein Angebot in der Moritzkirche von Augsburg. Ein offenes Ohr ist ein Geschenk. Ein Geschenk, das Sie machen können. Und das Sie finden mögen, wenn Sie es nötig brauchen.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
19. September 2018
Der Psalm 40 ist ein Lied, in dem nach der Tradition König David seine Not, ja, seine Todesnähe vor Gott bringt und um Hilfe schreit. Er erinnert sich an die Hilfe Gottes in der Vergangenheit und darum wendet er sich auch jetzt an ihn und vertraut auch jetzt auf Gott. Das will auch uns dazu ermutigen, alles, alles vor Gott zu bringen.

David im Gebet von Pieter de Grebber (um 1635)
Psalm 40
40,1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.
2 Ich hoffte, ja ich hoffte auf den HERRN. Da neigte er sich mir zu und hörte mein Schreien.
3 Er zog mich herauf aus der Grube des Grauens, aus Schlamm und Morast. Er stellte meine Füße auf Fels, machte fest meine Schritte.
4 Er gab mir ein neues Lied in den Mund, einen Lobgesang auf unseren Gott. Viele sollen es sehen, sich in Ehrfurcht neigen und auf den HERRN vertrauen.
5 Selig der Mann, der auf den HERRN sein Vertrauen setzt, der sich nicht zu Aufdringlichen wandte und zu in Lüge Verstrickten.
6 Vieles hast du getan, HERR, du mein Gott:/ deine Wunder und deine Pläne für uns. Nichts kommt dir gleich. Wollte ich von ihnen künden und reden, es wären mehr, als man zählen kann.
7 An Schlacht- und Speiseopfern hattest du kein Gefallen, doch Ohren hast du mir gegraben, Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert.
8 Da habe ich gesagt: Siehe, ich komme. In der Buchrolle steht es über mich geschrieben.
9 Deinen Willen zu tun, mein Gott, war mein Gefallen und deine Weisung ist in meinem Innern.
10 Gerechtigkeit habe ich in großer Versammlung verkündet, meine Lippen verschließe ich nicht; HERR, du weißt es.
11 Deine Gerechtigkeit habe ich nicht in meinem Herzen verborgen. Ich habe gesprochen von deinem Heil und deiner Treue, nicht verschwiegen deine Huld und deine Treue vor großer Versammlung.
12 Du, HERR, wirst dein Erbarmen nicht vor mir verschließen. Deine Huld und deine Treue werden mich immer behüten.
13 Denn Leiden ohne Zahl haben mich umfangen, meine Sünden haben mich eingeholt und ich vermag nicht mehr aufzusehn. Zahlreicher sind sie als die Haare auf meinem Kopf und der Mut hat mich verlassen.
14 Es gefalle dir, HERR, mir zu helfen! HERR, eile mir zu helfen!
15 In Schmach und Schande sollen alle fallen, die mir nach dem Leben trachten. Zurückweichen sollen und vor Scham erröten, die sich über mein Unglück freun.
16 Wegen ihrer Schmach sollen erschaudern, die zu mir sagen: Ha, dir geschieht recht.
17 Frohlocken sollen und deiner sich freuen alle, die dich suchen. Die dein Heil lieben, sollen immer sagen: Groß ist der HERR.
18 Ich aber bin elend und arm. Der Herr wird an mich denken. Meine Hilfe und mein Retter bist du. Mein Gott, säume doch nicht!