Hier hat mich mein Gott verlorn …

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Braunkohletagebau in der Lausitz

 

Das ist eine Zeile aus einem Lied von Gerhard Gundermann. Über ihn läuft jetzt ein Film, der heißt – na klar: „Gundermann“. Vielleicht haben Sie schon davon gehört oder haben ihn gar gesehen? Ein Freund hat ihn mir so sehr empfohlen, dass ich hinein gegangen bin. Er meinte auch, ich würde sicher einen Impuls darüber schreiben. Sehen Sie, was passiert ist.

Es ist ein Film über den Osten und tief, ganz tief aus dem Osten, aus HoyWoy, wie ein Lied von Gundermann heißt, aus Hoyerswerda, aus der Braunkohle, wo Gundi Baggerfahrer war und Liedermacher und IM bei der Stasi. Ich bin ja auch ein Ossi, aber im Unterschied zu Gundi kein so richtig typischer, nie so tief drin, ich war immer an der Westgrenze. Aber ich bin auch da geboren und das kann ich sagen, wie er in seinem Lied: „Hier bin ich geborn – so wie ins Wasser fällt der Stein. Hier hat mich mein Gott verlorn …“ Ich habe (gemäß Freud) erstmal gehört: Hier hab ich meinen Gott verlorn, weil das ja so viele im Osten haben – ihren Gott verloren. Nein, es heißt: Hier hat mich mein Gott verlorn.

Also er sieht es so, nicht sie, die Menschen in und um HoyWoy haben Gott verloren, sondern Gott hat ihn, hat sie alle dort verloren. Im Überflug fallen gelassen. So kann man es also auch sehen. So singt er auch ganz am Anfang vom Lied: „Hier bin ich geborn, wo die Kühe mager sind wie das Glück, hier hab ich meine Liebe verlorn…“. Aber ich sehe es so vor mir: Gott hat ihn über HoyWoy fallen lassen, eben wie den Stein ins Wasser. So ist er da gelandet. Im Land der (sieben) mageren Kühe und des mageren Glücks und der vielen braunen, sauren Kohle.

Also dieses „von Gott fallen gelassen“, dieses „von Gott verloren“ ist schön doppeldeutig. Erst mal: ja auf dieses Land bin ich gefallen, wie der Psalm 16 sagt, auf dieses Land ist mein Los gefallen. Dieses Land und seine Geschichte waren und sind mein Los. Aber hier hat mich auch Gott verloren, wie ich hier meine Liebe verloren habe. Ein gottverlassenen Land? Ja, sicher und doch nicht. Das sehen wir noch.

Es ist ein sehr kritisches und selbstkritisches Lied über seine Heimat im Osten. In der zweiten Strophe heißt es:

hier hab ich meine letzten Freunde beleidigt
harte Herzen zu Butter getanzt
hier hab ich junge Pioniere vereidigt
und Weihnachtsbäume gepflanzt
hier habe ich meine Leichen im Keller
wir spielen 'Mensch ärger dich nicht'
hier krieg ich immer nur einen halbvollen Teller
an einem runden Tisch.

Das Fremdeste an Gundi ist seine IM-Tätigkeit bei der Stasi. Auch für ihn selbst. Er kann sich das nicht verzeihen, aber sie ist geschehen. Es ist seine Leiche im Keller und seine Beleidigung der letzten Freunde. Er war Kommunist und wollte immer die Wahrheit und Ehrlichkeit und das Gute. Und damit ist er allen unbequem geworden. Die Stasi hat ihn am Ende rausgeschmissen. Aber er hat mit seinem Charme und seiner Musik auch harte Herzen zu Butter getanzt und Weihnachtsbäume gepflanzt. Und an den runden Tischen der Wende- und Revolutionszeit von 89 gibt es immer noch nicht den vollen Teller… Es bleibt so hell und so dunkel, so trist und so froh, wie es eben war. Und Gundi kann das so treffend verdichten.

Und das ist das Schöne: Der Satz vom Verlust und vom Fallenlassen geht weiter: „Hier bin ich geborn, wo die Kühe mager sind wie das Glück. Hier hab ich meine Liebe verlorn und hier krieg ich sie wieder zurück.“ … Und das Ende vom Lied:„Hier bin ich geborn, so wie ins Wasser fiel der Stein, hier hat mich mein Gott verlorn und hier holt er mich wieder ein.“

Da kann ich nur sagen: Möge es so sein!

Viele Grüße
Thomas Gertler SJ

12. September 2018

 

Vielleicht passt tatsächlich der Psalm 16 am besten. Bischof Hugo Aufderbeck hat uns als Priesterkanditaten damals 1975 in der DDR gesagt: ‚Denken Sie an diesen Psalm! Ja, auf schönem Land fiel mir mein Anteil zu. Bitte sehen Sie dieses Land, die DDR, auch so mit den Augen der Bibel und des Glaubens an. Hier ist Ihnen Ihr Anteil zugefallen und es ist ein Geschenk Gottes.‘ Und das habe ich auch so erfahren. Gott sei Dank!

 

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Psalm 16, 1 - 11

16,1[Ein Lied Davids.] Behüte mich, Gott, denn ich vertraue dir. /
2 Ich sage zum Herrn: «Du bist mein Herr; /
mein ganzes Glück bist du allein.»
3 An den Heiligen im Lande, den Herrlichen, /
an ihnen nur hab ich mein Gefallen.
4 Viele Schmerzen leidet, wer fremden Göttern folgt. /
Ich will ihnen nicht opfern, / ich nehme ihre Namen nicht auf meine Lippen.
5 Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher; /
du hältst mein Los in deinen Händen.
6 Auf schönem Land fiel mir mein Anteil zu. /
Ja, mein Erbe gefällt mir gut.
7 Ich preise den Herrn, der mich beraten hat. /
Auch mahnt mich mein Herz in der Nacht.
8 Ich habe den Herrn beständig vor Augen. /
Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht.
9 Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele; /
auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit.
10 Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; /
du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen.
11 Du zeigst mir den Pfad zum Leben. /
Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, / zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.