
Foto: Nickel van Duijvenboden - CC BY 3.0
Früherer Grenz- und Todesstreifen im Harz
Im Magazin der Deutschen Bahn war ein Artikel zu lesen unter dem Titel „Deutsche Heilung“. Er hat mich zu diesem Impuls angeregt. Hier können Sie ihn finden. Er beschreibt, was aus den 1400 Kilometern innerdeutscher Grenze geworden ist in den letzten dreißig Jahren. Das war ja von 1961 aufwärts ein Todesstreifen, der immer mehr ausgebaut und immer todsicherer gemacht wurde. Einschließlich Selbstschuss-Anlagen und Minenfeldern. Wikipedia gibt 790 Tote insgesamt an der deutschen Grenze an. Eine furchtbare Zahl. Eine schmerzende Wunde. Für viele bis in die Gegenwart.
Wer aber heute den ehemaligen Todesstreifen besucht, der findet einen Streifen neuen Lebens vor. Landschaftlich ist diese Wunde geheilt. Ja, es ist sogar so, dass gerade durch die Undurchlässigkeit dieser Grenze ein Schutzraum für die Natur entstanden ist. Da war eben Ruhe und Ungestörtheit von 1961 bis 1989. Da konnten sich so manche seltene Pflanze und so manches bedrohte Tier halten. Und nach dem Fall der Mauer und dem Ende der innerdeutschen Grenze hat man diesen Streifen bewusst als „Grünes Band“ gestaltet und man kann ihn ganz oder teilweise entlang wandern oder entlang radeln.
Wir (Christen aus Göttingen und den beiden Teilen des Eichsfelds) werden am 3. Oktober ein Stück dort wandern auf einem „Weg der Begegnung“ zwischen Ost und West. Ja, was früher Teilung und Trennung war, das ist heute Ort der Begegnung und der Suche nach Gemeinschaft. Das macht Hoffnung und gibt Zuversicht.
Für mich ist die Wandlung vom Ort und Weg der Teilung und des Todes zum Ort und Weg der Heilung und des Lebens ein Zeichen auch für die Heilung der Wunden unseres Lebens überhaupt. Als Erstes: Heilung ist möglich. Nicht nur einfach Heilung, als wäre nichts gewesen. Nein, das geht bei einer solchen großen Wunde nicht. Darum als Zweites: Heilung bedeutet auch Wandlung. Es ist nicht wie vorher. Die ehemalige Grenze ist noch sichtbar. Sie ist auch wie eine Narbe. Aber sie ist verheilt. Aber die Wunde ist eben jetzt wieder heil geworden und es geht auch Heilung davon aus. Neues Leben blüht darum als Drittes. Also die Wunde wird zur Quelle.
Das Dritte ist für mich das Entscheidende für eine wirkliche Heilung in der Tiefe bedeutet, dass neues Leben davon ausgeht. Und das geschieht nun an der ehemaligen Grenze. Nicht nur die Tiere und Pflanzen, die sich hierhin zurückziehen und leben konnten und können. Nein, auch solche Wanderungen auf Wegen der Begegnung tragen zu neuem Leben bei. Ja, die Idee des „Grünen Bandes“ will das ja auch: Naturschutzgebiete durch ganz Deutschland entlang der Grenze und der ehemaligen 5 km breiten und damals gesperrten Grenzzone sollen entstehen und sind vor allem in Thüringen schon entstanden. Was Wunde war, wird wunderbar.
Das ist Realität von Heilung und zugleich ein Bild für unsere menschliche Heilung, die nicht nur einfach physische Gesundheit zurückgibt, sondern darüber hinaus weist. Gibt es da also mehr als die physische Gesundheit, als die Heilung? Ja, es gibt mehr! Was wir als Glaubende erhoffen ist ja das Heil oder der Shalom, also das Heilwerden nicht nur des Leibes, sondern das Heilwerden auch aller unserer Beziehungen: zu den Menschen, zur Umwelt und Mitwelt und schließlich zu Gott. Und dafür ist diese Heilung ein Bild oder ein Zeichen: Habe Hoffnung nicht nur auf Gesundung sondern auf Heilwerden, auf Versöhnung, auf Größeres als vorher war. Das kann geschehen!
Es ist noch lange nicht so weit. So vieles muss sich da noch ereignen auch zwischen Ost und West! Und darüber hinaus in Europa und in der Welt, wo überall neue Konflikte aufbrechen. Aber wir dürfen auch auf das schauen, was immer schon an Heilung geschieht und Hoffnung haben, dass es wirklich alles heil werden kann. Und dafür soll das ein Zeichen sein.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
25. September 2019
Der Psalm, der für uns damals am besten dieses Gefühl des Wandels ausgedrückt hat, war der Psalm 126 mit seinem Jubel und seiner Dankbarkeit. Die Gefangenschaft ist zu Ende und der kleine Trabant springt über die Mauer – eine Aufnahme von diesem Spätsommer in Prag, wo auf der Prager Burg eine Ausstellung über den Fall der Mauer gezeigt wurde.

Foto: Thomas Gertler
Psalm 126,1 - 6
126,1 Ein Wallfahrtslied. Als der HERR das Geschick Zions wendete, da waren wir wie Träumende.
2 Da füllte sich unser Mund mit Lachen und unsere Zunge mit Jubel. Da sagte man unter den Völkern: Groß hat der HERR an ihnen gehandelt!
3 Ja, groß hat der HERR an uns gehandelt. Da waren wir voll Freude.
4 Wende doch, HERR, unser Geschick wie die Bäche im Südland!
5 Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.
6 Sie gehen, ja gehen und weinen und tragen zur Aussaat den Samen. Sie kommen, ja kommen mit Jubel und bringen ihre Garben.