
Foto: NASA/SDO (AIA)
Dieser Satz ist ja wohl eine Unverschämtheit! Mir wurde immer das Gegenteil gesagt. Gott braucht dich! Ja, dich braucht er. Genau Dich! Und noch dazu mit dem bekannten Bild von dem Gekreuzigten nach dem Krieg, dem die Arme fehlten: „Ich habe keine Arme als die Euren!“
Ihr müsst für mich handeln, Gutes tun, in den Armen tragen, an die Wange heben. Ich habe keine Arme als die Euren. Und nun das: Gott braucht dich nicht! Was soll denn das?
Es soll Ihnen und auch mir selbst sagen: Ja, so ist es. Gott braucht uns nicht. In aller Deutlichkeit und Härte! Im Grunde wissen wir das ja. Wir sagen es nur nicht so. Oder wir haben es noch nicht durchdacht. Gott hat uns und hat die Welt nicht ins Dasein gerufen, weil er uns brauchte, weil er uns, weil er die Welt nötig hatte. Weil er Elefanten und Vögel, Mäuse, Marder und Menschen brauchte. Weil er ohne die Natur, ohne die Welt, ohne mich nicht leben könnte. Nein, er brauchte all das nicht. Und auch mich braucht er nicht. Ich bin nicht notwendig für ihn. So wie die Sonne oben im Bild uns nicht braucht.
Das ist erst mal ziemlich ernüchternd, ja, es kann fast verletzend und zurückweisend sein. Denn das ist doch so wichtig für uns, gebraucht zu werden, notwendig zu sein, wichtig zu sein, wertvoll zu sein, etwas zu gelten. Und es kann eine große Krise bedeuten, wenn jemand nicht mehr gebraucht wird. Wenn jemand überflüssig ist. Vielleicht gerade jetzt für Sie?
Also „Gott braucht dich nicht“, ist sehr missverständlich. Es macht aber auf das Grundlegende der Beziehung Gottes zu mir und zur ganzen Schöpfung aufmerksam. Seine Beziehung zu uns ist eine Beziehung der Liebe. Und Liebe geht nur in Freiheit. Nur ohne Zwang und Notwendigkeit und Nötigung. Und von dieser Aussage ist die andere Seite. Diese Liebe und diese Beziehung muss nicht sein. Sie ist freier Entschluss. Sie kommt nicht aus Zwang und Notwendigkeit, sondern sie kommt aus Freiheit. Aus freiem Liebesentschluss. So sehr er mich mag und will und auch ruft und meine Mitarbeit will, er braucht mich nicht.
Ach so, na, dann ist es ja was ganz anderes. Ja, es ist etwas ganz anderes und doch ist es auch erschreckend und verstörend. Es schafft auch eine Distanz. Sie kann bis zur Fremdheit gehen. Denn Gott entzieht sich uns zuweilen. Und zwar nicht nur während des Betens erfahren wir zuweilen die Ferne, die Fremdheit, ja, sogar das Nichts. Er ist weg. Nein, nicht nur im Gebet, sondern gerade im Leben wird er uns fremd und fern. Und das kann dann auch dazu führen, dass auch ich sage – und das sagen ja sehr viele – ich brauche Gott nicht. Ja, und auch das ist wahr, obwohl mich fast nicht traue, es so zu schreiben und zu denken: Ich brauche Gott nicht.
Aber wenn es eine wirkliche Liebesbeziehung in Freiheit ist, dann gilt diese Freiheit auch für mich. Auch wenn es ganz unmöglich ist, denn das sagt ja auch wiederum der Glaube: meine ganze Existenz ist mit jeder Faser von Gott abhängig. Die Schöpfung existiert nur und nur so lange, wie Gott ja zu ihr sagt und sie will. Aber dennoch habe ich die schreckliche Freiheit zu sagen: Ich brauche dich nicht. Sonst ist es keine. Gott will tatsächlich diese Freiheit. Er will sie von mir. Er will nicht aus Notwendigkeit oder Abhängigkeit von mir geliebt werden, er will keine Sklaven und keine Claqueure und Beifallklatscher, sondern er will meinen freien Entschluss und freie Entscheidung. Das ist sogar das Ziel der Schöpfung, diese wirkliche Freiheit. Er setzt uns frei. Und so will er uns als sein echtes Gegenüber. Und solche Liebe will er von uns. Eine aus Freiheit und eigenem Entschluss und nicht aus Notwendigkeit und innerem oder äußerem Zwang.
Aber die ist auch sehr herausfordernd und mühsam. Denn oft scheint es uns leichter, einfach Sklave und nicht frei zu sein. Und es ist auch sehr schmerzhaft, mit Gottes Distanz und Fremdheit und Unverfügbarkeit zu leben.
Zugleich ist es auch das Höchste unseres Menschseins, in Wahrheit von unserer Freiheit Gebrauch zu machen. Und das führt uns näher zu Gott und auch zueinander. Hier müsste noch mehr gesagt werden, aber für heute ist es jetzt gut.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler
23. Februar 2022
Es gibt eine Stelle im Alten Testament, wo Gott seine Freiheit ausdrücklich betont. Sie greift den Gottesnamen aus Exodus 3,14 auf: „Ich bin der, der ich für Euch dasein werde.“ Und sie formuliert gerade damit auch die Unabhängigkeit und Freiheit: Gott wendet sich zu und erbarmt sich dessen, dessen er sich zuwenden und erbarmen will. So sagt er es dem Mose. Gott ist frei und souverän und bleibt es auch. Auf dem Bild erscheint Gott im Rücken des Mose. Er kann und darf ihn nicht von Angesicht sehen.
Exodus 33,17 - 23
Ex 33,17 Der HERR erwiderte Mose: Auch das, was du jetzt verlangt hast, will ich tun; denn du hast Gnade in meinen Augen gefunden und ich kenne dich mit Namen. 18 Dann sagte er [Mose]: Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen! 19 Da sagte er [der HERR]: Ich will meine ganze Güte vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des HERRN vor dir ausrufen. Ich bin gnädig, wem ich gnädig bin, und ich bin barmherzig, wem ich barmherzig bin. 20 Weiter sprach er: Du kannst mein Angesicht nicht schauen; denn kein Mensch kann mich schauen und am Leben bleiben. 21 Dann sprach der HERR: Siehe, da ist ein Ort bei mir, stell dich da auf den Felsen! 22 Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. 23 Dann ziehe ich meine Hand zurück und du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht kann niemand schauen.