Google oder Gott –
wer erstellt eigentlich unser Profil?

 

Foto: George Becker, via pexels.com - CC0

 

Abends schaue ich gern mein „Bewegungsprofil“ des Tages zusammen mit Gott an. „Indem man personenbezogene Daten aus verschiedenen Quellen chronologisch miteinander verknüpft, kann man zurückverfolgen, wann sich eine Person an welchem Ort aufhielt, was sie dort beispielsweise kaufte und welche Telefongespräche geführt wurden“, erklärt Wikipedia zum Begriff ‚Bewegungsprofil‘. Ignatius von Loyola nennt das „Examen“ und meint einen persönlichen liebevoll-prüfenden Rückblick auf die Ereignisse, Orte und Begegnungen eines Tages. Bei diesem „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ lohnt sich auch immer wieder die Brennglasfrage: Was war heute die stärkste Bewegung meiner Seele?

Wohl kaum um die Seele geht es Big Data bei jedem digital vernetzten Erdenbewohner, dessen Bewegungs-, Kunden- oder Nutzerprofil rund um die Uhr und um den Globus erstellt wird. „Du hast mich erforscht und du kennst mich … Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt“ (Psalm 139). Man könnte meinen, dass der uralte Gebetsvers heute eher Google statt Gott gilt, denn das Netz ist ja „vertraut ist mit all meinen Wegen“ und es scheint „von fern meine Gedanken“ zu erkennen. - Aber wer will wirklich sein Profil, seine Identität, das, was ihn oder sie zutiefst ausmacht, von den elektronischen Medien bestimmen lassen?

Erinnern Sie sich an „Die Truman Show“, einen Kinofilm, Ende der 90er? Der Protagonist, ein sympathischer 30-jähriger Versicherungsangestellter, lebt seit seiner Geburt in einem Fernsehstudio unter einer riesigen Kuppel. Aus der hier nachgebildeten Kleinstadt wird Truman mit Hilfe von 5000 Kameras rund um die Uhr einem Millionenpublikum vorgeführt. Alle anderen Mitspieler sind eingeweiht, nur er selbst nicht. Christof, der Filmproduzent, hat den Jungen gleich nach seiner Geburt „adoptiert“ und bezeichnet sich als Trumans Schöpfer.

Wer erstellt unser Profil? Was macht im Tiefsten unsere Identität aus?

Manchmal spiegeln Todesanzeigen etwas vom Profil eines Menschen, wie zum Beispiel bei jenem 46-Jährigen, der letzte Woche verunglückte: „Ein aufrechter Charakter. Ein kluger Geist. Ein liebenswerter Mensch.“ Oft hören wir auch: „Der Mann hat Profil“ oder „Eine profilierte Frau!“ und weisen damit auf Eigenschaften, Charismen und Wesenszüge, auf angeeignete Fähigkeiten und erbrachte Leistungen hin. Auch der individuelle Kleidungs- oder Lebensstil kann gemeint sein. So hat jeder selbst auch Einfluss darauf, was die anderen als sein oder ihr Profil sehen.

Aber müssen wir unser persönliches Profil überhaupt „erstellen“ (lassen)? Ist es uns nicht längst geschenkt? Wissen wir nicht längst um unsere tiefste Identität, weil Gott sich mit uns identifiziert?

Vor Gott brauchen wir uns nicht zu profilieren. Gott hat uns unser je eigenes Profil von vornherein geschenkt: Ein Werk und Wesen seines Schöpferwillens sind wir, jede und jeder unverwechselbar, einmalig, bedingungslos gewollt und geliebt. So schön habe Gott uns geformt, sagt Irenäus von Lyon (s.u.), dass am Ende er selbst nach uns verlange. An uns sei es, formbar zu bleiben und nicht zu verhärten, also in Gottes schöpferischer Hand zu bleiben, in seinem Creator spiritus, dem schöpferischen Geist.

Doch wie geht das, formbar zu bleiben und nicht zu verhärten? – Kann uns die Fastenzeit dabei helfen?

Bei aller Schönheit, die Irenäus meint, sind wir Wesen mit Schwächen und Lücken, was uns die biblischen und liturgischen Texte in diesen Wochen schmerzlich und tröstend zugleich vor Augen stellen. Es tut gut, hin und wieder das mir von Gott gegebene Profil zu überprüfen; bin ich und lebe ich noch in seinem Sinn? Ist gegebenenfalls etwas zu korrigieren, zu beschneiden wie ein Baum, der vor dem Winter einen Fassonschnitt bekommt, damit er im Frühjahr wieder in voller Kraft ergrünen kann?

Auch abstumpfen oder brüchig werden kann unser Profil, wie ein Bleistift. Nur wenn der Stift etwas von seiner äußeren Hülle hergibt, kann seine Mine wieder zum Vorschein und Einsatz kommen. – Formbar bleiben in der Hand des Schöpfers, der am besten weiß, was wir brauchen.

Unser Schöpfergott ist nicht ein berechnender Datensammler oder Regisseur, der uns von oben überwacht. Nein, er ist in Jesus Christus so auf unseren Straßen unterwegs, dass „viele sich über ihn entsetzen“ (Jes 52, 14), weil er so nah und so verletzlich unter den Menschen ist. Wir sind gut aufgehoben, wenn wir uns seinem „Bewegungsprofil“ anschließen mit unserer Gebrechlichkeit und Schuldhaftigkeit, mit unserem Suchen und Fragen und unserer Sehnsucht nach Heil. Online mit Christus!

Das wünsche ich Ihnen mit herzlichen Grüßen
Marlies Fricke (GCL)

14. März 2018

 

 

Bereit für den Frühling
Foto: Marlies Fricke

 

Mensch, du bist ein Werk Gottes. Erwarte also die Hand deines Künstlers, die alles zur rechten Zeit macht; zur rechten Zeit für dich, der du gemacht wirst.

Bring ihm ein weiches, williges Herz entgegen und bewahre die Gestalt, die der Künstler dir gab.

Bleibe formbar, damit du nicht verhärtest und schließlich die Spur seiner Finger verlierst. Wenn du den Abdruck seiner Finger bewahrst in dir, steigst du zur Vollkommenheit empor.

Die Kunst Gottes gestaltet den Lehm, der du bist. Nachdem er dich aus dem Stoff geformt hat, wird er dich innen und außen mit reinem Gold und Silber schmücken. So schön wird er dich machen, dass am Ende er selbst nach dir verlangt.

Das Erschaffen kommt der Güte Gottes zu. Erschaffenwerden aber ist das Wesen der menschlichen Natur.

Irenäus von Lyon, Bischof, 2. Jh.