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„Religion gut. Mathematik schwach!“ Das war ein Spruch, den man früher öfter hörte und der in gewisser Weise auch auf mich zutrifft. Mathe war nie meine Stärke, obwohl ich dann in der Nähe des Abiturs verstanden habe, dass Mathematik auch gelernt werden kann. Ich war nämlich zunächst der Meinung, entweder versteht man die Mathematik sofort oder nie. Lernen hat da gar keinen Zweck. Dass sie sich aber mit intensiver Beschäftigung dann auch erschließt und man sie verstehen kann, das habe ich leider erst zu spät begriffen. Langer Rede kurzer Sinn: Ich bin nicht mathematisch gebildet genug, um den Gottesbeweis Gödels mathematisch und formallogisch nachzuvollziehen.
Sie kennen Kurt Gödel gar nicht und schon gar nicht seinen Gottesbeweis? Er war einer der größten Mathematiker und Logiker des letzten Jahrhunderts. Er hat als Professor in Princeton viel und gern mit Einstein diskutiert. Und er hat einen Gottesbeweis hinterlassen. Er hat ihn nicht veröffentlicht, sondern verborgen gehalten. Erst aus seinem Nachlass ist er veröffentlicht worden. Er ist mathematisch und logisch sehr anspruchsvoll. Ganz wenige können ihn nachvollziehen. Ich schon gar nicht.
Aber das hat jetzt die Künstliche Intelligenz für mich getan. So sagt es der Greifswalder Informatikprofessor Alexander Steen, wie Sie oben sehen und (nicht ganz leicht) lesen können. Gibt es also etwas Sichereres als diesen Beweis!? Wir glauben fortan nicht mehr, dass Gott existiert, sondern wir wissen es. Oder? Und gibt es eine wichtigere Nachricht als diese? Müsste da nicht der mediale Aufschrei viel größer und heftiger sein? Gott wissenschaftlich bewiesen! Und zwar mit den modernsten Mitteln, die wir heute haben, und das ist doch die Künstliche Intelligenz.
Ja, die Richtigkeit des Beweisganges ist bewiesen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber ob die vorausgesetzten Annahmen des Beweises stimmen, da fangen die Gelehrten an zu streiten. Und zweitens streiten sie darüber, ob man von der mathematisch-logischen Ebene auf die Wirklichkeit schließen kann. Es handelt sich nämlich bei Gödel um eine Variante des so genannten ontologischen Gottesbeweises von Anselm von Canterbury. Der geht kurz gefasst so: Gott ist dasjenige Wesen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Darum muss ich notwendigerweise die reale Existenz dieses Wesens mit dazu denken. Denn sonst wäre es eben nicht dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das ist für mich logisch richtig. Bei Gott muss ich also notwendig seine reale Existenz dazu denken, sonst wäre er nicht Gott als dasjenige Wesen, über das nichts Größeres gedacht werden kann. Klar?
Ja, das ist klar. Es bleibt aber auf der Denk-Ebene. Wenn ich ein solches Wesen denke, muss ich notwendigerweise die reale Existenz hinzudenken, aber eben nur denken. Das bleibt also auf der Denk-Ebene. Ob dieses Wesen dann tatsächlich real existiert, bleibt offen. Und so auch bei Gödel. Sein Beweisgang ist logisch zwingend. Bei ihm ist Gott das Wesen, das alle positiven Eigenschaften in sich vereint und zu diesen muss dann auch notwendig die positive Eigenschaft der realen Existenz hinzugedacht werden, sonst wären nicht alle positiven Eigenschaften in ihm vereint. So lautet meine schlichte Zusammenfassung von Gödel. Damit ist aber die Ebene des Wirklichen, der Realität noch nicht erreicht – nur im Denken und bei diesem Begriff von Gott. Das war schon die Kritik von Thomas von Aquin und von Kant an dem ontologischen Gottesbeweis von Anselm.
Also formal logisch ist der Gedankengang Gödels bewiesen. Und jetzt dazu noch drei Gedanken:
- Kurt Gödel war Platoniker. Für das platonische Denken gilt, das wahre Sein ist nicht das materielle Sein, sondern das geistige Sein. Das materielle Sein ist nur Abbild des wahren geistigen Seins. Um das zu verstehen, denken Sie nur einmal an die geometrischen Figuren wie Punkt, Linie oder Kreis. Jeder materiell gezeichnet Kreis ist nur ein ungenaues Bild der geistigen Wirklichkeit des Kreises. Oder zum Beispiel: Der mathematische Punkt hat keinerlei Ausdehnung. Aber jeder Punkt, den ich auf Papier mache, hat eine Ausdehnung. Er stimmt nicht. Der Punkt, die Linie und der Kreis sind geistige Wirklichkeiten und sind nur als geistige Wirklichkeit wirklich. Materielle Punkte, Linien und Kreise sind nur Annäherungen, nur schlechte Abbilder der geistigen, mathematischen Wirklichkeit. So kann man ungefähr verstehen, was uns „Materialisten“ so schwerfällt, nämlich dass das geistige Sein realer ist als das materielle Sein. Wir denken aber seit dem 19. Jahrhundert andersherum. Da ist der materielle Tisch, an dem ich mich stoße, wirklicher als die Idee des Tisches, die geistige Wirklichkeit des Tisches, von dem der materielle Tisch immer nur ein schwaches Abbild für den Platoniker ist. Wenn ich platonisch denke, gibt das dem Beweis von Gödel noch eine andere Dimension und Tiefe.
- Gott ist größer als wir uns mit unserem begrenzten Denken denken können. Auch die Definition Gottes von Gödel als Träger aller positiven Eigenschaften ist viel zu klein als Definition Gottes, weil sie sich den Gesetzen der Logik zu beugen hat. Gott aber ist größer als unsere Vernunft und unser menschlicher Geist. Gott ist nicht einfach Teil unserer Wirklichkeit. So sehr er der Schöpfer ist und auch Schöpfer unseres Geistes und so sehr auch die Logik von Gott kommt. Gott ist mehr und größer.
- Glaube ist mehr als objektives Wissen und nicht weniger, wie wir immer denken. Glaube ist nämlich über das Fakten-Wissen hinaus eine Beziehung, ein Verhältnis zu Gott. Und das betrifft mich. Das berührt mich. Da geht es um Annahme oder Ablehnung auf der existentiellen Ebene. Da geht es um mehr als den Verstand. Da geht es um das Herz und den ganzen Menschen. Da geht es um Leben und Tod, Sinn oder Unsinn meines Lebens, aber auch des Ganzen von Welt und Dasein. Darum bleibt auch das Echo auf den Beweis von Gödel so schwach, weil er auf der reinen Verstandesebene bleibt und das Herz nicht trifft.
Dass er aber letztlich darauf hinauswollte, zeigt der Ausschnitt aus dem Brief an seine alte Mutter aus dem Jahr 1961, den Sie unten lesen können.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
15. November 2023

Kurt Gödel
„… Man ist natürlich weit davon entfernt, das theologische Weltbild wissenschaftlich begründen zu können, aber ich glaube schon heute dürfte es möglich sein, rein verstandesmäßig (ohne sich auf den Glauben an irgend eine Religion zu stützen) einzusehen, dass die theologische Weltanschauung mit allen bekannten Tatsachen (einschließlich den Zuständen, die auf unserer Erde herrschen) durchaus vereinbar ist. – Die Welt und alles in ihr hat Sinn und Vernunft, und zwar einen guten und zweifellosen Sinn. Daraus folgt unmittelbar, dass unser Erdendasein, da es an sich höchstens einen sehr zweifelhaften Sinn hat, nur Mittel zum Zweck für eine andere Existenz sein kann.“
Zitiert bei: Karl Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rande des Untergangs. Wiesbaden: Springer Spectrum 2015, 342f. Von mir gefunden bei: Katrin Minderock, Ontologischer Gottesbeweis von Kurt Friedrich Gödel. Eine Analyse der Mathematik hinter dem Gottesbeweis, Granz 2018.