Glauben – was ist das?

Foto: Hassan Gahedi - CC BY 4.0

Na, das ist doch ganz einfach! Das ist die Frage, ob ich glaube, dass es Gott gibt oder nicht. Ja, so einfach ist es erst einmal. Und dann weiter nächste Frage: Hat das irgendeine Folge, wenn ich ja sage oder nein? Mein Russischlehrer hat mir in der elften oder zwölften Klasse gesagt, für ihn mache es keinen Unterschied, ob es Gott gibt oder nicht. Für mich, den Schüler Thomas Gertler damals, sah aber die Welt völlig unterschiedlich aus, je nachdem, wie diese Frage beantwortet wurde.

Für meinen Lehrer hatte diese Frage die gleiche Bedeutung wie die Frage: Gibt es schwarze Schwäne oder nur weiße? Es ist zwar interessant, dass es in Australien auch schwarze Schwäne gibt, aber letztlich ist das für mein Leben egal. Für mich war es aber ungefähr wie die Frage: Bist du jetzt durch die Abi-Prüfung gekommen oder nicht? Oder: Bist du schwanger oder nicht? Wirst du Vater oder nicht? Also entscheidend für das weitere Leben. Wie ist diese Frage für Sie?

Für den einen hat die Frage nichts mit dem eigenen Leben zu tun. Für den anderen alles. Und das heißt, es geht darum, ob mich diese Frage betrifft, berührt und bewegt oder nicht. Und das heißt wieder, es geht beim Glauben um mehr als ein bloßes „objektives“ Wissen. Und nicht zuerst darum, was sehr viele denken: Glauben ist ein unsicheres Wissen. Im Sinne von: Ich glaube, morgen wird es regnen. Nein, beim Glauben geht es um mehr und wichtigeres für die, denen der Glaube etwas bedeutet.

Wenn es nämlich mit berühren, betreffen und bewegen zu tun hat, also mit meiner Existenz als Mensch, dann geht es beim Glauben nicht zuerst um den Kopf, sondern um das Herz, nämlich um eine Beziehung, um ein Verhältnis. Glaube ist nicht zuerst eine Weltanschauung, sondern etwas, dass mich zuinnerst angeht, wie die Frage, ob das Leben einen Sinn hat. Ob der Tod und das Nichts allein unsere Zukunft ist oder nicht. Ob meine Frau mich liebt oder mein Mann mich betrügt. Ob es überhaupt Liebe gibt oder ob das nur ein feineres Wort ist für Sex. Ob wirklich Freiheit existiert oder ob sie nur Einbildung ist. Also um solche die eigene Existenz betreffenden Fragen geht es beim Glauben. Für viele sind diese Fragen trotzdem nicht bedeutend und sie wollen von solchem Kram nichts wissen. Es kann aber sein, eines Tages packen sie mich an.

Also Glauben in meinem Verständnis ist meine Beziehung zu Gott und Gottes Beziehung zu mir. Oder besser gesagt: Mein Vertrauen auf Gott und Gottes Vertrauen zu mir. Meine Liebe zu Gott und Gottes Liebe zu mir. Und um das zu verstehen, müssen wir zum dem gehen, was dem im Alltagsleben am ähnlichsten ist und das ist das Verhältnis zwischen uns Menschen. Zum Beispiel mit dem Vertrauen zwischen Eltern und Kindern. Mit der Liebe meiner Mutter zu mir und meiner Liebe zu ihr. Das erste und entscheidende für mein Leben ist die Liebe der Eltern. Aus ihr gehe ich mit meiner Existenz hervor. Und dass es Liebe und Vertrauen überhaupt gibt, lerne ich aus ihrem Vertrauen und ihrer Liebe. Sie müssen mich lange anlächeln, ehe von mir ein Lächeln zurückkommt. Das was ich bei den Eltern erfahre, übertrage ich schon als kleines Kind auf die Welt als Ganze. So wie die Eltern gut und vertrauenswürdig sind, so ist es auch die Welt. Sie nährt und trägt mich. Ohne dieses Urvertrauen in die Welt kann ein Mensch nur schwer leben.

Im Gottesglauben ist die Quelle aller menschlichen Liebe und alles menschlichen Vertrauens zuletzt in Gott gegründet. Da lächelt im Lächeln der Eltern nicht nur ihre Sonne mich an und die schöne Schöpfung überhaupt, sondern derjenige lächelt mir zu, aus dem alles kommt und der alles trägt, erhält und in Liebe umfängt. Das glaube ich, wenn ich glaube. Darauf baue und vertraue ich. Und da hängen dann Glauben und Hoffen und Lieben innerlich zusammen. Aber davon das nächste Mal weiter.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler

17. November 2021

Natürlich habe ich schon angespielt auf den so genannten aaronitischen Segen im Buch Deuteronomium 6,24 Der HERR segne dich und behüte dich. 25 Der HERR lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. 26 Der HERR wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden. In diesem schönen Text wird die glückliche Kindheitserfahrung vom strahlenden Antlitz der Eltern aufgenommen, auf die Sonne und Gottes leuchtendes Antlitz übertragen. Ich nehme heute aber einmal den Psalm 131. Er nimmt auch diese Kindheitserfahrung und überträgt sie auf den Glauben.

Foto: Fábio Pinheiro - CC BY 2.0

Psalm 131,1- 3

131,1 Ein Wallfahrtslied. Von David. HERR, mein Herz überhebt sich nicht, nicht hochmütig blicken meine Augen, ich gehe nicht um mit großen Dingen, mit Dingen, die mir nicht begreiflich sind. 2 Vielmehr habe ich besänftigt, habe zur Ruhe gebracht meine Seele. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir. 3 Israel, warte auf den HERRN von nun an bis in Ewigkeit!