
Foto: Hernán Piñera - CC BY-SA 2.0
Unvermeidlich müssen die Jünger im Evangelium runter vom Berg der Verklärung, muss der junge Mann runter vom Berg Athos, von der Höhenerfahrung herunter in den Alltag zu den Mühen der Ebene. Jeder Gipfel im Leben existiert nur, weil ihn von unten her die riesige Masse von Steinen und Erde, von Fels und grauem Geröll trägt. Gipfel im geistlichen Leben erheben sich immer über der großen Masse an Alltag. Das Gewöhnliche, das was meistens ist, ist eben das Gewöhnliche und das meiste in jedem Leben ist alltäglicher Alltag, auch im Gebetsleben. Auch im Verhältnis zu Gott gibt es die Alltäglichkeit. Das eigentliche Beten des Jesus-Gebets braucht das, was jetzt kommt: den Alltag und den Rest meines Lebens.
Wodurch zeichnet sich dieser Gebetsalltag aus? Er zeichnet sich aus durch nichts Besonderes. Das Besondere haben wir ja gerade hinter uns. Jetzt also wieder das, was immer ist. Zu Hause sein, die gewöhnlichen Aufgaben, Arbeiten, Verrichtungen, mit ihrer Last und ihrer Freude mit ins Gebet nehmen. Kennzeichen des Alltags sind Nüchternheit und Realismus. Und das heißt Wahrhaftigkeit ohne Selbsttäuschung. Das ist ein großer Schritt. Auf dem Berg ist die Gefahr, dass ich mir selbst etwas vormache, wie weit und hoch ich schon im Gebet und geistlichen Leben geklettert bin. Alltag setzt mich auf den Boden zurück. Diese nüchterne und realistische Wahrhaftigkeit hört auf, ständig danach zu fragen, wie hoch ich auf der Himmelsleiter schon gestiegen bin. Wie heilig ich schon bin. Jetzt kommt es immer nur auf den nächsten Schritt, die nächste Stunde an.
Der Alltag zeichnet sich normalerweise durch feste Abläufe aus. Durch Gebräuche und Gewöhnlichkeiten. Wie und wo ist da das Gebet untergebracht? Ja, jetzt nach den Übungswochen kann ich gut auf der Rolltreppe, in der U-Bahn und im Auto beten, wenn ich durch den Park oder durch die Stadt laufe. Da passt sich das Jesus-Gebet dem Schritt oder dem Atem an. Das geht jetzt von ganz allein. Und es ist super, dass ich das gelernt habe und jetzt kann. Aber es braucht darüber hinaus immer auch ausdrückliche Zeiten des Gebetes. Und das ist heutzutage in einem normalen Familien- und Arbeitsleben ganz schwierig aber überlebenswichtig. Wo und wann sind mein Ort und meine Zeit des Rückzugs? Das muss miteinander besprochen und beschlossen werden. Sonst bleiben Ort und Zeit ungeschützt und unbeachtet. Beim gemeinsamen Beschluss aber wissen alle: „Das ist jetzt die heilige Zeit, da darf ich Mutti oder Vati nicht stören.“
Im Alltag wird das auf dem Athos Gelernte zu verschiedenen Gelegenheiten immer wieder gebraucht werden: in die Stille gehen wie der Berg. Atem üben wie das Meer. In aller Schwachheit und Vergänglichkeit ausgerichtet sein auf das göttliche Licht wie die Mohnblume. Immer wieder beten, wie der Vogel singt. Alles loslassen wie Abraham und Sara. Den Willen des Vaters leben wie Jesus. Alles das wird sich vertiefen, einfacher werden.
Worum es dann im Alltag zuletzt geht, ist, die tiefe und umfassende Vertrautheit mit dem Vater, mit dem Heiligen Geist und mit Jesus zu lernen. In eine „familiaritas cum deo“ hineinzuwachsen, wirklich zur Familie Gottes zu gehören, in aller Vertrautheit, Freiheit, Wahrhaftigkeit und Liebe. Wie das alte Ehepaar, das Hand in Hand durch den Park geht, das alle Kämpfe ausgekämpft hat und Frieden geschlossen hat, das um die unendliche Kostbarkeit dieser Liebe weiß, weil es um die Stunde weiß, in der der Tod kommen wird.
Ich wünsche Ihnen eine gute Rückkehr in den Alltag des Betens
Thomas Gertler SJ
10. März 2021
An den Schluss stellen wir den Abschnitt aus dem ältesten Brief des Neuen Testamentes, aus dem die Anregung kam, die den Pilger auf den Weg gesetzt hat die Weise des Betens zu lernen, die ohne Unterlass zu beten vermag, nämlich den 1. Brief an die Thessalonicher. Dieser Abschnitt passt sehr gut als Abschluss unserer Reihe. Auf dem Bild küssen sich Friede und Gerechtigkeit nach dem Psalm 85,11.Die Umschrift lautet: Friede vermehret, Unfriede verzehret. Aber es ist auch das Bild für den heiligen Kuss, von dem der Text spricht und der hoffentlich bald ohne Maske wieder möglich sein wird.

Foto: Gregorius Mundus - CC BY 2.0
1 Thess 5,14 - 28
5,14 Wir ermahnen euch, Brüder und Schwestern: Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen, ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen! 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun! 16 Freut euch zu jeder Zeit! 17 Betet ohne Unterlass! 18 Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes für euch in Christus Jesus. 19 Löscht den Geist nicht aus! 20 Verachtet prophetisches Reden nicht! 21 Prüft alles und behaltet das Gute! 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt! 23 Er selbst, der Gott des Friedens, heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Gott, der euch beruft, ist treu; er wird es tun. 25 Brüder und Schwestern, betet auch für uns! 26 Grüßt alle Brüder und Schwestern mit dem heiligen Kuss! 27 Ich beschwöre euch beim Herrn, diesen Brief allen Brüdern und Schwestern in der Gemeinde vorzulesen. 28 Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit euch!